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Frauenbilder

Von Brigitte Suchan

Wissen

Gleichberechtigung und kein Ende der Debatte. Während manche - darunter auch Feministinnen - meinen, zumindest in der gehobenen Bildungsschicht hätten Frauen und Männer längst die gleichen Möglichkeiten, schwappen die Wellen der Erregung zu vielen Themen rund um die Emanzipation nach wie vor hoch und die Diskussion wird auf einem bestürzend niedrigen Niveau geführt.


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Rotraud A. Perner

Eigentlich, so könnte man meinen, ist das Thema Gleichberechtigung nach Jahrzehnten des Kampfes längst gegessen. Es gibt Gesetze, die Benachteiligungen aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit untersagen, und einen gesellschaftlichen Grundkonsens. Im Gespräch mit Frauen stellt sich jedoch heraus, dass Diskriminierung nach wie vor stattfindet, aber auf einer viel subtileren Ebene. Dass das Thema die Gemüter noch immer erhitzt, lässt sich an der Aufregung erkennen, mit der jeder Artikel im österreichischen wie im deutschen Feuilleton zur Mann-Frau-Thematik quittiert wird. Erstaunlich ist auch, wie die Debatte seit Jahrzehnten geführt wird. Noch immer wird seitens der Frauen die Ikone der Emanzipation, Simone de Beauvoir, mit dem berühmten Satz "Man ist nicht als Frau geboren, man wird es", in die Schlacht geworfen, wenn es darum geht, den weit verbreiteten biologistischen Theorien vom "weiblichen Gefühl" und dem "männlichen Verstand" zu widersprechen. Der Standardsatz der Frauenbewegung stammt aus Simone de Beauvoirs Hauptwerk "Das andere Geschlecht", das 1949 erschienen ist.

Aus dem Jahr 1929 stammt Virginia Woolfs Essay "Ein eigenes Zimmer", in dem sie für Frauen - der gebildeten Oberschicht, realistischerweise - einen selbstbestimmten Raum reklamiert. Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht, dass laut einer Befragung, die in den 1990er Jahren in den USA durchgeführt wurde, etwa 40 Prozent der amerikanischen Frauen das Badezimmer als solchen definieren.

Gleich ein ganzes Haus samt Goldtruhe gesteht Astrid Lindgren anno 1944 ihrer Pippi Langstrumpf zu. Das freie, unabhängige und unangepasste Mädchen stieg unversehens zur Galionsfigur der Frauenbewegung auf. Noch vor zehn Jahren hieß es in der Diskussion gesellschaftlicher Fragen in Schweden, dass der Einfluss des "Pippikultes" auf Schule und Kindererziehung sehr negativ gewesen sei. "Die Pippi-Verehrung hat alles auf den Kopf gestellt, Schule, Familienleben, normales Verhalten", zitiert eine Diplomarbeit einen Diskussionsbeitrag aus der Tageszeitung "Svenska Dagbladet".

Das alles ist eigentlich Schnee von gestern, doch eine Veränderung im allgemeinen Denken vollzieht sich nur langsam, nach dem Muster "ein Schritt vor, zwei zurück." Dass die Männer nicht aussterben, die überzeugt davon sind, dass den Frauen die Fähigkeit zum Bügeln quasi in den Genen liegt und umgekehrt Frauen sich noch immer gerne vom starken Geschlecht umsorgen lassen, ist nicht hilfreich, aber vermutlich auch nicht zu ändern.

Was bedenklicher stimmt, ist die Tatsache, dass junge Frauen sich ohne gesellschaftlichen Zwang in die vermeintlich heile Welt der Kleinfamilie zurückziehen und sich mit der Mutterrolle zufrieden geben. Allerdings haben sie vielfach bei ihren Müttern erlebt, wie schwierig es ist, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen, wie viel Ausdauer und Kraftanstrengung die Mehrfachbelastung bedeutet. Oft haben gerade junge Frauen das Gefühl, sich zwischen der Mutterrolle und einem erfüllten Berufsleben entscheiden zu müssen. Von einem Megatrend "Frauen" sprechen hingegen Zukunftsforscher. Frauen sind in punkto Bildung und Sozialkompetenz deutlich auf der Überholspur.

Das "Wiener Journal" sprach mit Rotraud A. Perner, Juristin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin, über das Thema Gleichberechtigung.

"Wiener Journal": Wo steht Ihrer Meinung nach derzeit die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau? Rotraud A. Perner: Leider nicht so gut, wie man nach den Erfolgen der 1980er und frühen 90er Jahre erwartet hätte...

Wird die Wirtschaftskrise das Rollenbild verändern? Nach dem Motto in Krisenzeiten sollen die Frauen am Arbeitsmarkt Platz für die Männer machen.

Ich sehe das eher so, dass immer mehr Männer das Handtuch werfen werden -tun sie ja schon -, weil sie den hohen qualitativen, zeitlichen und kommunikativen Anforderungen nicht gewachsen sind, und die jungen Frauen, die disziplinierter, ausbeutbarer und dank Östrogen viel belastbarer sind, deren Arbeitsaufgaben übernehmen werden. Was die Männer wieder so frustrieren wird - zeigt ja auch bereits die Gegenwart -, dass die einen in Gewalt, die anderen in Regression - "bin ein hilfloses Baby - versorg mich!", mit oder ohne Alkohol - ausweichen werden.

Die Rolle der Frau am Arbeitsmarkt ist für viele Berufstätige durchaus unbefriedigend. Durch Jobs mit geringem Einkommen bzw. in prekären Arbeitsverhältnissen entsteht weder finanzielle Freiheit noch sozialer Status, warum also sollen Frauen nicht lieber in die gesellschaftlich hoch geachtete Mutterrolle fliehen?

So hoch geachtet ist die Mutterrolle ja gar nicht! Frauen sitzen da immer zwischen zwei Stühlen - es wird ihnen immer jemand Erfolgreicherer vorgehalten und wenn das auch nur im Werbefernsehen oder in den Modezeitschriften ist ... und nicht die Schwieger- oder eigene Mutter, der Partner oder die Freundinnen. Und wenn der männliche "Ernährer" ausfällt - und das ist die Regel - egal ob aus Arbeitsplatzverlust, (Sucht-)Krankheit oder Unfalltod -, wird die Mutterrolle auch nicht berücksichtigt.

Ist es in Ordnung, wenn sich junge Frauen nichts anderes vorstellen können und wollen, als nur Hausfrau und Mutter zu sein, wie schon ihre Großmütter? Damit ist doch aber auch die Dominanz der Männer im Familienverband vorprogrammiert: Wer zahlt, schafft an. Wie sehen Sie das?

Simone de Beauvoir

Da muss man zwischen den Jungmachos und den gebildeten sogenannten "neuen Männern" differenzieren. Es gibt eine riesige Bandbreite mit unterschiedlichsten Phänomenen, Gewalttätigkeit mitinbegriffen. Das neu auftauchende "alte" Frauenvorbild sehe ich weniger bei den Großmüttern - die entsprechen ja meiner Generation, also die Pionierinnen der finanziellen Unabhängigkeit -, sondern bei den klassischen orientalischen Müttern, die Geborgenheit und Fürsorge signalisieren und damit frühkindliche Kuschelsehnsüchte zu erfüllen scheinen. Die Kehrseite der Medaille, der patriarchale Zwang, kommt dann mit Zeitverzögerung zum Vorschein und nicht jede schafft es, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Ich kenne da viele Beispiele, wo zuerst die "andere Mutter" die bessere als die eigene berufstätige scheint, und nach einem Jahr im Clan überwiegen dann die Fluchttendenzen.

Kann man umgekehrt den Männern die ganze Last des Alleinerhalters bzw. -unterhalters aufbürden? Stichwort Burnout.

Können tut man vieles... eine arbeitsteilige Haushaltführung bringt ja auch Entlastungen von Selbstfürsorge, da gibt es viele für und wider, das sollte gut bedacht und geplant und für Notfälle vorgesorgt werden. Ich bin dagegen, Polaritäten aufzubauen, sondern bin für sachliche Überprüfung. Grundsätzlich ist aber Verzicht auf Eigenmacht ein Problem und verweist eher auf unerfüllte Kleinmädchenwünsche an den - meist nicht vorhanden gewesenen oder ablehnenswerten - Vater der ersten Lebensjahre.

Alice Schwarzer meinte in einem Interview anlässlich des Frauentages: "Der Platz der Männer ist an unserer Seite, neben uns." Stehen die Männer Ihrer persönlichen Einschätzung nach da schon?

Manche ja - zeitweise, wenn sie nichts Attraktiveres abhält und soferne sie dafür nicht aus ihrer Peergroup kritisiert werden. Männer sind, was die Regenerationsarbeit betrifft, nicht so verantwortungsvoll wie die meisten Frauen.

Was halten Sie von der Quote? Ist es sinnvoll, in manchen Bereichen durch gesetzliche Regelungen Frauen beruflich zu bevorzugen?

Ich bin bekannterweise keine Quotenfreundin. Ich habe in der Zeit, als ich ein politisches Mandat bekleidet habe und es da bereits informelle Quotenregeln gab, zu oft erlebt, wie qualifizierte Frauen ausgetrickst und "Bunnys" aus dem Hut gezaubert wurden. Aber Firmen, die staatliche Vorgaben nicht erfüllen, bei Subventionen etc. zu benachteiligen, halte ich für zielführend. Man darf nur keine Ersatzzahlungen vorsehen.

Was würden Sie meinen: Wie lange wird es noch dauern, bis Frauen und Männer tatsächlich in allen gesellschaftlichen Belangen als gleichwertig empfunden und auch so behandelt werden? Bzw. wie lange wird es dauern, bis Frauen sich selbst als gleichwertig empfinden?

Das kann nur individuell beantwortet werden. Ich warne vor Generalisierungen. Es gehört zum Erwachsenwerden, die rosarote Brille der Pubertät abzulegen und die raue Wirklichkeit zu bewältigen. Da sind manche früher dran als andere und Rückfälle nie ausgeschlossen.

Artikel erschienen am 20. April 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 12-15