Es ist zwar oft enorm hart für sie, doch die Frauen im Irak stehen mitten im Aufbruch der Gesellschaft. Eine von ihnen ist die von Österreich ausgezeichnete Unternehmerin Rawan Ahmed al-Zaidi. Sie forstet die Region mit Dattelpalmen auf.
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Es ist faszinierend zu beobachten, wie Rawan Ahmed al-Zaidi den frisch gepressten Orangensaft durch den Strohhalm einsaugt und sich ereifert zu erzählen, was sie als Frau im Irak geschafft hat. Mit ihren erst 26 Jahren hat sie eine Firma gegründet, die in dem vom Klimawandel schwer betroffenen Land zwischen Euphrat und Tigris Regionen aufforstet: mit Dattelpalmen.
Traditionell ist der Irak bekannt für seine Palmen. Den Baum findet man auf vielen Wappen, auf Geschäftskarten, Firmenlogos oder Fahnen. Die besten Datteln der Welt kamen einst aus Mesopotamien. Doch das ist lange her. Abgestorbene Palmenwälder säumen die Straßen heute. Das will Rawan ändern. 2018 hatte sie die Geschäftsidee, ihrem Land wieder Millionen von Palmen und damit CO2-Speichern zu geben.
Mit einem Bankkredit ging es los. "Mir war wichtig, die gesamte Kette anzubieten", sagt sie. Diese reicht vom Setzling bis zur Ernte und dem Produkt, das beim Verbraucher landet. Studien über die Beschaffenheit der Böden an unterschiedlichen Orten im Land, den Wasserbedarf, die richtige Bewässerung seien Voraussetzung für ein gutes Wachstum. "Wir kümmern uns um die Palmen von A bis Z, auch wenn sie angewachsen sind, ernten die Datteln, wenn die Besitzer das wollen, verpacken sie und bringen sie zu den Händlern zum Verkauf, helfen, wenn sie Krankheiten haben."
"Die Situation hat sich zum Guten verbessert"
Al Nakhla - die Palme -, wie Rawan ihre Firma nennt, ist ein voll integriertes Geschäftsmodell. "Wir sind keine NGO", betont sie immer wieder. 50 Mitarbeiter hat sie inzwischen, die im Süden, wie Diwanija und Kut, bis nach Mossul im Norden arbeiten. Mossul sei früher eine kalte Stadt gewesen, erzählt sie aus ihren Erfahrungen. Der Klimawandel hätte die Stadt wärmer werden lassen. "Jetzt können wir auch dort Dattelpalmen pflanzen." Für ihr nachhaltiges Engagement im Klimaschutz wurde die im Bagdader Stadtviertel Karrada geboren junge Frau 2022 mit dem "Austria Energy Globe Award" ausgezeichnet, dem wichtigsten Umweltpreis Österreichs.
Lange Jahre war der Irak isoliert, haben Kriege, Embargo und Terror das Land zerstört, die Menschen gelähmt. Die Schergen der Diktatur trieben viele außer Landes, die amerikanische und britische Besatzung und der Terror ebenfalls. 20 Jahre ist es her, dass die "Allianz der Willigen" unter George W. Bush im Zweistromland einmarschierte, Saddam Hussein stürzte und den Irak ins Chaos schickte. Die Folgen der Besatzung sind auch heute noch lebendig. Und doch glimmt derzeit ein Silberstreif am Horizont, ein Hoffnungsschimmer, dass es mit dem Land jetzt endlich aufwärts geht. Mitten in diesem Aufbruch stehen die Frauen Iraks.
"Unsere Situation hat sich verändert, zum Guten", sagt Rawan, "und jeden Tag wird es besser." Trotzdem müssten Frauen ständig Kompromisse machen, wissen, was sie wollten, bestimmt auftreten, manchmal auch hart sein. "Das können nicht alle." Sie habe viel aufgeben müssen, um dahin zu kommen, wo sie jetzt ist. Mit zwei Kindern habe sie ihr Studium beendet. Ihr Ehemann sei inzwischen ebenfalls im Geschäft eingestiegen und würde sie jetzt voll unterstützen. "Es ist ein ständiger Kampf." Als Frau müsse man viermal so stark sein wie ein Mann, um das durchzustehen. Denn die Gesellschaft verändert sich nur schleppend. "Sie sehen die Frauen als Rebellinnen." Es herrsche die Meinung vor, dass es leichter sei, die Frauen zu brechen, als sich selbst zu ändern. Der Druck sei gewaltig und viele Frauen seien gebrochen worden.
Mit den Islamisten brach eine Zeit der Angst an
Es war eine Achterbahn, die die Frauen Iraks in den vergangenen zwanzig Jahren erlebten. Die Diktatur unter Saddam Hussein war nicht gegen das weibliche Geschlecht gerichtet, sondern gegen jene, die seine Macht in Frage stellten. Diese ließ er gnadenlos verfolgen. Trotzdem sagen viele, dass es unter dem Gewaltherrscher Saddam Hussein besser um die Frau in der Gesellschaft bestellt war, als alles, was danach kam. Hijab, das alle Haare verdeckende Kopftuch, trugen damals nur die religiösen unter ihnen. Allerdings, so schränken die meisten ein, habe Saddam Hussein nach der Niederlage im zweiten Golfkrieg, als seine Armee von den USA aus Kuwait vertrieben wurde und vernichtende Sanktionen von der UNO beschlossen wurden, eine Wende hin zur Religion vollzogen. Plötzlich war der Hijab angesagt.
Dieser Trend verstärkte sich, als nach der US-Invasion 2003 die religiösen Hardliner die Wahlen gewannen, in der irakischen Regierung einzogen und das Machtvakuum füllten. Mit an vorderster Front waren die Exil-Iraker, die aus dem Iran zurückkamen und die Sitten der schiitischen Mullahs einführten. Die Südmetropole Basra war voll von Frauen, die in schwarzem Umhang (Abbaja) und schwarzem Schleier mit weißem Stirnband herumliefen. Auch die Christinnen passten sich den Gepflogenheiten an und verhüllten sich plötzlich in Schwarz.
Die sunnitischen Extremisten von Al-Kaida verschärften die Regelungen für Frauen weiter. Autofahren war nicht mehr erlaubt, nackte Haut wurde zum absoluten Tabu. So wurde selbst Inana, die Göttin der antiken Sumerer vor 5.000 Jahren, deren Darstellungsform nackt ist, verhüllt oder aus der Öffentlichkeit, wie den Museen oder dem Foyer des Kulturministeriums, verbannt. Bücher und Publikationen wurden auf religiöse Inhalte und Bebilderungen überprüft und nicht selten vom Markt genommen. Manche Frauen waren durch diese neue Situation so eingeschüchtert, dass sie monatelang das Haus nicht mehr verließen.
Die Befreiung vom IS - eine Befreiung für die Frauen
Dann kam die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), den die Iraker Al-Kaida 2.0 nennen und der die Situation für alle abermals verschärfte. Doch die Frauen hatten nicht nur unter der Gewalt der islamischen Extremisten zu leiden. Auch die häusliche Gewalt nahm in diesen Jahren zu.
Die Befreiung vom IS im Jahre 2017 war auch eine Befreiung für die Frauen. Eine Gegenbewegung setzte ein. Der Einfluss der Religiösen schwindet seitdem kontinuierlich, die Scheidungsraten steigen rasant und die Frauen drängen auf Unabhängigkeit. Immer mehr von ihnen arbeiten, immer mehr entscheiden sich gegen den Hijab, wollen alleine leben, stellen Autoritäten in Frage. Wenn auch die Protestbewegung, die 2019 und 2020 auch im Irak Massen von jungen Irakerinnen und Irakern auf die Straßen trieb, vorerst gescheitert ist, geht doch die Revolution innerhalb der Gesellschaft weiter. Rawan ist ein Beispiel von vielen. Denn es werden immer mehr.
Und Erfolg macht süchtig. Rawan al-Zaidi hat noch mehr Ideen, die sie umsetzen will. Eine Biomüll-Recycling-Anlage ist bereits in Arbeit, ein weiteres Unternehmen zur Organisation für Veranstaltungen gegründet. Eigentlich wollte sie in den Journalismus einsteigen wie ihr palästinensischer Vater, hatte auch nach ihrem Studium einen Job bei einem irakischen Fernsehsender bekommen. "Doch als Journalistin stehst du ständig in der Kritik von allen Seiten", kommentiert sie die Situation in ihrem Land, "vor allem als Frau." Das habe sie nicht ausgehalten - und auch nicht aushalten wollen.