Das polnische Parlament hat die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes zurückgewiesen.
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Warschau/Straßburg. "Lasst den Frauen ihr Gewissen." Als dieser Satz im EU-Parlament in Straßburg fiel, war es schon später Mittwochabend. Der Plenarsaal war alles andere als gefüllt; die Debatte über die Situation der Frauen in Polen und eine mögliche Verschärfung des Abtreibungsgesetzes dort stieß auf beschränktes Interesse. Und ein paar Stunden später war sie auch schon gegenstandslos.
Denn zur gleichen Zeit beriet in Warschau der zuständige Parlamentsausschuss über das Projekt "Stopp der Abtreibung" und empfahl schließlich, dieses abzulehnen. Tags darauf folgten die Mitglieder des Sejm, der polnischen Volksvertretung, der Empfehlung. 352 Mandatare stimmten dafür, das Vorhaben zurückzuweisen. 58 Abgeordnete votierten dagegen. Sie hätten den Entwurf gern weiter verfolgt, der Schwangerschaftsabbrüche nur dann erlaubt, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist oder jenes des Kindes in Gefahr wäre.
Die Gewissensfrage, die in Straßburg die polnische EU-Parlamentarierin Barbara Kudrycka zur Verteidigung der legalen Abtreibung aufgeworfen hatte, sorgt in Polen immer noch für emotionale Diskussionen. Alle paar Jahre tauchen Pläne auf, die seit 1993 geltende Regelung zu verschärfen - oder aufzuweichen. Denn das Gesetz gehört zu den restriktivsten in Europa. Der Eingriff ist nur bei Lebens- und Gesundheitsgefahr für die Frau oder das Kind möglich oder wenn die Schwangerschaft das Ergebnis eines Verbrechens ist. Soziale Umstände geltend zu machen, ist hingegen mit etlichen bürokratischen Mühen verbunden.
Die Befürworter einer Liberalisierung können aber nicht auf die Unterstützung der Regierung hoffen. Denn nach den Wahlen im Vorjahr hat die nationalkonservative Fraktion PiS (Recht und Gerechtigkeit) die Macht übernommen, und ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski macht keinen Hehl daraus, "das Leben von Anfang an" schützen zu wollen.
Seitenwechsel in Regierung
Es war jedoch nicht die Regierungspartei, die den Entwurf zur Verschärfung des Gesetzes eingebracht hatte. Vielmehr war es eine Bürgerinitiative aus radikal-katholischen Kreisen und von Abtreibungsgegnern der "Pro Life"-Bewegung. Sie hat die Unterschriften gesammelt, die für Beratungen im Sejm notwendig sind. Diese Möglichkeit der Bürgerbeteiligung war übrigens ein PiS-Wahlversprechen.
Es war aber sehr wohl die Regierungspartei, die "Stopp der Abtreibung" zunächst einmal zur weiteren Bearbeitung geschickt hat. Vor zwei Wochen votierten die PiS-Abgeordneten dafür, und auch aus anderen Fraktionen fanden sich Unterstützer. Selbst aus der - vor allem wirtschaftlich - liberaleren Bürgerplattform (PO), die bis zum Vorjahr die Regierung bildete, kamen Ja-Stimmen. Das war gestern, Donnerstag, anders. Geschlossen sprach sich die PO für eine Ablehnung des Vorhabens aus.
Bemerkenswerter ist aber der Wandel in den PiS-Reihen. Anders als vor zwei Wochen votierte nun die Mehrheit für eine Zurückweisung der Verbotspläne. Parteivorsitzender Kaczynski war ebenso darunter wie Premier Beata Szydlo. Die Kehrtwende dürfte ebenfalls auf eine Bürgerinitiative zurückgehen - eine, die liberale Bewegungen und Frauenrechts-Aktivistinnen innerhalb weniger Tage zum Erfolg geführt haben.
Denn die Aussicht auf restriktive Regeln, die für Ärzte und sogar Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch Haftstrafen vorsehen würden, löste massive Empörung aus. Am Montag waren Frauen in ganz Polen zum Streik aufgerufen: Zehntausende von ihnen gingen in größeren und kleineren Städten statt in die Arbeit zu Demonstrationen und Protestaktionen. Allein in Warschau versammelten sich an die 30.000 Menschen, um Selbstbestimmung zu fordern. Solidarität mit ihnen bekundeten sozialdemokratische Politiker sowie Oppositionelle aus den Reihen der PO und der wirtschaftsliberalen Partei Nowoczesna (Moderne).
"Erschrocken vor den Frauen"
Die Folge: Die Regierungspartei "erschrak vor den polnischen Frauen". So kommentierte es die Nowoczesna-Abgeordnete Joanna Scheuring-Wielgus, nachdem sich die Zurückweisung der Gesetzespläne im Sejm abgezeichnet hat. "Die Polinnen werden euch nicht erlauben, dass ihr sie wie Schafe zur Schlachtbank führt", erklärte PO-Mandatarin Joanna Mucha ihren PiS-Kollegen und warf diesen "ideologische Kriegsführung" vor.
Aus konservativen Parlamentskreisen kam aber auch Kritik am PiS-Seitenwechsel. So zeigten sich Abgeordnete der Protestbewegung Kukiz 15 des ehemaligen Rockmusikers Pawel Kukiz enttäuscht, dass die Pläne zum "Schutz des Lebens" aufgegeben werden.
Dieser "war und ist uns ein Anliegen", entgegneten PiS-Mandatare, betonten sowohl Parteivorsitzender Kaczynski als auch Premier Szydlo. Die Ministerpräsidentin kündigte ein Programm zur Unterstützung von Familien mit Kindern mit Behinderung an sowie eine "Aktion zur Förderung des Lebensschutzes". Dafür sollen auch Mittel aus dem Staatshaushalt fließen.
Das kann der Opposition Gelegenheit zu weiterer Kritik geben. Denn schon jetzt ist die Regierung mit Kindergeld großzügig. Womit die Ausgaben dafür gedeckt werden sollen, ist offen.