Jugendliche haben komplexe Vorstellungen zum Thema "Freiheit".
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Wien. Einige Schulen müssen beim mehrsprachigen Redewettbewerb "Sag’s multi!" schon im Vorfeld eine Vorausscheidung treffen: Maximal zehn Schüler darf jede Schule in den Wettbewerb schicken, das bedeutet für manche bereits eine Einschränkung. "Bei uns könnte fast die ganze Klasse teilnehmen", berichten 15-jährige Schülerinnen vom Sacre-Couer. Nur fünf Mitschüler ihrer 27-köpfigen Klasse haben Deutsch als Muttersprache. Der Rest ist mit Chinesisch, Russisch, Türkisch, Rumänisch, Arabisch, Persisch, Serbisch, Ungarisch, Portugiesisch, Tschechisch, Polnisch aufgewachsen.
Zum mittlerweile dritten Mal findet "Sag’s Multi" statt, diesmal sind erstmals auch Schüler aus anderen Bundesländern dabei. Wie jedes Jahr halten die jugendlichen Teilnehmer - heuer sind es 301 - eine Rede, in der sie zwischen Deutsch und ihrer Erstsprache hin- und herwechseln. 35 verschiedene Sprachen sind vertreten, zu verbreiteten Fremdsprachen in Österreich wie Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Türkisch mischen sich auch Bangla, Chinesisch oder Tagalog. Schüler ab der siebenten Schulstufe dürfen teilnehmen. "Sich in verschiedenen Sprachen bewegen zu können ist von unschätzbarem Wert", betonen Georg Kraft-Kinz und Ali Rahimi, die Obleute des Vereins Wirtschaft für Integration, der das Projekt gemeinsam mit dem Kultur- und Bildungsinstitut Educult durchführt.
"Die Leute werden immer motivierter, die Inhalte zunehmend politischer", sagt ein Juror. Die politische Ausrichtung vieler Reden liegt möglicherweise auch am diesjährigen Thema: Freiheit. Einige Redner kommen auf die Herkunftsländer ihrer Eltern zu sprechen, in denen es nur eine eingeschränkte Religionsfreiheit gibt. "Es tut mir weh, dass den Menschen im Iran vieles nicht erlaubt ist", erzählt etwa Tina der "Wiener Zeitung". Einige ihrer Verwandten sind Bahai und im Iran in ihren Rechten eingeschränkt. Ähnlich äußert sich auch Dena, die wie Tina mit ihrer Muttersprache Persisch antritt. "In islamischen Ländern sind oft Rechtssystem und Religion verbunden", kritisiert sie. "Das ist nicht gut, weil es die Freiheit vieler Menschen einschränkt. Freiheit bedeutet vor allem, dass ich die Religion, die ich haben will, praktiziere. Aber im Iran muss man das Kopftuch tragen."
Die Wahrheit sagen dürfen
Für viele ist Freiheit mit Authentizität verbunden. "Freiheit ist das Recht, nicht lügen zu müssen", meint Gülsah. Sie denkt dabei auch an die Nazizeit. Damals hätten einige Leute lügen müssen, um zu überleben oder ihre Familienangehörigen nicht zu belasten. Naemi - sie geht wie Gülsah ebenfalls auf das GRG 21 auf dem "Schulschiff" - hat in ihrem deutsch-französischem Vortrag über die Freiheit kurz sogar gesungen, als Worte allein zu wenig waren.
In Österreich fühle man sich nicht in seiner Freiheit eingeschränkt, bekunden alle auf Nachfrage. Gleichzeitig wird betont, dass es die absolute Freiheit nicht gibt. Dafür werden auch ganz alltägliche Beispiele angeführt. "Für meine Mutter bedeutet frei sein, sich einmal hinzusetzen und ein Buch endlich fertigzulesen, für das sie ansonsten keine Zeit hat", sagt Caroline, die polnischer Herkunft ist. Obwohl Freisein für alle Jugendlichen ein wichtiger Wert ist, betont fast jeder, dass sie auch Spielregeln braucht und nicht unbeschränkt ist. "Freiheit darf nur dann Freiheit genannt werden, wenn sie eine Grenze hat", meint die 16-jährige Olivia mit ägyptischen Wurzeln. "Sogar ein Vogel ist den Regeln der Aerodynamik unterworfen", meint Joice. Sie kommt aus Indien und spricht Malayalam.
In Wien gebe es für sie viele Gelegenheiten, ihre Erstsprache zu pflegen, erzählt Joice und verweist auf indische Tanz- und Gesangsveranstaltungen, die sie sehr liebt. Und dann ist da noch die Religion: "Ich bin römisch-katholisch und besuche den Gottesdienst in meiner Muttersprache." Obwohl erst 15 Jahre alt, überreichte ihr jüngst Kardinal Christoph Schönborn eine Urkunde, die es ihr erlaubt, Religion in den Pfarren zu lehren. Sie hat acht Jahre Katechismus-Unterricht hinter sich.
"Ich liebe es meine Kultur anderen Leuten zu zeigen", betont Joice. Wichtig sei vor allem gegenseitige Akzeptanz. Auch in ihrem Herkunftsort lebten Hindus und Christen friedlich miteinander. In ihrem Vortrag führt sie auch ein Zitat von Mahatma Gandhi an: "Jeder muss seinen Frieden in sich selber finden, und soll der Friede echt sein, darf er nicht von äußeren Umständen beeinflusst werden."
Freiheit ist wichtig, doch nicht alle wissen sie zu schätzen. Toni vergleicht sie in seinem arabisch-deutschen Vortrag mit der Luft: "Sie spendet Leben und Kraft", könne aber auch Zerstörung bringen. "Manche schnappen verzweifelt nach ihr, während sie andere nicht schätzen." Doch eines stehe fest: "Wir alle brauchen Luft."