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Eines vorweg und höflich ausgedrückt: Das G’spür der österreichischen Bundesregierung für Europa-Themen kann sich noch deutlich verbessern. Bei wesentlichen Themen glänzen heimische Minister immer wieder durch Abwesenheit, jetzt also Reinhold Mitterlehner bei einer Zwischenbilanz zum Handelsabkommen der EU mit den USA. Natürlich werden dabei keine Entscheidungen gefällt, aber es gibt ein Update, was bei der nächsten Verhandlungsrunde auf der Agenda steht. Da fällt es schwer zu glauben, dass eine niedrige Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl die heimischen Politiker ernsthaft beunruhigt.
Sollte es aber, vor allem bei einem Thema wie dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Natürlich hat der offene Brief des Rewe-Austria-Chefs Frank Hensel an die Europaabgeordneten, laut dem die heimische Lebensmittelqualität durch das Abkommen gefährdet sei, eine "Ja, natürlich"-Marketingkomponente. Aber so einen Brief zu schreiben, ist auch keine Kleinigkeit.
Selbst liberale Verfechter des freien Marktes sind sich nicht mehr sicher, ob das Abkommen wirklich eine gute Idee ist. Zu unterschiedlich ist der Zugang der Europäer und Amerikaner beim Konsumentenschutz und der Produktsicherheit.
Schließlich, und das ist wohl das gewichtigste Argument, sehen solche Abkommen bei Streitigkeiten private Schiedsgerichte vor. Das mag bei einem Investitionsschutzabkommen zwischen zwei kleinen Ländern ausreichen. Aber die USA und die EU vereinen etwa ein Drittel des gesamten Welthandels auf sich, eine unvorstellbare Summe. In dieser Größenordnung Branchen-Anwälte in einem nicht-öffentlichen Verfahren (ohne Rechtsweg) über Milliarden entscheiden zu lassen, bedeutet, den Rechtsstaat zu verlassen. Der Rechtsstaat zählt aber zu den Fundamenten einer demokratischen Gesellschaft, und wer wenn nicht Europa und die Vereinigten Staaten repräsentiert die demokratische Gesellschaft? An den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA gibt es daher viel zu kritisieren, auch die Tatsache, dass genau dieser Verhandlungspunkt bis zur Konstituierung einer neuen EU-Kommission im Herbst ausgesetzt wurde.
Freier Handel ist eine gute Sache, aber nur, wenn er transparent vereinbart worden ist und die ökologischen und sozialen Standards dadurch weltweit steigen. Sonst ist er bloß Abzocke.