Sieg bei Oberhaus-Wahl gibt Abe Chance, Wirtschaftsreformen durchzuziehen.
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Tokio. Die junge Frau im hellen Kostüm strahlt übers ganze Gesicht, sie ist den Tränen nahe. Yoshiko Kira lässt sich von ihren Anhängern feiern, die Sonnenblumen schwenken - ein beliebtes Symbol bei Atomkraftgegnern. Wie auf vielen Fotos reckt sie die Hand nach oben, die 30-Jährige hält dabei einen Blumenstrauß fest.
Die zugänglich wirkende Jungpolitikerin hat nicht zuletzt mit ihrer aktiven Teilnahme an Antiatomkraftdemos geschafft, was seit zwölf Jahren keinem Vertreter ihrer Kommunistischen Partei mehr in Tokio gelungen ist: Sie konnte sich bei der Oberhauswahl am 21. Juli gegen 20 Kandidaten durchsetzen und einen von fünf Sitzen ergattern. Ihrer Partei, die weniger weit links als in anderen Ländern einzuordnen ist, gelang so der Coup, statt der erwarteten fünf gleich acht Sitze im gesamten Land zu bekommen. Ihr Erfolg war eine Ausnahme bei einer Wahl, die von dem überragenden Wahlsieg der regierenden Liberaldemokraten (LDP) unter Premier Shinzo Abe und großen Verlusten der Opposition dominiert wurde.
Ihren Sieg haben Kira und ihre Genossen auch einer Änderung des Wahlgesetzes zu verdanken. Erstmals wurde der Wahlkampf per Internet erlaubt. Davon machte keine andere Partei so intensiven Gebrauch wie die kommunistische. Eine clevere Strategie, zumal junge Leute, Protestwähler und nicht zuletzt Atomkraftgegner ihre Informationen fast vollständig aus dem Internet beziehen und traditionelle Nachrichtenkanäle ablehnen.
Über 90 Prozent der Kandidaten nutzten Facebook und Twitter, auch Regierungschef Abe. Er verzichtete deswegen aber nicht auf den traditionellen Wahlkampf, sondern besuchte in den 17 Tagen Wahlkampf 36 der 47 Präfekturen; Banri Kaieda, Chef der bei der Wahl glücklosen oppositionellen Demokratischen Partei (DPJ), die über die Hälfte ihrer Sitze, die zur Wahl standen, verlor, brachte es immerhin auf 28 Präfekturen in der Zeit, um auch noch in entfernten Regionen Wählern die Hände zu schütteln.
Wähler hoffen nun auf Wirkung von "Abenomics"
Der eindeutige Wahlsieg der Liberaldemokratischen Partei dürfte jedoch weniger mit dem Kilometergeld von Regierungschef Abe zu tun haben als vielmehr mit zwei Hoffnungen der Wähler: Der, dass die nach dem Premierminister benannte Wirtschaftspolitik "Abenomics" Wirkung zeige, und der vom Ende des "verdrehten Parlaments".
Das heißt, dass das Unterhaus von der Regierungspartei und das Oberhaus von der Opposition kontrolliert wird. So kann die jeweilige Opposition den Handlungsspielraum der Regierung sehr stark beschränken - wovon sowohl LDP als auch DPJ regen Gebrauch machten. Dies führte zu einem Reformstau.
Doch jetzt hat die LDP mit Koalitionspartner New Komeito freie Bahn in beiden Kammern: "Wir haben das Mandat bekommen, eine stabile Regierung zu bilden", sagte Kabinettssekretär Yoshihide Suga dem Fernsehsender NHK und hörte sich dabei wie sein Chef an. Die Wahlbeteiligung lag jedoch gerade bei rund 52,5 Prozent der Wahlberechtigten, rund sechs Prozentpunkte niedriger als vor drei Jahren.
Das Ergebnis habe die Verantwortung, die auf den Schultern von Regierung und Opposition laste, verstärkt, sagte ein NHK-Kommentator. Oder wie Abe bei einer Pressekonferenz am nach dem Wahlsieg sagte: "Jetzt kann die Regierung nicht mehr die Opposition für einen Mangel an Fortschritt beschuldigen." Er muss nun zeigen, dass er längst überfällige Reformen angehen und Entscheidungen treffen kann, auch wenn sie politisch riskant sind.
Debatte um Erhöhung der Mehrwertsteuer
Dazu zählt zunächst die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf acht Prozent im April 2014. Abe sagte ausweichend, er wolle darüber im Oktober beraten. Während Finanzminister Taro Aso weiter hinter der Erhöhung steht, sagte Abe-Berater Koichi Hamada, der als "Abenomics-Mastermind" gilt, die Auswirkung der Steuererhöhung auf die Wirtschaft werde "nicht klein" sein. Andere Vertreter der Partei schlugen vor, die Erhöhung auf acht Prozent 2014 auszusetzen und sie stattdessen 2015 direkt auf zehn Prozent zu verdoppeln.
Ein weiteres heikles Thema ist Japans Beitritt zum transpazifischen Freihandelsabkommen unter der Führung der USA, das Japans Bauern hart treffen würde. Sie fordern Ausnahmen für Produkte wie Reis und Weizen. Außerdem steht im Dezember die Debatte über eine mögliche Kürzung von Sozialleistungen an, zum Beispiel für Zuschüsse zu medizinischen Untersuchungen von Senioren.
Trotz des klaren Siegs der atomkraftfreundlichen LDP konnten Japans atomkraftfeindliche Politiker anders als noch bei den Unterhauswahlen im Dezember 2012 einige Achtungserfolge erzielen. Zwar siegte selbst in der vom Atomunfall direkt betroffenen Präfektur Fukushima klar die LDP. Doch in anderen Wahlkreisen wie Tokio kam neben der Kommunistin Kira noch ein weiterer, unabhängiger Kandidat aus der Anti-AKW-Bewegung zum Zug - der Schauspieler Taro Yamamoto. Der beredte 38-Jährige tourt seit dem Unglück durchs ganze Land und führt Demonstrationszüge an. Das brachte ihm keine Schauspieljobs mehr ein, aber dafür nun einen Sitz für sechs Jahre im Oberhaus.