CDU/CSU und SPD beschließen am Freitag die Pkw-Maut, gegen die Österreich voraussichtlich klagt. Europarechtlerin Lengauer zweifelt die Rechtswidrigkeit des Gesetzes an.
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Berlin/Wien. "Freie Fahrt für freie Bürger." Über Jahrzehnte hat dieser Slogan die Automobilaffinität Deutschlands versinnbildlicht - selbst wenn die fehlende Geschwindigkeitsbegrenzung nur auf einem Teil der Autobahnen gilt. Frei hieß nicht nur, auf bestimmten Abschnitten aufs Gaspedal zu steigen und die Tachonadel ungestraft in die Höhe schnellen zu lassen. Frei bedeutete auch kostenlos. Damit soll es künftig vorbei sein. Am Freitag beschließen die Koalitionspartner CDU/CSU und SPD die Einführung der Pkw-Maut.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat sich somit durchgesetzt. Der Chef der Christsozialen hatte die von ihm populistisch titulierte "Ausländer-Maut" zur Koalitionsbedingung erhoben und erfolgreich in den Koalitionsvertrag nach der Bundestagswahl 2013 reklamiert, während Kanzlerin Angela Merkel einst sagte, mit ihr werde es keine Maut geben. Das stimmt in semantischer Weise nunmehr sogar, schließlich trägt das Konstrukt den Namen "Infrastrukturabgabe". Auch inhaltlich hat sich zuletzt einiges getan, ganze 36 Seiten umfasst der Änderungsantrag zum Gesetzesvorhaben. Dieses sieht eine Mautpflicht für in Deutschland zugelassene Pkw auf Autobahnen und Bundesstraßen ab dem Jahr 2016 vor.
Kurzzeittarife geändert
44 Millionen Autos sind davon betroffen. Die elektronisch eingehobene Maut ist nach Fahrzeugklassen gestaffelt, sie beträgt im Schnitt 74 Euro pro Jahr; maximal sind 130 Euro fällig. Mehr werden die zumeist deutschen Lenker trotzdem nicht bezahlen, denn im Gegenzug zur jeweils eingehobenen Maut wird die Kfz-Steuer um den entsprechenden Betrag verringert. An dieser Stelle treffen sich Seehofers Wahlkampfparole und das Versprechen Merkels, die Regierung werde die Steuern nicht erhöhen. Zur Kasse werden aber Fahrer gebeten, deren Pkw außerhalb Deutschlands zugelassen sind: Sie müssen auf Autobahnen - und nur dort, damit auf Bundesstraßen in den Grenzregionen keine Maut fällig ist - entweder Jahres- oder Kurzzeitmaut berappen. In letzter Minute wurde das Preismodell bei den Kurzzeitvignetten geändert. So sind bei der Zehn-Tages-Vignette je nach Größe und Schadstoffausstoß des Autos fünf, zehn oder 15 Euro zu zahlen.
Groß ist der Unmut in den Nachbarländern, auch in Österreich. Verkehrsminister Alois Stöger (SPÖ) behält sich vor, dass die Republik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg klagt. Argumentationsbasis ist dabei ein Gutachten des Innsbrucker Rechtswissenschafters Walter Obwexer. "Ich gehe nicht von Haus aus davon aus, dass die Maßnahme rechtswidrig ist", sagt hingegen die Juristin Alina-Maria Lengauer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Das Thema sei eine Gratwanderung, so die Professorin für Europarecht an der Universität Wien: "Grundsätzlich kann ein Land nach Belieben besteuern, außer in wenigen Ausnahmen wie bei der Mehrwertsteuer. Verkehrsminister Alexander Dobrindt versucht, die Mautgebühr von der Refundierung der Kfz-Steuer zu trennen. Das ist sachlich kaum zu argumentieren. Allerdings stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit." Denn rechtlich ist zwischen einer unmittelbaren und einer mittelbaren Diskriminierung zu unterscheiden; bei letzterer ist die Diskriminierung durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt. Im Falle der Maut dreht sich die Verhältnismäßigkeit etwa darum, ob die zusätzlichen Mittel verwendet werden, um Straßen zu bauen oder sanieren. Und für eben jenen Zustand der Straßen leisten die Fahrer dank der Gebühr künftig einen Beitrag.
Einnahmen über 700 Millionen Euro stehen 200 Millionen Euro an Verwaltungsausgaben in Dobrindts Berechnung gegenüber. Verkehrsclubs und Opposition bezweifeln die Kalkulation, die in Summe also nur 500 Millionen Euro pro Jahr einbringen soll. Zum Vergleich: Die Investitionen in Straße, Schiene, Wasserstraße betrugen alleine im vergangenen Jahr 10,45 Milliarden Euro. "Alle wissen, dass die 500 Millionen Euro ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Die Verhältnismäßigkeit unter diesem Gesichtspunkt zu debattieren, ist jedoch eine politische, aber keine rechtliche Frage. Denn der EuGH mischt sich nicht in die Budgetverteilung eines Mitgliedsstaates ein", meint Lengauer.
Die Rechtsprofessorin sagt, mit der Tarifänderung der Kurzzeit-Vignetten sei ein wesentlicher Kritikpunkt des juristischen Dienstes der EU-Kommission ausgeräumt worden. Zuvor waren für zehn Tage zehn Euro oder für zwei Monate 22 Euro veranschlagt - zu viel im Verhältnis zur Jahresgebühr. Und Deutschland hat an weiterer bedeutender Stelle nachgebessert: Das Gesetz wird nach zwei Jahren überprüft. "Dadurch ist der rechtliche Eingriff geringer, besteht eine höhere Chance, der deutschen Argumentation zu folgen", so Lengauer.
Die Juristin bezweifelt daher, dass Österreich seine Klagsdrohung wahrmachen wird. Politisch nützlich sei sie dennoch: als Verhandlungsmasse.