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Freier Gotovina empört Serbien

Von WZ-Korrespondentin Marijana Miljkovic

Politik

Serben stützen Hoffnung auf Genozid-Gegenklage gegen Kroatien.


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Belgrad. Der Freispruch der kroatischen Ex-Generäle Ante Gotovina und Mladen Markac durch das Haager Kriegsverbrechertribunal hat bei Medien in Kroatien für Euphorie gesorgt. Nicht so bei den Nachbarn: Das offizielle Serbien grollt. Premier Ivica Dacic und Staatspräsident Tomislav Nikolic, ein ehemaliger Ultranationalist, zweifeln an der politischen Unabhängigkeit des von der UNO ins Leben gerufenen Tribunals. Nachdem ein Gerichtssprecher im serbischen Fernsehen gesagt hatte, dass das Urteil endgültig sei und es keine Absicht von der Anklage gebe, es anzufechten, setzt Serbien große Hoffnungen auf Vuk Jeremic. Der ehemalige serbische Außenminister ist Vorsitzender der UNO-Generalversammlung.

Jeremic kündigte für den 10. April 2013 eine Debatte in der Generalversammlung über die Ad-hoc-Gerichte in Den Haag an, also über Gerichte, die im Nachhinein für die Aburteilung eines bestimmten Ereignisses geschaffen werden. Mit dem Gotovina-Freispruch sei das Ansehen der UNO beschädigt worden, sagte er.

Auf Twitter kommentierte er: "Die Freisprüche zu ethnischen Säuberungen dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Im Gegenteil, jemand könnte auf die Idee kommen, dass sich das Rezept auch für den Norden des Kosovo auszahlt", so Jeremic in Anspielung auf das für Ende November fällige Haager Urteil für den kosovarischen Ex-Premier Ramush Haradinaj. Serbische Medien spekulieren, dass die Debatte das Ende für das Tribunal bedeuten könnte.

Doch nicht nur die nationalistische Staatsspitze reagiert empört auf die Freisprüche. Auch unter den Befürwortern des Tribunals regt sich Unzufriedenheit, da mit dem Urteil kein Verantwortlicher auf kroatischer Seite für Kriegsgräuel gegen Serben in Den Haag verurteilt wurde. Insgesamt wurden in Kroatien während des Krieges (1991-1995) etwa 2000 Serben getötet und 200.000 vertrieben. Bei der von Gotovina befehligten Aktion "Sturm" im August 1995 gab es mehr als 300 Todesopfer und 90.000 Vertriebene.

Urteil könnte Haltung gegen EU unter Serben befeuern

Das Urteil habe "ganz sicher keine Gerechtigkeit für die Opfer gebracht", hieß es aus der Stiftung für Menschenrechte der mehrfach ausgezeichneten und geehrten Aktivistin Natasa Kandic.

"Die Realität zeigt, dass die von Serben bewohnten Landesteile in Kroatien auch nach 20 Jahren noch verwaist sind. Mit diesem Urteil wurden massive Verbrechen, die während und nach der Operation Sturm begangen wurden, auf die Ebene von Einzelfällen reduziert. Niemand wird es Kroatien mehr übelnehmen, wenn es juristisch nicht wegen Verbrechen gegen Serben vorgeht", so Kandic.

Bilateral kommen eisige Zeiten auf Kroatien und Serbien zu: Die serbische Staatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen will nun ausbessern, was das Haager Tribunal versäumt hat und kündigte sechs Verfahren wegen Kriegsverbrechen bei der Militäraktion "Sturm" an. Vize-Ministerpräsidentin Suzana Grubjesic hatte ihren für kommende Woche geplanten Besuch in Zagreb abgesagt. Man habe sich nichts zu sagen, hieß es zur Erklärung. Serbien werde aber nicht vom EU-Weg abweichen, versprach Grubjesic.

Wenn die Abweichung nicht vonseiten der Politik kommt, dann möglicherweise von der Bevölkerung: Schon jetzt ist die Mehrheit gegen die Europäische Union.

Die Debatte und die serbische Gegenklage wegen Völkermordes gegen Kroatien vor dem Internationalen Strafgerichtshof sieht Serbien nun als letzte Chance, ethnische Säuberungen auf kroatischer Seite zu beweisen. Nach dem Freispruch in Den Haag und der Feststellung des Gerichts, dass es sich bei "Sturm" um legitime Selbstverteidigung und keine "verbrecherische Unternehmung" mit dem Ziel, Serben zu vertreiben, gehandelt habe, ist aber die Chance dafür deutlich gesunken. Die stillen Verhandlungen Kroatiens und Serbiens, Klage und Gegenklage zurückzuziehen, dürften jäh zu einem Ende gekommen sein.