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Vom Kommissionsvorschlag blieb nicht viel übrig. | Ausländische Dienstleister dürfen nicht diskriminiert werden. | Brüssel. Frits Bolkestein hatte einen Plan: Im Jänner 2004 legte der damalige EU-Binnenmarktkommissar den Entwurf einer Richtlinie vor, die das seit den 80er-Jahren von der Europäischen Union angestrebte Ziel des Binnenmarktes auch im Bereich der Dienstleistungen umsetzen sollte. Europas Kernziel der vier Grundfreiheiten - freier Waren-, Kapital-, Personen- und nun eben auch Dienstleistungsverkehr - sollte endlich verwirklicht sein.
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Immerhin steht der Dienstleistungssektor für mehr als zwei Drittel europäischer Wirtschaftsleistung und Arbeitsplätze - aber kaum mehr als zehn Prozent davon werden grenzüberschreitend erbracht. IT-Berater, Architekten, Friseure, Installateure und tausend andere Berufe sollten ihre Dienste überall in der Union anbieten können. Studien sahen durch den belebten Wettbewerb bis zu 600.000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Ein Wort in Artikel 16 des Textes ließ die "Bolkestein-Richtlinie" umgehend zur "Frankenstein-Richtlinie" werden: Das "Herkunftsland-Prinzip" wurde zum Reizwort für alle Gegner. Die Kommission schlug vor, dass Unternehmen, die ihre Dienste in anderen Mitgliedsländern anbieten, ausschließlich den Regeln ihres Heimatlandes unterliegen sollten.
Ein Aufschrei der Gewerkschaften und auch mancher Regierungen war die Folge: Dem Lohndumping sei damit Tür und Tor geöffnet, die Sozialstandards würden nach unten nivelliert. Als Schreckgespenst ging europaweit, aber vor allem in Frankreich, der "polnische Installateur" um, der um billiges Geld den heimischen Handwerkern die Aufträge abjagt. Nicht zuletzt wegen der zutiefst unterschiedlichen Vorstellungen zur Dienstleistungsrichtlinie scheiterte in Frankreich und den Niederlanden auch die EU-Verfassung.
Reizworte fehlen
Bolkesteins Nachfolger Charlie McCreevy liegt nun ein vom Europäischen Parlament ausgearbeiteter neuer Vorschlag für die Richtlinie vor - und dem fehlen nicht nur die Reizworte. Das Herkunftslandprinzip ist verschwunden, die Liste der ausdrücklich ausgenommenen Bereiche ist viel länger geworden. Während die Parlamentarier der beiden größten Fraktionen eine "vernünftige Position" sehen - so etwa die zuständige deutsche SPD-Berichterstatterin Evelyne Gebhardt - oder zumindest einen "zumutbaren Kompromissvorschlag" - wie ihr christlich-sozialer Landsmann Andreas Schwab - beurteilen Unternehmervertreter die nun eingebauten Schutzklauseln kritischer. "Das ist ein Scheunentor für die Protektionisten", sagte auch der FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff.
Im Grundsatz bleibt es im Kompromissvorschlag der Parlamentarier trotz aller Verwässerung im Kern bei einer Umsetzung der schon in den Artikeln 49 und 50 der EG-Verträge festgelegten Beschränkungs- und Diskriminierungsverbote: Ein Dienstleistungsanbieter, der eine Niederlassung in einem EU-Staat hat und dort zugelassen ist, darf in jedem anderen EU-Staat ohne diskriminierende Hürden oder weitere Genehmigungsverfahren tätig werden. Er muss im Zielland kein Büro eröffnen und keinem Branchenverband beitreten.
Notwendige Hürden?
Die Kriterien, unter denen den Unternehmen Einschränkungen auferlegt werden dürfen, entsprechen jenen, nach denen der Europäische Gerichtshof schon jetzt etwaige Behinderungen des freien Dienstleistungsverkehrs prüft: Nicht-diskriminierend, notwendig und verhältnismäßig müssen die Hürden sein. Als entscheidender Nutzen bleibt die Verpflichtung zur Verwaltungsvereinfachung: ein Ansprechpartner pro Land, elektronische Abwicklung und kurzfristige Einsatzmöglichkeit ohne lange Anmeldefristen. Gegenüber Bolkesteins in manchen Punkten zu wenig präzise ausformuliertem Text werden Geltungsbereich und Überschneidungen mit bereits bestehenden Richtlinien klarer festgelegt: EU-Gesetze mit spezifischem Anwendungsbereich haben Vorrang, bestimmte Rechtsbereiche - wie das Arbeitsrecht - werden dezidiert ausgeschlossen, die Kontrolle erfolgt durch das Zielland, die Vollstreckbarkeit von Verwaltungsstrafen gegen ausländische Dienstleister soll mit Kautionen abgesichert werden können.
Trotz allem bleibt die Angst vor Lohndumping: "Die Spirale wird weiter nach unten gehen", befürchtet ein französischer Elektriker. Statt des berühmten polnischen Installateurs - der inzwischen übrigens als Leitfigur für Urlaub in Polen wirbt - käme dann halt einer aus Rumänien oder der Ukraine.
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