Trouvé im "WZ"-Interview: Soziale Ziele sollten Vorrang haben. | Europa im französischen Wahlkampf kein Thema. | "Wiener Zeitung": Attac kämpft für eine andere Europäische Union. Wie sollte die aussehen?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Aurelie Trouvé: Der freie Wettbewerb darf nicht zum übergeordneten Ziel der Europäischen Union werden, die Sozialsysteme dürfen nicht zerstört, die ökologischen nicht durch ökonomische Ziele ersetzt werden. Um das zu erreichen, hat Attac zehn Prinzipien für ein besseres, gerechteres Europa formuliert.
Sie sprechen stets vom Kampf gegen den Neoliberalismus, aber ist das nicht angesichts der Realität ein hohles Schlagwort? Immerhin sind Länder wie Frankreich, Deutschland, Österreich oder Schweden alles andere als neoliberal.
Natürlich verfügt jedes Land über eine eigene Tradition, aber seit den 80er-Jahren folgt die EU einer neoliberalen Logik. Das gilt auch für die Nationalstaaten. Der freie Wettbewerb triumphiert über soziale und ökologische Zielsetzungen. Vor allem die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 war für diese negative Entwicklung bahnbrechend.
Bisher galt Wettbewerb und freier Handel als Triebfeder für steigenden Wohlstand. Und auch jetzt sinkt - global betrachtet - die Armut und steigt der Bildungsgrad; in vielen Ländern der dritten Welt entwickelt sich ein Mittelstand.
Das stimmt, dennoch steigt gleichzeitig die Ungleichheit - sowohl zwischen den Staaten als auch innerhalb der Staaten. In den letzten dreißig Jahren sind die Einkommen aus Kapital weit überproportional zu jenen aus Arbeit gestiegen. Wir wollen dieses Verhältnis wieder umkehren, indem etwa internationale Finanztransaktionen besteuert werden.
Auch die Liberalisierung von Märkten und Dienstleistungen ist Attac ein Dorn im Auge. Wieso eigentlich, wo doch in aller Regel die Konsumenten über sinkende Preise und bessere Qualität davon profitieren?
Das ist manchmal, aber längst nicht immer der Fall, wie bei der Liberalisierung der britischen Eisenbahn oder im Energiebereich in Kalifornien zu sehen ist. Nur zu oft steigen hier lediglich die Gewinne der Aktienbesitzer; die Konsumenten haben nichts davon.
Was muss sich aus Ihrer Sicht in der EU ändern?
Die Union sollte auf Seite des Parlaments mehr Steuerkompetenzen haben, um hier eine Harmonisierung zu erreichen. Dies sollte allerdings unter sozialen Aspekten geschehen, keinesfalls solle es eine Harmonisierung nach unten geben. Wir brauchen ein größeres EU-Budget, um den neuen Mitgliedern eine Angleichung an die sozialen Standards der EU-15 zu ermöglichen - genauso wie es bei Spanien, Portugal, Griechenland und Irland passiert ist. Diese Mittel fehlen heute, die neuen Mitglieder haben nur den freien Markt, aber keine soziale Harmonisierung.
Weshalb treten dann aber ausgerechnet die neuen EU-Mitglieder für möglichst weitreichende Liberalisierungen im gemeinsamen Markt ein?
Das ist auf den ersten Blick tatsächlich ein Paradoxon. Wir sollten jedoch die Politik der Regierungen dieser Länder nicht mit den Interessen ihrer Bürger verwechseln.
Ende April findet die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen statt. Welcher Kandidat ist denn der europäischste?
Es gibt leider keinen, der in diesem Wahlkampf viel über Europa spricht, zumindest nicht bei den großen Parteien.
Macht es denn aus EU-Sicht überhaupt einen Unterschied, ob der bürgerliche Nicolas Sarkozy oder die Sozialistin Segolene Royal gewinnt?
Oh doch, sehr wohl. Sarkozy will etwa im Hinblick auf die EU-Verfassung nur eine Minimal-Version - und noch dazu lehnt er ein Referendum darüber ab. Royal dagegen und auch der liberale Francois Bayrou haben sich klar für ein Referendum ausgesprochen. Das ist ein großer Unterschied.
Attac selbst fordert eine neue EU-Verfassung. Wie soll es damit weitergehen?
Die Demokratie muss gestärkt werden. Wir wollen eine breite Debatte über einen neuen Vertrag und einen neuen Konvent, direktdemokratisch von der Bevölkerung gewählt. Die Verfassung muss dann durch Referenda in allen Staaten legitimiert werden.
Attac: "Für ein anderes Europa"
Für einen neuen, "demokratischen EU-Vertrag" und ein "anderes Europa" setzt sich die globalisierungskritische Bewegung Attac ein. Zehn Prinzipien dafür präsentierte sie gestern, Montag, in Wien. Dazu gehören "soziale Sicherheit, ökologische Nachhaltigkeit, Friedenspflicht und Geschlechtergerechtigkeit". Auf den Appell einigten sich 16 europäische Attac-Organisationen mit rund 77.000 Mitgliedern.
Die 26-jährige Aurelie Trouvé steht seit Dezember des Vorjahres Attac Frankreich vor. Sie hat Agrarökonomie und Politik studiert.
http://www.attac.org