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Freihandel allein wird’s in Afrika nicht richten

Von Stefan Brocza

Gastkommentare

Die übergroßen Erwartungen in die panafrikanische Freihandelszone sind überzogen und können niemals erfüllt werden. Enttäuschungen sind programmiert.


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Wachstum als Motor zur Wohlstandsmehrung. Auf diese einfache und doch klassische Formel haben sich die Staats- und Regierungschefs Afrikas vor eineinhalb Jahren bei ihrem Gipfel im März 2018 in Kigali geeinigt und die Schaffung einer panafrikanischen Freihandelszone (African Continental Free Trade Area - AfCFTA) beschlossen. Nachdem die nötige Mindestzahl an Mitgliedern das Abkommen unterschrieben und auch ratifiziert hat, wurde das Vorhaben nun beim jüngsten Gipfel der Afrikanischen Union (AU) in Niamey feierlich gestartet.

Das wirtschaftliche Leuchtturmprojekt der AU soll schon kommendes Jahr wirksam werden. Dann sollen in allen afrikanischen Staaten (die einzige Ausnahme ist Eritrea) die Binnenzölle für den Handel mit rund 90 Prozent aller Waren schrittweise reduziert und abgebaut werden. Die großen, wirtschaftlich stärkeren Staaten wie etwa Nigeria und Südafrika müssen dies rasch umsetzen, die ärmeren Staaten des Kontinents haben bis zu zehn Jahre Zeit dafür.

Die Problemeliegen in den Details

Was sich auf der Papierform so einfach liest, stellt nicht weniger als einen fundamentalen Paradigmenwechsel afrikanischen Wirtschaftens dar. Nicht nur, dass bis heute Zolleinnahmen einen bedeutenden Teil der staatlichen Einnahmen darstellen (Zölle sind nun einmal leichter einzunehmen als Steuern und Abgaben), ist auch der gesamte Handel des Kontinents auf den Export hin ausgerichtet. Infrastruktur und Produkte verharren auch Jahrzehnte nach der Entkolonialisierung in einem kolonialen Denken: Es werden vorwiegend Rohstoffe produziert, an die Küste gebracht und von dort in alle Welt verschifft. Alleinig darauf ist die afrikanische Infrastruktur auslegt.

Der Handel mit Waren und Produkten zwischen afrikanischen Staaten steckt dagegen nach wie vor in den Kinderschuhen. Nur etwa 12 bis 17 Prozent des gesamten afrikanischen Handels (je nach Berechnung und Berücksichtigung des starken sogenannten informellen Sektors) finden im Inneren, also zwischen afrikanischen Staaten statt. Zum Vergleich: In der EU sind das fast 70, in Nordamerika 51, in Asien 49 und in Lateinamerika immerhin noch 22 Prozent. Grund für diesen Nicht-Handel zwischen afrikanischen Staaten sind neben der bereits erwähnten Exportorientierung und den oftmals wahnwitzig hohen Zollsätzen die nahezu unüberwindlichen nicht-tarifären Handelshemmnisse, also etwa unkoordinierte bürokratische Verfahren, überlange Wartezeiten an den Grenzen und unzählige Versuche und Maßnahmen, den jeweiligen Staat wirtschaftlich abzuschotten. Und natürlich auch die simple Tatsache, dass es zumeist nichts zu exportieren gibt. Viele afrikanische Staaten besitzen nun einmal ähnliche Import- und Exportstrukturen wie ihre unmittelbaren Nachbarn. Da ist es eben nicht einfach, irgendeine Art von Wertschöpfungskette zu finden. Es wäre dann aber auch wenig bis gar nicht sinnvoll, wenn etwa Nachbarländer wie Elfenbeinküste und Ghana beginnen würden, ihren jeweiligen Kakao untereinander zu handeln.

Ein Zukunftsmarkt mit aktuell1,2 Milliarden Menschen

Mit all diesen historisch gewachsenen und im wirtschaftlichen Denken stark verfestigen Handelsbehinderungen soll also nun Schluss sein. Mit dem AfCFTA soll ein Markt von aktuell 1,2 Milliarden Menschen mit einer Wirtschaftsleistung von umgerechnet 2,5 Billionen US-Dollar entstehen. Neben dem Handel mit Waren - dem klassischen Kernbestandteil jeder Freihandelszone - sollen auch schrittweise grenzüberschreitende Dienstleistungen erleichtert werden und ein verbindlicher Mechanismus zur Konfliktbeilegung geschaffen werden. In einer zweiten Phase, bereits ab dem kommenden Jahr, sollen Themen wie Wettbewerb, Urheberrecht und Investitionen dazu kommen. Ein ambitionierter Plan, manche glauben gar: zu ambitioniert.

Die Idee einer regionalen Integration als Wachstumstreiber in Afrika ist nicht neu. Es gibt bereits mehrere regionale, sich teilweise sogar überlappende Handelsblöcke: etwa die Ecowas in Westen, die Comesa im Osten oder auch die SADC im Süden. Manche dieser Organisationen - wie etwa die SACU im südlichen Afrika - gehen längst über das Konzept einer Freihandelszone hinaus und sind Zollunionen oder gar gemeinsame Märkte. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie die in sie gesetzten wirtschaftlichen Erwartungen bei weitem nicht erfüllt haben.

Bisher hat keine einzige dieser regionalen Wirtschaftsgemeinschaften ein Stadium erreicht, in dem Binnenzölle vollständig verschwunden wären und nicht durch neue Hürden ersetzt worden wären. Manche Länder - wie etwa Tansania, Kenia, Uganda oder aber auch Nigeria - haben zwischenzeitlich sogar eine neue Meisterlichkeit darin entwickelt, mit ständig wechselnden Listen von "ausnahmsweise" und "vorübergehend" geschützten Produkten im Außen- wie auch im Innenverhältnis potenzielle Interessenten in den buchstäblichen Handelswahnsinn zu treiben.

Nicht mehr als 1 Prozent Steigerung des BIP erwartet

Und so überrascht es auch nicht, dass objektive Beobachter wie etwa die UN Economic Commission for Africa von der AfCFTA wohl nicht mehr als 1 Prozent Steigerung des jährlichen Bruttoinlandprodukts erwarten. Bis zum Jahr 2040 könnte so nach freundlicher Berechnung der UN-Experten das innerafrikanische Handelsvolumen je nach Verwirklichung der geplanten Freihandelszone um 15 bis zu 25 Prozent steigen. In absoluten Zahlen würde das eine Steigerung um 50 bis 70 Milliarden US-Dollar bedeuten. Und auch das nur, wenn die versprochene Handelsfreiheit tatsächlich Wahrheit wird und nicht wieder im Sumpf neuer bürokratischer Hürden versinkt.

Bei einem aktuellen Afrika-BIP von 2,5 Billionen US-Dollar beläuft sich die zusätzliche Steigerung des jährlichen Bruttoinlandprodukts um 1 Prozent also auf 25 Milliarden. Das mag auf den ersten Blick ein beachtlicher Betrag für afrikanische Verhältnisse sein. Liest man aber etwa einen aktuellen Bericht der UN-Weltgesundheitsbehörde WHO, wonach allein schon ein verbesserter Zugang zu Gesundheitsleistungen die afrikanische Wirtschaft um mindestens 796 Milliarden US-Dollar ankurbeln würde, ist man schnell wieder auf dem Boden der Realität angelangt.

So wichtig es auch sein mag, den innerafrikanischen Handel anzukurbeln - die großen, zentralen Probleme des Kontinents bleiben davon unberührt. Das panafrikanische Freihandelsabkommen mag ein Mosaiksteinchen auf dem Weg der wirtschaftlichen Entwicklung des afrikanischen Kontinents sein, ein Schlüsselinstrument zur Lösung der anhaltenden Riesenprobleme Afrikas ist es jedenfalls nicht.