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Freihandel: Bisher Einbahnstraße

Von Markus Rapp

Politik

Guayaquil - Scharfe Kritik an den Freihandelspredigten der Industrieländer und deren Abschottung gegen Importe aus Entwicklungsländern übte der zweite Südamerika-Gipfel am vergangenen Wochenende in Ecuador. Die zwölf Staaten vereinbarten eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit untereinander; das US-Projekt einer panamerikanischen Freihandelszone genießt im Südteil des Doppelkontinents bislang wenig Zustimmung.


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Die entwickelten Staaten predigten Freihandel, schotteten ihre eigenen Wirtschaften aber gegenüber den Entwicklungsländern ab, sagte der brasilianische Präsident Fernando Henrique Cardoso in Guayaquil vor den Staats- und Regierungschefs von zwölf südamerikanischen Ländern. Cardoso kritisierte vor allem die USA und Kanada für Schutzzölle und Subventionen, die dem Handel mit Lateinamerika schadeten.

Der erste Südamerika-Gipfel hatte sich vor zwei Jahren in Brasilien für die Förderung des freien Handels auf dem Subkontinent ausgesprochen. Bis 2005 sollte ursprünglich eine amerikaweite Freihandelszone (FTA) geschaffen werden. "Wir werden sehen, was aus der Freihandelszone wird", sagte Cardoso, der als einer der schärfsten Kritiker des Vorhabens gilt. Bisher stünden die Signale aus Nordamerika "nicht auf Öffnung, sondern auf Beschränkung".

Gastgeber Gustavo Noboa, Ecuadors Staatschef, brachte die Kritik auf den Punkt: Solange der Welthandel eine Einbahnstraße bleibe, werde es keine Verbesserung der Lebensbedingungen in den ärmeren Ländern geben. Auch die Last der Auslandsschulden treffe vor allem die Ärmsten der Armen, weil kein Geld mehr für soziale Programme übrig bleibe. Auch Europa kam in der einhelligen Kritik nicht ungeschoren davon.

Strukturell haben die Länder Südamerikas mit ähnlichen Problemen zu kämpfen - schrumpfende Wirtschaften und wachsender Druck zu immer strafferer Haushaltsdisziplin; manche sind aber auch hausgemacht. Venezuelas linkspopulistischer Staatschef, Präsident Hugo Chavez, überstand nur mit knapper Not im April einen Putschversuch, doch reißt er munter weiter alle Macht im Lande an sich - auch gegen die Gewerkschaften. Perus Präsident Alejandro Toledo hat nach nur einem Amtsjahr mit sinkenden Beliebtheitswerten zu kämpfen. Zwar indianischer Abstammung, entpuppte er sich als treuer Verfechter eines US-geprägten Neoliberalismus. Massenproteste haben ihn in den vergangenen zwei Wochen veranlasst, fast die ganze Regierung auszuwechseln. Kolumbiens Präsident Andres Pastrana - seine Amtszeit läuft kommende Woche ab - hat die Friedensgespräche mit den linksextremen Rebellen aufgegeben, ein Ende des Bürgerkriegs ist damit in weite Ferne gerückt.

Krisengeschüttelte Giganten

Neben Argentinien, dessen Finanzkrise ganze Mittelschichten in die Armut gedrückt hat, ist auch der Größte im Bunde, Brasilien, nicht ohne Sorgen. Zur Inflation kommt dort derzeit die Zurückhaltung vieler Anleger hinzu, die offenbar fürchten, im Fall eines Wahlsiegs des linken Präsidentschaftskandidaten Ignacio Lula da Silva im Oktober könne auch das Schwellenland Brasilien auf ein Wirtschafts- und Finanzdesaster zutreiben. Solche Investorenängste haben sich in der Vergangenheit - nachdem Weltbank und Währungsfonds in vielen Ländern die Kürzung von Staatsausgaben und massive Privatisierungen erzwungen hatten - als selbsterfüllende Prophezeihungen erwiesen. Die Aussicht eines Wahlsiegs der Opposition hat die Nachfrage nach Dollars erhöht und den Abwertungsdruck auf den Real verstärkt. Ende der Woche mussten für einen Dollar erstmals seit Einführung der neuen Währung im Jahr 1994 mehr als drei Real gezahlt werden. Zugleich wächst die Sorge, dass der brasilianische Staat den hohen Verpflichtungen seiner Verschuldung nicht mehr nachkommen kann, die 58,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt.

"Es gibt ein Gefühl der allgemeinen Desillusionierung", meint Arturo Valenzuela, Chef des Instituts für Lateinamerika-Studien an der Georgetown-Universität in Washington. Der Punkt ist, "dass sich die gesamte Region in der Krise befindet, dass die demokratischen Regierungen unter Druck sind und dass sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert hat", so Valenzuela.

Union bleibt Zukunftsmusik

Zum Abschluss des Gipfels haben die Staats- und Regierungschefs eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit vereinbart. Ziel sei die Union aller Länder des Subkontinents, hieß es in der am Samstag in der Hafenstadt Guayaquil verabschiedeten Erklärung.

Das Papier mit dem Titel "Übereinkunft für die Integration, Sicherheit und Infrastruktur zur Entwicklung" fordert eine rasche Annäherung der beiden wichtigsten südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaften, der Handelsblöcke Mercosur und der Andengemeinschaft (CAN). Dem Mercosur gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay an. Chile und Bolivien sind assoziierte Mitglieder. Die Andengemeinschaft besteht aus Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien.

Eine südamerikanische Freihandelszone wird noch auf sich warten lassen, darüber waren sich die Staats- und Regierungschefs einig. Zudem müsste die Entwicklung des Freihandels von sozialen Maßnahmen flankiert werden, lautete ihre Empfehlung. Andernfalls könnte die Demokratie in Gefahr geraten. Den US-Plan, bis 2005 eine panamerikanische Freihandelszone von Alaska bis Feuerland zu bilden, hielt niemand - zumindest in diesem Zeitrahmen - für realisierbar. Ehe die FTAA (Free Trade Area of the Americas) in Kraft treten kann, sollten sich zumindest die Südamerikaner einig sein.