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Hinter der weitverbreiteten Klage über den weihnachtlichen Konsumterror steht ein Menschenbild, das uns alle für unmündige Kinder hält.
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Es ist ein jährlich wiederkehrendes Ritual wie das Entzünden der Christbaumkerzen am Heiligen Abend: Je bedrohlich näher Weihnachten rückt, umso heftiger werden die Klagen über den damit verbundenen Konsumwahnsinn, die daraus resultierende Gefahr der privaten Überschuldung und ganz überhaupt die Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Festes. So verlässlich, wie die Weihnachtsmänner in den Fußgängerzonen, tauchen in den Medien Schuldnerberater, Konsumentenschützer und religiös fundierte Mahner und Warner auf, die vor den Gefahren unmäßigen Konsums warnen, als handelte es sich dabei um bewusstseinsverändernde und darob verbotene Substanzen. Das leicht sauertöpfische Bekritteln des weihnachtlichen Shopping-Rausches gehört zum Advent wie schlechter Punsch und abgenudelte Jingle-Bells-Musik.
Nun kann niemand bestreiten, dass die unselige Neigung mancher Menschen, ihre Ausgaben nicht in Einklang mit ihren Einnahmen halten zu können, in der Weihnachtszeit sozusagen umständehalber kulminiert; finanziellen Kater spätestens im Jänner inkludiert. Angesichts von rund 300.000 Haushalten, die - aus verschiedensten Gründen - in Österreich überschuldet sind, ist das ja gerade kein marginales Problem.
Das regelmäßig vorgetragene Argument der Handelsunternehmer und ihrer Kämmerer, Weihnachten sei eben sehr wichtig für Konjunktur und Wachstum, lindert das menschliche Problem erstens nicht und ist zweitens nur teilweise zutreffend. Denn wer im Advent Flat-Screen-Fernseher nach Hause schleppt, die er sich nicht leisten kann, opfert seine Bonität ja nicht auf dem Altar der österreichischen oder auch bloß europäischen Konjunktur, sondern eher der chinesischen (selbst Christbaumschmuck kommt zu 90 Prozent aus China).
Und trotzdem entbehrt die rituelle vorweihnachtliche Empörung in der Regel eines ganz zentralen Argumentes: dass nämlich jeder Konsument, so er nicht minderjährig, psychisch krank oder besachwaltet ist, letztlich selbst darüber entscheidet, wie verantwortlich oder verantwortungslos er über seine Finanzen verfügt. Dass ruchlose Kaufleute Passanten mit vorgehaltener Waffe in ihre Läden und dort zum Unterschreiben astronomischer Kreditkartenrechnungen zwingen, ist ja nicht einmal zu Weihnachten üblich.
Freiheit ist eben untrennbar und ursächlich mit der Freiheit verbunden, auch unvernünftige und selbstbeschädigende Entscheidungen zu treffen - egal, ob es um Shopping, Zigaretten oder den feiertäglichen Verzehr höchst ungesunder Braten und Torten geht. Wer glaubt, Menschen vor sich selbst beschützen zu müssen, kann das nur um den Preis, deren Freiheiten sukzessive zu beschränken und zu beschneiden; ein Prozess, der ohnehin schon viel zu weit fortgeschritten ist.
Deshalb mag man die vorweihnachtlichen Konsumexzesse der breiten Konsumentenmassen degoutant, entbehrlich oder auch unvernünftig finden - aber sie sind immerhin frei gewählt. Und das ist durchaus ein Wert für sich, nicht zuletzt in einer Zeit, die ohnehin zur gouvernantenhaften Gebotskultur neigt.
ortner@wienerzeitung.at