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Freiheit mit Hindernissen

Von Werner Grotte

Wirtschaft

Mehr als 606.000 Österreicher, unter ihnen rund 60.000 Frauen, sind derzeit auf zwei Rädern unterwegs - vor zehn Jahren waren es halb so viel. Und kaum ein anderer Markt wächst so un- | gebremst weiter: Ob Tourer, Renner, Mopeds oder Roller - von jährliche Zuwachsraten von bis zu sechs Prozent können andere Handelssparten nur träumen. Dennoch sind Einspurige als schnellste und sparsamste Verkehrsteilnehmer gegenüber Autos noch immer im Nachteil. Die vehementen Forderungen der Zweiradverbände (und wohl auch die große Zahl der Lenker) stoßen heuer erstmals auch bei Politikern auf offene Ohren.


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Wiens VP-Verkehrssprecher Wolfgang Gerstl ließ vergangenen Montag mit Forderungen aufhorchen, die man bisher eher bei einschlägigen Motorrad-Treffen hörte: In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Arge2Rad, der Interessensvertretung alle heimischen Motorraderzeuger und -importeure setze er sich unter anderem für die Öffnung von Busspuren für Einspurige, für eigene Parkflächen und für eigene, vorgezogene Haltelinien an den Kreuzungen ein.

Alles Dinge, die bereits seit den achtziger Jahren ganz oben auf den Wunschlisten der Zweiradverbände stehen und in vielen Ländern der Welt bereits mit Erfolg funktionieren. Genauso wie etwa der hohe Fahrradanteil in Amsterdam direkt auf ein flächendeckendes Radwegenetz, entsprechende Gesetze und breite Akzeptanz der Radler im öffentlichen Bewusstsein zurückzuführen ist, steigt in Städten mit zweiradfreundlichen Rahmenbedungen der Anteil Einspuriger bei gleichzeitiger Abnahme stauender Autos. Im Abgas-Mekka Mailand etwa sind durch gezielte Maßnahmen mittlerweile bei etwa gleicher Fläche siebenmal so viele Einspurige unterwegs wie in Wien.

"Die Bundesregierung muss den Umstieg vom Auto auf umweltverträglichere, einspurige Fahrzeuge leichter machen", reagierte die Wiener SP-Gemeinderätin Sonja Ramskogler, selbst Motorradfahrerin und Vizepräsidentin der "Redbiker", auf Gerstls Vorstoß und verwies auf "Safebike"-Fahrsicherheitstrainings und darauf, dass in Wien laufend neue Motorrradparkplätze geschaffen werden.

Unbeachtet solch politischer Ping-Pong-Spiele gibt es eine lange Forderungsliste aller Einspurigen-Verbände an Länder und Bund:

n Sechs-Monats-Vignette für Motorräder (meist kein Winterbetrieb),

n Änderung der Normverbrauchsabgabe (hohe PS-Zahl bei Motorrädern bei geringem Verbrauch und mindestens 50-prozentiger Auslastung),

n Wechselkennzeichen Auto-Motorrad (würde den Umstieg auf einspuriges Zweitfahrzeug erleichtern),

n Erleichterung für Führerschein A-Nachmacher (derzeit wird die B-Theorie dabei nochmals geprüft),

n Entschärfung der messerscharfen Leitschienen durch Styropor- oder Kunststoffbeschichtungen (führen immer wieder zu Hand- oder Bein-Amputationen bei sonst leichten Motorrad-Stürzen),

n Gründlicheres Splitt-Einkehren vor allem auf Bundes- oder Landesstraßen (oft liegen noch im Sommer oder nach Gewittern Steine in den Kurven),

n Benutzen von Busspuren,

n Vorgezogene Haltelinien an Kreuzungen (Einspurige dürfen bereits bei stehenden Kolonnen vorbeifahren und beschleunigen meist auch schneller als Autos),

n Aufhebung einseitiger Nachtfahrverbote für Zweiräder zwischen 22 und 6 Uhr (Zweiräder sind bei normaler Fahrweise nicht lauter als Pkw),

n Schaffung gesicherter Parkflächen für Platz sparende Einspurige (Umstoßen durch Ausparker ohne Schadensmeldung, keine leistbare Parkschadenversicherung).

"Es geht dabei längst nicht mehr um das Zweirad als Freizeitinstrument, sondern als echte Alternative im zunehmend kollabierenden Stadtverkehr", ergänzt Arge2Rad Obmann Walter Dittmer. Die rund 70.000 motorisierten Einspurigen in Wien (rund elf Prozent) hätten ein hohes Steigerungspotenzial: Fachleute erachten vorsichtige drei bis fünf Prozent aller Autofahrer derzeit als umstiegswillig.

Frauen und Mopeds legen zu

Besonders stark angestiegen ist in den letzten Jahren der Anteil an Frauen mit Motorrädern: Mittlerweile sind es etwa 60.000 - wovon sich zwei Drittel explizit als "Motorradfahrerin" und nicht als "Bikerin" bezeichnet sehen will. Dennoch wird unter dem Titel "Womans Biking" ein spezielles Frauen-Fahrsicherheitstraining (in Kooperation mit dem ÖAMTC) und mit weiblicher Motivforschung zunehmend geschlechterspezifisch gearbeitet. Eine Schwerpunktaktion für den urbanen Stadtverkehr ("Ride To Work") plant die Arge 2Rad heuer im September.

Am allerstärksten wächst aber der lange totgesagte Mopedmarkt mit zuletzt gar neun Prozent Marktanstieg. Nachdem ab 1. April Mopedlenken bereits mit 15 Jahren erlaubt sein wird, bietet die Arge2Rad in Kooperation mit ARBÖ, ÖAMTC und Driving Camps erstmals ein umfassendes, bundesweites Fahrsicherheits-Trainingsprogramm ("Moped & Co.") für junge Zweiradlenker - und deren Eltern. Flankierend fordert man die Einführung des sogenannte L17-Scheines: mit 17 die A- gleichzeitig mit der B-Theorie, mit 18 nur noch die praktische Ausbildung.

"Es stimmt zwar, dass an zehn Prozent der Unfälle Einspurige beteiligt sind, aber die Schuldfrage liegt zu einem guten Teil bei den gegnerischen Autolenkern", betont Dittmer. Dennoch könne es lebensrettend sein, wenn man als Einspuriger weiß, wann man im toten Winkel eines Autofahrers fährt und von diesem nicht gesehen wird.