Angenommen, Irans Botschaft in Wien würde von einem von der Obrigkeit aufgepeitschten Mob verwüstet - was würde dann passieren? Mit Sicherheit bestünde am Tag danach für alle österreichischen Einrichtungen in Iran höchste Gefahr.
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Da dies aber mit umgekehrten Vorzeichen passiert, wird zum Glück iranischen Vertretungen hierzulande gar nichts passieren. Österreich ist ein zivilisiertes Land. Und selbst wenn sich, so wie in Teheran, 200 Fanatiker (und ähnlich viele Kameraleute) zusammenrotten sollten, würde es in Wien großräumige Absperrungen und andere wirksame Maßnahmen gegen ein so kleines Häufchen geben.
Bleibt zu hoffen, dass Teheran von sich aus alle entstandenen Schäden ersetzen und künftig Botschaften entsprechend seinen rechtlichen Verpflichtungen besser schützen wird.
Apropos Recht: Da gilt es manches eigentlich Selbstverständliche festzuhalten. Erstens ist es in einem Rechtsstaat nie und nimmer Pflicht oder Recht einer Regierung, für Karikaturen um Entschuldigung zu bitten; Europas Regierungen haben vielmehr bis zuletzt die Meinungsfreiheit zu schützen. Zweitens: Urteile über Karikaturen zu fällen, ist einzig Aufgabe der Gerichte. Drittens scheinen diese in den letzten Jahrzehnten im Sog des Laizismus tatsächlich den Schutz religiöser Werte vor öffentlicher Verunglimpfung vernachlässigt zu haben, sodass eine Debatte darüber - in aller Gelassenheit(!) und mit offenem Ausgang(!!) - sinnvoll erscheint. Und wie auch immer diese Debatte ausgehen mag, so darf viertens keine Lex Islam entstehen; der Schutz muss in der gleichen Intensität - und Liberalität - für das Christen- oder Judentum gelten. Und fünftens ist die Argumentation mancher ideologisch einäugiger Juristen lächerlich, dass sich ein Künstler wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes für die "Freiheit der Kunst" in seiner Kunstausübung nicht an normale Gesetze halten müsse. Denn niemand kann Kunst in rechtlich klarer Form definieren. Und was wäre bitte, wenn beim nächsten Mal Mord oder Verstümmelung auf offener Bühne zum Kunstwerk erklärt würde?
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