"Die Kinder sollen 'was lernen". Das dachte man sich schon unter Maria Theresia und führte die allgemeine Schulpflicht ein. Lesen, Schreiben und Rechnen sind mittlerweile nur mehr ein kleiner Teil des Lehrstoffes, den Schulen vermitteln sollen. Daneben sind sie auch Betreuungseinrichtungen, Integrationshäuser und oft psychologische Stützen für die Schüler. Unter anderem hat sich die vom Bildungsministerium im April eingesetzte Zukunftskommission mit einer umfassenden Reform des Schulsystems beschäftigt. Gefordert wird etwa mehr Autonomie für die Schulen, dazu braucht es aber die nötigen finanziellen Ressourcen, um diese Freiräume abzusichern.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Österreicher stellen den Schulen derzeit kein gutes Zeugnis aus. In einer Umfrage des Klagenfurter Humaninstitutes antworteten auf die Frage "Genügen die vermittelten Inhalte und Lehrmethoden der österreichischen Schulen den Anforderungen einer modernen Kommunikationsgesellschaft?" 52 Prozent mit "nein". Außerdem seien Schulen wenig zukunftsorientiert.
Doch das stimmt nur bedingt. Obwohl sich neue Lehrmethoden noch nicht flächendeckend durchgesetzt haben, gibt es doch an etlichen Schulstandorten bereits innovative Ansätze, ein neues Bild der Schule zu verwirklichen. Neben jenen Standorten, die sich einen Schwerpunkt gesetzt haben (Sport, IT, Kunst, ...) reichen die Angebote an anderen Schulen von bilingualem Unterricht (oft auch mit Sprachen der "neuen Nachbarn") und Kurssystemen in der Oberstufe über multikulturellen Unterricht und Integrationsklassen für Kinder mit Behinderung bis hin zur Gründung von Junior-Unternehmen und der Teilnahme an Erfinder-Wettbewerben.
All das wird von den Lehrern vielfach eigenständig organisiert und betreut. Die pädagogische Ausbildung bereitet derzeit kaum auf die neuen Herausforderungen der Schule vor. Die Lehrenden müssen sich selbständig etwa an die pädagogischen Institute wenden, um Neues über Lehr- und Lernmethoden zu erfahren und Unterstützung für Projekte zu erlangen.
Herausforderung Lehrberuf
Die Zukunftskommission, bestehend aus vier Experten aus dem Bildungsbereich, zeigte als eines der Probleme des österreichischen Schulwesens die steigende Zahl von Verhaltensauffälligkeiten unter den Kindern und Jugendlichen auf. Dies wurde von Lehrern bestätigt. Als Ursachen sehen Psychologen die oft unsichere familiäre Situation, aber auch Spannungen in der Schule durch eine zunehmende Interkulturalisierung, auf die Kinder und Eltern oft nicht vorbereitet sind.
"Lehrer leiden unter mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung", sieht auch Werner Specht, Leiter des Zentrums für Schulentwicklung in Graz und Mitglied der Zukunftskommission, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" eines der großen Probleme. Die Lehrer müssten "aus der Defensive gehen" und ein "professionelles Leitbild ihres Berufsstandes" entwickeln. "Darin soll festgelegt werden, wofür sie stehen und wofür sie verantwortlich sind." Das müsse zu allererst geklärt werden, bevor eine grundlegende Ressourcendiskussion geführt werden könne.
Gleichzeitig müssten die Lehrenden besser auf das vorbereitet werden, was sie an den Schulen erwartet. Zusätzliche psychologische und pädagogische Fähigkeiten sind dabei genauso wichtig wie fachliche Weiterbildung. Gerade das auch von der Zukunftskommission vorgeschlagene Angebot der Ganztagsbetreuung ("dort, wo es ein Bedürfnis dafür gibt") würde spezielle Fähigkeiten der Lehrenden voraussetzen.
So geht es nicht weiter
"Die Schule in ihrer heutigen Form ist mit der Fülle an Aufgaben tendenziell überfordert", ist Specht überzeugt. Es müssten Freiräume für die Schulen geschaffen werden, um gezielt zusätzliche Aufgaben übernehmen zu können und vor allem um Schwerpunkte zu setzen.
Vor allem die Einführung von Leistungsstandards für Kernfächer, wie Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen, bringe eine zentrale Fokussierung und schaffe eben diese "Freiräume", so Specht. "Langfristig braucht es dann auch eine radikale Verschlankung der Lehrpläne."
Für Specht stehen bei den Reformen zunächst die pädagogischen Aspekte im Vordergrund. Änderungen in der Struktur des Schulsystems müssten danach geklärt werden. "Wenn wir gleich am Anfang zum Beispiel eine Gesamtschule, angedacht hätten, wäre das der frühe Tod vieler Reformideen gewesen", ist Specht überzeugt.
Zukunftskommission
Insgesamt sind die Vorschläge der Zukunftskommission (siehe Kasten unten), der auch Christiane Spiel, Vorstand des Instituts für Psychologie an der Uni Wien, Ferdinand Eder, Professor für Erziehungswissenschaften an der Uni Salzburg, und Günter Haider, Leiter des Österreich-Zentrums der PISA-Studie, angehören, sehr unterschiedlich aufgenommen worden.
Vor allem die Wirtschaft hat sehr positiv reagiert. Für die Schulpartner, also Lehrer-, Eltern-, und Schülervertreter, sind die Vorschläge noch zu wenig ausgereift.
Die Hauptsorge der Opposition, aber auch einiger Schulvertreter ist, dass mit zunehmenden Reformen und Autonomien die Schulen auch mit immer weniger Ressourcen dastehen werden - sozusagen mit Freiräumen, aber ohne Sicherungsnetz.
Über die Internet-Plattform http://www.klassezukunft.at werde und müsse es jetzt eine breite Diskussion über das Thema geben, so Specht. Bei derzeit stattfindenden Diskussionsrunden in den einzelnen Bundesländer könnten sich vor allem die Vertreter der Schulpartner einbringen. "Im Frühjahr wird es dann ein umfassendes Papier geben", in das die Vorschläge eingebunden werden, so Specht. Es gibt auch Stimmen, die eine Einbindung der Schulfrage in den Österreich-Konvent fordern.