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Freispruch für "Cap Anamur"

Von Angela Huemer aus Italien

Europaarchiv
Bierdel (l.) und Kapitän Schmidt im Gerichtsgebäude von Agrigent. Foto: reuters

Ex-Leiter der Hilfsorganisation frei. | Ein ähnlicher Prozess im Laufen. | Agrigent. Nach einem dreijährigen Prozess sind der Kapitän Stefan Schmidt und Elias Bierdel, ehemaliger Leiter der Hilfsorganisation "Cap Anamur" von der Anklage der Beihilfe zur illegalen Einwanderung freigesprochen worden. Dabei ging es um eine fünf Jahre zurückliegende Rettungsaktion an der italienischen Küste. Das Strafgericht der sizilianischen Stadt Agrigent sprach auch den russischen Offizier Wladimir Dschkewitsch frei. Die Staatsanwaltschaft hatte je vier Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 400.000 Euro für Bierdel und Schmidt beantragt.


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Im Juni 2004 hatte Stefan Schmidt, Kapitän in Pension und Freiwilliger für die deutsche Hilfsorganisation, 37 afrikanische Schiffbrüchige nahe Lampedusa vor dem sicheren Tod gerettet. Der Hafen von Lampedusa war zu klein, also steuerte man Porto Empedocle in Südsizilien an. Porto Empedocle ist der Hafen der Provinzhauptstadt Agrigent.

Kurz vor der Einfahrt in den Hafen der Schock: Die italienischen Behörden - vermutlich auf obersten Befehl aus dem Inneministerium - verwehrten dem deutschen Hilfsschiff die Einfahrt. Draufhin lag das Schiff 12 Tage lang vor der 12-Meilen Zone, also knapp außerhalb der italienischen Gewässer. Tag und Nacht bewachte die italienische Marine, Küstenwache und Finanzpolizei den deutschen Frachter. Die Situation wurde untragbar, einige der Schiffbrüchigen drohten damit, sich über Bord zu werfen. Der Kapitän entschied aus diesen Gründen, in den Hafen einzufahren. Sofort nach der Anlandung wurden Elias Bierdel, Stefan Schmidt und der erste Offizier verhaftet. Die Schiffbrüchigen brachte man direkt in ein Abschiebelager, binnen weniger Wochen wurden alle bis auf zwei nach Ghana abgeschoben, obwohl ihre Nationalität nie endgültig festgestellt worden war. Fünf Tage waren Elias Bierdel und Stefan Schmidt in Haft, eineinhalb Jahre später, im November 2006 eröffnete das Gericht von Agrigent den Prozess.

Die deutsche Presse warf im Sommer 2004 Elias Bierdel Aktivismus vor, die ganze Sache wäre für die Medien inszeniert worden. Zunächst hatten die Medien allerdings von dem Vorfall kaum Notiz genommen. Einigkeit herrschte zwischen den damaligen Innenmistern Otto Schily und Giuseppe Pisanu in der Absicht, keinen "Präzedenzfall" schaffen zu wollen. Auch innerhalb der Organisation selbst gab es Kritik an Briedel, der daraufhin im Oktober 2004 entlassen wurde. In der Folge gründeten er und Stefan Schmidt "borderline europe", um auf die Situation an den Außengrenzen der EU aufmerksam zu machen.

Der Freispruch erfolgte in allen Anklagepunkten. In 90 Tagen wird die Urteilsbegründung der Richterin Antonina Sabatino einlangen, dann hat die Staatsanwaltschaft 45 Tage lang die Möglichkeit, Einspruch zu erheben. Sowohl die deutschen und italienischen Anwälte der Verteidigung halten das für unwahrscheinlich - obwohl Vittorio Porzio, aus Neapel stammender Verteidiger der Angeklagten, bis zuletzt um die Bestätigung bangt. "Zwei und zwei sind vier in der Mathematik, jedoch leider nicht in der Justiz".

Nun sieht man gespannt dem Urteil im Prozess gegen sieben tunesische Fischer entgegen. Sie retteten im August 2007 gleichfalls vor Lampedusa 44 Menschen das Leben und wurden vor demselben Gericht wegen "Beihilfe zur illegalen Einreise" angeklagt. Der Urteilsspruch ist für den 17. November geplant.