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Freispruch für Großserbien-Ideologen

Von WZ-Korrespondent Krsto Lazarevic

Politik

UN-Tribunal sieht Völkermordvorwürfe gegen serbischen Ultranationalisten Vojislav Seselj als nicht bewiesen an.


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Den Haag/Belgrad/Zagreb. Der langjährige Mammutprozess gegen Vojislav Seselj endete gestern mit einem Freispruch in allen neun Anklagepunkten. Der großserbische Propagandist ist nun offiziell ein freier Mann. Ihm wurde vorgeworfen, Anführer mehrerer paramilitärischer Einheiten gewesen zu sein, welche in den jugoslawischen Bürgerkriegen Massaker, Folter und systematische Vergewaltigungen an der nicht serbischen Zivilbevölkerung begingen.

In Bosnien-Herzegowina und Kroatien wurden diese Einheiten umgangssprachlich als "Seseljianer" bezeichnet. Vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wurde ihm konkret vorgeworfen, an einer kriminellen Vereinigung beteiligt gewesen zu sein. Ziel dieser Vereinigung waren laut Anklageschrift Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sein Name wurde auch in Verbindung mit Internierungslagern in Vukovar, Bosanski Samac und Zvornik genannt. Insbesondere soll er den Hass mit seinen ausschweifenden Propagandareden beflügelt haben. Die Anklage forderte ein Urteil von 28 Jahren Haft.

"Propaganda nicht kriminell"

Richter Jean-Claude Antonetti erklärte in seinem Urteilspruch jedoch: "Nationalistische Propaganda ist nicht kriminell." Außerdem habe die Anklage Begriffe wie Verbrechen und Gewalt nicht korrekt angewandt. Eine direkte Verbindung zwischen Seseljs Hassreden und konkreten Kriegsverbrechen könne daher nicht gezogen werden. Laut Urteilsspruch sei das Projekt der Schaffung Großserbiens eine politische Agenda und keine kriminelle, für die man den Angeklagten verurteilen könne. Zwar sieht das Gericht es als erwiesen an, dass der Angeklagte Freiwillige für den Krieg warb, ist aber nicht überzeugt davon, dass Seselj von den Kriegsverbrechen wusste, die diese begingen, oder diese in Auftrag gegeben hat.

Bereits im November 2014 durfte Vojislav Seselj nach Belgrad zurückkehren, um seine Krebserkrankung behandeln zu lassen, und blieb einfach dort. Er wurde wieder in der Politik aktiv, organisierte ultranationalistische Demonstrationen und warb bei Ewiggestrigen um Wählerstimmen. Es ist das erste Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs, dass in Abwesenheit eines Angeklagten verlesen wird.

Vojislav Seselj tat nach der Urteilsverkündung, was er am besten kann: Er pöbelte. Zunächst lobte er seine Richter: "Nach so vielen Verfahren gegen unschuldige Serben haben zwei ehrenhafte Richter gezeigt, dass Ehre wichtiger sein kann als eine politische Agenda." Dann fordert er eine Entschädigung in Höhe von 14 Millionen Euro dafür, dass er von 2003 bis 2014 in Untersuchungshaft saß. Die Onlineausgabe der kroatischen Tageszeitung "Jutarnji List" forderte nach der Urteilsverkündung, das Gericht müsse man "sofort schließen" und das Geld stattdessen für die Exhumierung der Massengräber verwenden. Kroatiens Regierungschef Oreskovic meinte, das Urteil sei "schändlich" und eine Niederlage für das Haager Gericht und die Staatsanwaltschaft.

Seseljs Aufstieg zum Sprachrohr eines "Großserbien" begann in den 1980er Jahren. Er wandte sich von den herrschenden Kommunisten ab und den Nationalisten zu, wurde mehrmals zu Haftstrafen verurteilt und protestierte mit Hungerstreiks gegen seine Inhaftierungen. Da er im ehemaligen Jugoslawien der 80er Jahre als Dissident galt, wurde er damals von vielen Serben unterstützt, die zum Teil später zu seinen politischen Gegnern wurden. 1991 gründete Seselj die Serbische Radikale Partei (SRS), die großen Anteil daran hatte, ultranationalistische und rechtsextreme Positionen salonfähig zu machen. Die Partei koalierte in den 90er Jahren auch mit Slobodan Milosevic. Seseljs Aufgabe in der Regierungskoalition war es, radikale Positionen zu artikulieren, die Miloevic in dieser Form nicht aussprechen konnte, um sich auf internationalem Parkett nicht vollends zu diskreditieren. Auch die heute mächtigste Partei Serbiens, die Forschrittspartei, ist eine Abspaltung von Seseljs SRS. Sowohl Präsident Tomislav Nikolic als auch Premierminister Aleksandar Vucic sind politische Ziehsöhne Seseljs. Allerdings fahren sie heute einen proeuropäischen Kurs und haben die großserbische Rhetorik ad acta gelegt.

Aufwind für die Wahlen

Es gibt in Serbien mehrere ultranationalistische Parteien, von denen derzeit keine im Parlament sitzt. Der Freispruch beschert Seselj nun enormes Mobilisierungspotential für die Wahlen. Die SRS würde laut aktuellen Umfragen als drittstärkste Kraft ins serbische Parlament einziehen. Es gilt allerdings als unwahrscheinlich, dass sich die Partei in einer Regierungskoalition wiederfindet.