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Freiwilligenheer gegen Isis

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Entlang der Grünen Zone in Bagdad wurden Razzien durchgeführt. Die Isis soll in Samarra aufgehalten werden.


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Bagdad. Sie kamen früh am Morgen, ohne anzuklopfen. Sieben Männer in Uniformen gingen ohne Gruß festen Schrittes ins Haus und durchsuchten es. Mohammed Dhia, seine Frau und die drei Kinder hatten gerade erst gefrühstückt. Im oberen Stockwerk fanden die Männer eine alte Armeeuniform aus der Zeit Saddam Husseins, als Dhia seinen Wehrdienst versehen musste. Das reichte, um dem Hausherrn anzudrohen, ihn mitzunehmen. Draußen stand ein Minibus bereit, in dem bereits einige Festgenommene saßen. Als Dhia seinen Ausweis der Vereinten Nationen, für die er arbeitet, vorzeigte, ließen die Soldaten von ihm ab und inspizierten das Nachbarhaus.

Dhias Haus liegt im Bagdader Stadtteil Mansour, direkt an der schwer bewachten Grünen Zone, dem Regierungsviertel. Das ganze Wochenende über wurden Razzien in Häusern durchgeführt, die nahe an der Mauer liegen, die die Zone umgibt. Die Betonstelen sind so hoch, dass kaum jemand drüberklettern kann. Außerdem sind sie oben noch mit Stacheldraht versehen.

Premierminister Nuri al-Maliki ist nervös und lässt das alle sechs Millionen Einwohner der irakischen Hauptstadt spüren. Seit ihm das Parlament am Donnerstag die Ausrufung des Notstands verweigert hat, schafft sich Premier Maliki seine eigenen Notstandsbestimmungen. Die Kontrollposten in Bagdad wurden verstärkt, überall patrouillieren Soldaten und Polizisten, werden Razzien durchgeführt.

Aufstand der Sunniten gegen den schiitischen Premier

Speziell in den sunnitischen Bezirken der Stadt, wie in Adamija, bekommen die Einwohner die geballte Nervosität ihres schiitischen Regierungschefs zu spüren. Jede Straße, jedes Haus wird durchkämmt, die Zufahrtstraßen werden streng kontrolliert wie schon lange nicht mehr. Soziale Medien wie Facebook, Twitter oder Skype sind blockiert. Mansour ist zwar ein gemischter Bezirk. Sunniten, Schiiten und Christen leben hier zusammen. "Aber die vermuten Schläferzellen sunnitischer Rebellen, die aufwachen und Maliki attackieren, wenn die Isis einrollt", sagt der 54-jährige sunnitische Kurde Dhia sarkastisch. Eines sei jedenfalls sicher: Freunde schaffe sich Maliki damit nicht.

Doch Freunde braucht der schiitische Regierungschef dringend, denn seine sunnitischen Landsleute proben gerade den Aufstand gegen ihn und seine Zentralregierung. Und dabei hilft ihnen die Terrororganisation Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isis). Im Eiltempo haben sie Mossul, die zweitgrößte Stadt im Irak, erobert, außerdem Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit und bewegen sich nun auf Bagdad zu.

Die Provinz Anbar, nordwestlich von Bagdad, haben sie schon seit Jänner fest im Griff. Ein Jahr lang haben dort die mehrheitlich sunnitischen Einwohner der Provinz friedlich für mehr Rechte im neuen Irak demonstriert, eine größere Teilhabe am politischen Prozess, eine Verbesserung der öffentlichen Einrichtungen und weniger Korruption eingefordert. Geschehen ist nichts. Nun hat die Isis Tatsachen geschaffen und Maliki mit dem Rücken zur Wand gestellt.

Maliki ruft seine Landsleute zur Einigkeit gegen die Isis auf

Der Premier hat nun im Staatsfernsehen dazu aufgerufen, sich gegen die Terroristen zu stellen. Die Aktionen seien nicht gegen Sunniten oder Schiiten gerichtet, sagte er versöhnend. "Das ist Krieg gegen uns alle." Man müsse gemeinsam handeln. Eine Offensive mit Freiwilligen und Mitgliedern der irakischen Armee soll die Isis aufhalten.

Dafür ist Maliki eigens nach Samarra gefahren, weil die Bombardierung der schiitischen Moschee dort im Jahr 2006 einen blutigen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten ausgelöst hat. Viele Iraker befürchten nun eine Neuauflage dieser vernichtenden Konfrontationen. In den vergangenen beiden Tagen soll die Terrororganisation dort Fahrzeuge und technisches Gerät zusammengeführt haben mit der Absicht, nun auch Samarra einzunehmen. Die Stadt liegt 110 Kilometer nördlich von Bagdad.

Zu Hilfe ist Maliki Großayatollah Ali al-Sistani gekommen, die höchste Instanz der irakischen Schiiten. Unmittelbar, nachdem der greise Geistliche mit dem schwarzen Turban die Schiiten zum Kampf gegen die Isis aufgerufen hatte, fanden sich in der als heilig geltenden Stadt Kerbela gleich mehr als 1000 Freiwillige ein, die den Irak von den Terroristen befreien wollen. Mit Bussen wurden sie alle nach Bagdad gebracht. Dort erhalten sie nun eine Schnellausbildung, um dann in den Krieg gegen den Terror zu ziehen. Es ist selten, dass sich Sistani politisch äußert. Religion und Politik sollten getrennt werden, sagte er, als 2005 die neue irakische Verfassung ausgearbeitet wurde. Klar sprach er sich dafür aus, dass kein Turbanträger ein Ministeramt übernehmen sollte, und grenzte sich damit eindeutig gegen den Iran ab, dessen Führungsspitze ausschließlich aus Klerikern besteht. Angesichts des drohenden Chaos, in das der Irak zu versinken droht, fühlt der Ayatollah sich jetzt aber offenbar gezwungen, an die Einheit seines Landes zu appellieren.

Mit grünen Flaggen gegen die schwarzen der Isis

Wie viel Gewicht die Autorität des Geistlichen im Irak hat, haben die vergangenen Tage gezeigt. Immer mehr freiwillige Kämpfer kommen in Bagdad an. Sie ziehen mit Fahnen im Autokorso durch die Stadt, um andere zu motivieren, sich ihnen anzuschließen. Ihre Flaggen sind grün, die Farbe des Islam. Damit grenzen sie sich bewusst von den Kämpfern der Isis ab, die schwarze Flaggen bei sich tragen. Flaggen sind traditionelle Symbole der Eroberung. Samarra sei ihr Ziel - zunächst, hört man auf Nachfrage. Dann Mossul.

Die irakische Regierung meldet bereits Erfolge im Kampf gegen die sunnitischen Isis-Kämpfer. Die Armee habe die Kontrolle über die Städte Tikrit und Samarra nördlich der Hauptstadt Bagdad übernommen und 280 Terroristen getötet, erklärt ein Sprecher Malikis in Bagdad. Der Vormarsch auf die Hauptstadt sei erst einmal gestoppt, heißt es. Die Nervosität des Premiers hat etwas nachgelassen. Die Razzien sind weniger geworden. Bagdad atmet durch. Unterdessen dementiert ein Sprecher der Isis die Angaben der Regierung. Tikrit sei noch immer fest in der Hand der Rebellen. Tal Afar, nördlich von Mossul, sei ebenfalls eingenommen worden, und den Flughafen in Bagdad habe man angegriffen. Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.