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Fremd, exotisch, und doch vertraut

Von Hilde Weiss

Politik
Hilde Weiss ist Sprachermittlerin. Die "Sprachschätze" erscheinen seit März 2003 in der "Wiener Zeitung".

Ob Matratzen und Benzin, ob Hasard, Razzien und Tarife, Zucker, Tassen, Lauten oder Zenit, eines haben sie gemeinsam: Sie stammen aus arabischen Sprachen.


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Und sie sind nicht allein: Orangen, zum Beispiel, Spinat und Limonade, Schecks, Ziffern, Lack und Amalgam sind ebenfalls arabischer Herkunft - wenn auch manche dieser Wörter über das Arabische auf das Persische, das Altindische oder das Griechische zurückgehen. Eine ähnliche Geschichte haben mehr deutsche Wörter als man meinen würde: der Alkohol und die Gitarre, Safari, Sirup, Safran, Sofa und Schach, Arsenal und Admiral, Kaffee und Karat, Magazin, Mokka und Mumie, Tamburin und Talisman und noch viele andere.

Vermittelt wurden uns die meisten dieser Wörter über das Spanische, manche über das Französische und das Italienische. Die ursprüngliche Bedeutung ist auf dieser langen Reise allerdings meist in Vergessenheit geraten.

So heißt zum Beispiel Benzin , umzingelt von Irrtümern, "Weihrauch aus Java" (arabisch luban gawi), wobei mit Java Sumatra gemeint und die Anfangssilbe unterwegs abhandengekommen ist - vom Duft ganz zu schweigen.

Alles x-Beliebige haben wir ebenfalls von den Arabern, die lange vor den Europäern Platzhalter für unbekannte Größen verwendeten: sai, Sache, hieß das X ursprünglich. Daraus wurde zuerst ein S und dann, der spanischen Aussprache folgend, das uns heute so vertraute X, das nach und nach aus der Mathematik auch in den Alltag vorgedrungen ist.

In unserer Matratze , der "Hingeworfenen", steckt - von arabischen Einrichtungs- und Wohnsitten erzählend - das Wort matrah, "wohin etwas geworfen wird": Kissen, Matte.

Unsere Matt igkeit kommt vom Schachspielen. Die steile Karriere des Wörtchens matt - sei es als entkräftet, erledigt, schlapp, schwach, glanzlos, stumpf, flau, mäßig und in vielen anderen Bedeutungen - vollzog sich allerdings auf verschlungenen, teils unbekannten Pfaden, wahrscheinlich unter lateinischem Einfluss. Fest steht: Wer matt ist, liegt zwar auf der Matte, diese kommt aber nicht aus dem Arabischen, sondern aus dem Lateinischen (mittellateinisch matta), eng verwandt mit dem hebräischen Wort mittha für Lager, Bett. Und die Hängematte kommt weder aus dem Arabischen noch aus dem Lateinischen, sondern vom karibischen Wort hamáka für Schlafnetz, das - um sich etwas darunter vorstellen zu können - zu einer hängenden Matte umgedeutet wurde.

Aber zurück zum Arabischen: Die regen Handelsbeziehungen brachten auch die Tarife nach Europa: arabisch tarif, Bekanntmachung, Belehrung, später Preisliste. Und in unseren Tassen steckt das arabische Wort tasa für Napf, Schälchen. Die Angst, nicht alle davon im Schrank zu haben, hat sich jedoch unter dem Einfluss des jiddischen Wortes toschia für Verstand entwickelt.

Der Zucker (arabisch sukkar) geht auf das altindische Wort sárkara für Kies und Grieß zurück. Das klingt alltäglich, aber Zucker wurde anfangs noch nicht großzügig in Tassen gekippt, sondern äußerst sparsam dosiert als Heilmittel verwendet: gegen Fieber, Durchfall und Husten, auf offenen Wunden und bei manchen Hauterkrankungen. Für alles andere wäre er viel zu teuer gewesen. Ein Kilo Zucker hatte im Mittelalter mindestens den Wert von 100 Kilo Weizen.

Den Zenit haben wir jedoch einem Irrtum zu verdanken. Er kommt vom arabischen samt ar-ras für Richtung des Kopfes, Scheitelpunkt. Aus samt wurde cemt, dann zemt, dann - wohl ein Abschreibfehler - zenit.

Und die Laute mag zwar sehr laut sein, sie heißt aber nach dem arabischen Wort al-ud "das Holz", und Razzia (algerisch-arabisch gaziya) heißt "Raubzug".

Nächsten Dienstag: Ist von "Zukunftsprognosen" die Rede, von "weltweiter Globalisierung", "totalem Burnout", wird so manches klar.

Hilde.Weiss@wienerzeitung.at