Europas Rechtsparteien ringen um Partnerschaften. Gemein ist ihnen der Kampf gegen die europäische Integration und gegen Zuwanderung.
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Wien. Schüchtern sind Europas Rechtsparteien gewöhnlich nicht. Journalisten werden umgehend mit Statements versorgt, wenn es um die Zukunft der E U oder die Flüchtlingspolitik in der Union geht. Auf Tauchstation befinden sich die Gruppierungen aber, wenn man sie nach ihren potenziellen Kooperationspartnern fragt. Anfang des Monats verkündete die italienische Lega Nord, am Dienstag dieser Woche ihre Wahlallianz für die EU-Parlamentswahl im Mai offiziell bekanntzugeben. Mit an Bord seien die FPÖ, die französische Front National (FN) und die niederländische Freiheitspartei PVV. Bloß, der Termin fand nicht statt. Und auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" stellte man sich in den Niederlanden und in Frankreich taub. "Ich weiß nicht, was von einer Wahlallianz gesagt wurde", erklärt FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky. Es gebe aber ohnehin eine informelle Allianz, so seien die Freiheitlichen Anfang Mai zu einer großen Lega-Kundgebung eingeladen. "Das muss man also nicht formalisieren", sagt Vilimsky.
Formalisierung kann aber sehr hilfreich sein, etwa für die Gründung einer Fraktion im Europäischen Parlament. 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Ländern sind hierfür notwendig. Die Bildung wird mit dem Zugriff auf Posten und Ressourcen belohnt, so sind Abgeordnete aus Fraktionen Mitglieder in den wichtigen Ausschüssen des Europaparlaments. Und vor jeder Abstimmung im Plenum prüfen die Fraktionen die Berichte aus den Ausschüssen und reichen Änderungsanträge ein. Sieben Fraktionen gibt es derzeit. Die größte Gruppierung - und das bereits seit dem Jahr 1979 - ist die konservativ-christdemokratische Europäische Volkspartei, gefolgt von den Sozialdemokraten (S&D). Laut "Pollwatch 2014" bleibt das auch nach der Wahl 2014 so, die EVP wird demzufolge 222 Sitze im neuen EU-Parlament erhalten, die Sozialdemokraten 209. Weiters vertreten sind derzeit die liberale Alde, die Grünen und eine Fraktion links von den Sozialdemokraten.
Rechts der Mitte tat sich in den vergangenen Jahren einiges: So haben die britischen Konservativen und die tschechische ODS, federführend unter dem damaligen Präsidenten Václav Klaus, der Europäischen Volkspartei den Rücken gekehrt und die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) gegründet. Ihr wichtigster Partner ist Recht und Gerechtigkeit des ehemaligen polnischen Premiers Jaroslaw Kaczynski. EKR zählt 57 Abgeordnete, mit 31 Parlamentariern ist Europa der Freiheit und Demokratie (EFD) die kleinste Fraktion. Sie entstand unter der Führung der rabiat isolationistischen UK Independence Party. Außen vor blieben jedoch FPÖ, Front National und Co., deren Abgeordnete ein Schattendasein als fraktionslose Parlamentarier führten.
Le Pen und Wilders als treibende Kräfte der Allianz
Seit langem bemühte sich Andreas Mölzer daher, jene Parias des Europäischen Parlaments zusammenzuführen. Einzige Bedingung: Ja nicht anstreifen an offen antisemitische, rechtsradikale oder neonazistische Parlamentarier wie jene der ungarischen Jobbik, der bulgarischen Ataka oder der griechischen Goldenen Morgenröte. Neben dem Kern aus FPÖ, Lega Nord, Front National und Freiheitspartei ist man auf der Suche nach drei weiteren Partnern und hofft, sie in den Schwedendemokraten, dem flämischen Vlaams Belang und der Slowakischen Nationalpartei (SNS) gefunden zu haben. Für "nicht unwahrscheinlich" hält Daniela Kietz von der Stiftung Wissenschaft und Politik gegenüber der "Wiener Zeitung" diese Kooperation, jedoch: "Diese Parteien haben Schwierigkeiten mit Anderen, Fremden. Insofern ist eine internationale Kooperation zwischen jenen Kräften prinzipiell nicht einfach. Die Parteien haben auch völlig unterschiedliche Vergangenheiten und differierende Zugänge zu wirtschaftspolitischen Themen", sagt die Forscherin des Berliner Think Tanks.
Trotz Mölzers früheren Bemühungen, die mit seinem erzwungenen Rückzug für ihn unbelohnt bleiben: Die wahren Tonangeber der geplanten Rechtsfraktion sitzen nicht in Wien, sondern in Paris und Amsterdam. Schon alleine die zu erwartende Stärke der Front National verleiht Marine Le Pen enormes Gewicht. Umfragen zufolge könnte die FN von derzeit drei auf bis zu 20 Mandate im Mai kommen, würde damit schon allein vier Fünftel der notwendigen Abgeordnetenzahl für eine Fraktion stemmen. Während sich die Front National zwar verbal wesentlich moderater als unter Marine Le Pens Vater Jean-Marie gibt, stellen Rechtsextreme noch immer einen Gutteil der Basis. Wilders’ PVV ist ideologisch sehr flexibel, ihre Euroskepsis ist ein Produkt der vergangenen Jahre, und nicht eine prinzipielle Einstellung. Auch der (frühere) Antisemitismus der FN ist den Niederländern fremd. Ihr gemeinsames Feindbild finden die beiden Parteien im Islam.
EU-Spitzenkandidatin abgesprungen
Unwidersprochen bleibt dieser Kurs aber nicht einmal parteiintern. "Wollt Ihr weniger oder mehr Marokkaner in Eurer Stadt und in den Niederlanden?", fragte Wilders bei einem Wahlkampfauftritt im März. "Weniger. Weniger!", skandierten die Anhänger, was den Parteichef veranlasste zu sagen, die PVV werde sich darum kümmern. Tausende Bürger zeigten Wilders daraufhin an, zwei Abgeordnete im Haager Parlament traten aus der Partei aus, auch die PVV-Spitzenkandidatin für die Europawahlen, Laurence Stassen, nahm ihren Hut. Trotz der Affäre steht Wilders’ Partei in Umfragen bei 16 Prozent.
Zwei Rechtsfraktionensind eine zu viel
Weniger gut steht es um die Lega Nord, ihr setzt die Fünf Sterne-Bewegung des Polit-Clowns Beppe Grillo zu, die massenweise Protestwählerstimmen aufsaugt. So liegt die Lega in Umfragen bei knapp fünf Prozent der Stimmen und erreicht damit lediglich ein Fünftel von Grillos Partei. Die Lega ist essenzieller Baustein der FPÖ-Fraktion, in der laufenden Legislaturperiode gehört sie aber der Fraktion Europa der Freiheit und Demokratie an. "Die Lega ist weiter nach rechts gerückt, hat ihren Ton beim Thema Einwanderung noch verschärft. Insofern wäre sie bei Front National und Wilders besser aufgehoben als derzeit bei der UK Independence Party, analysiert Daniela Kietz. Mit der Lega überlaufen könnte auch die Slowakische Nationalpartei. "Im Europaparlament würden wir sicherlich nach Partnern mit gemeinsamen oder ähnlichen Positionen suchen", erklärte der Parteivorsitzende Andrej Danko, will sich aber noch nicht festlegen. Ob die SNS überhaupt einen Sitz ergattern kann, ist derzeit ungewiss, sie rangiert in Umfragen knapp unter der in der Slowakei notwendigen Fünf-Prozent-Hürde.
Schaffen SNS oder Lega Nord nicht den Einzug in das Europaparlament, stellen sie die Masterminds in den geplanten Fraktionen vor große Probleme. Denn die Auswahl an potenziellen Partnern ist gering. "Zwei Fraktionen mit rechtspopulistischen bzw. rechtsextremen Parteien wird es daher kaum geben", schätzt Politikwissenschafterin Kietz. Und eine Bündelung der Kräfte ist ausgeschlossen - obwohl viele dieser Parteien die EU prinzipiell als undemokratisch und bürokratisch ablehnen und der einzig legitime Ort für politische Entscheidungen für sie der Nationalstaat oder die Region ist. Doch grenzt sich die UK Independence Party scharf vom Front National ab, sie sieht die Le Pen-Partei als weiterhin rechtsradikal an. Und die Wahren Finnen möchten nichts mit den Schwedendemokraten zu tun haben. Diese seien "not my cup of tea", sagte der Chef der Wahren Finnen, Timo Soini, wörtlich. Stattdessen wollen Finnlands Populisten mit der Dänischen Volkspartei und der UKIP zusammenarbeiten.
Symbolischer Erfolg statt realem Einfluss
Viel deutet damit auf einen äußerst mühsamen Fraktionsbildungsprozess im rechten Lager hin. Doch wie wichtig ist es den Parteien eigentlich, Fraktionsstatus zu erhalten? "Es handelt sich in erster Linie um einen symbolischen Erfolg", sagt Daniela Kietz von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Denn im kommenden Parlament sitzen Schätzungen zufolge 80 Abgeordnete rechtspopulistischer oder rechtsextremer Parteien. Einige davon werden fraktionslos bleiben, und diejenigen in einer Fraktion stellen im Vergleich zu den 751 Mandataren des Parlaments nur eine Minderheit dar. Der reale Einfluss bei Abstimmungen ist somit beschränkt - ohnehin fallen mehr als 70 Prozent der Entscheidungen im Europäischen Parlament im Zusammenspiel einer großen Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten.
"Letztlich geht es den rechten Parteien um zwei Dinge: EU-Gelder zu erhalten und das Europaparlament als Bühne zu benutzen, um die nationale Politik zu kritisieren und zu beeinflussen", sagt Kietz. Manche machen nicht einmal das: Marine Le Pen fordert zwar, die EU solle explodieren, Euro und Schengen-Freiheiten gehörten abgeschafft. Im Europäischen Parlament, dessen Abgeordnete sie seit 2004 ist, meldet sich Le Pen dennoch fast nie zu Wort.