Kopenhagen - Nach zwei Wochen Wahlkampf in Dänemark mit der Ausländerpolitik im Zentrum gibt es vernichtende Kritik an dem fast beispiellosen Ton von Spitzenpolitikern gegenüber "Fremden". "Man stelle sich doch nur mal vor, dass dieselbe Hetze gegen Juden gerichtet wäre", meinte entsetzt die Chefin der Zentrumsdemokraten und Ex-Ministerin, Mimi Jakobsen, eine der populärsten Politikerinnen im Lande. Helle Stenum von der kirchlichen Hilfsorganisation MS befand, dass "der Sprachgebrauch der Debatte geprägt ist von Aussagen, die in anderen Ländern nur von Rechtsextremisten kommen".
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Anlass für die zum sonst so freundlichen Image der Dänen gar nicht passende Einstufung haben nicht zuletzt der sozialdemokratische Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen und sein Herausforderer sowie Namensvetter Anders Fogh Rasmussen einschließlich ihrer führenden Mitstreiter geliefert. Nachdem der amtierende Regierungschef öffentlich ein Gebetsverbot für Mohammedaner am Arbeitsplatz verlangt hatte, riet der Oppositionschef Zugewanderten mit Anpassungsproblemen an das dänische Alltagsleben: "Wenn sie so sehr gegen unsere Kultur sind, sollen sie doch wieder in ihre Heimat zurückkehren." Schon in den Vorjahren herrschte zur Asylpolitik in Dänemark ein viel rauherer Ton als bei den skandinavischen Nachbarn. Und das, obwohl das Land mit einem Ausländeranteil von nur 7 Prozent, gut gefüllten Staatskassen und einem seit fast 10 Jahren anhaltenden Wirtschaftsboom hervorragende Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integrationspolitik bietet. Mit den Terroranschlägen des 11. September in den USA aber verschärfte sich die ohnehin schon große Aufmerksamkeit gegenüber Problemen mit den wegen ihrer Hautfarbe oder Religion als "Fremmede" (Fremde) eingestuften Zuwanderern noch einmal drastisch. Regierung wie Opposition setzten auf das Thema, um die Wahl zu gewinnen. So überboten Innenministerin Karen Jespersen und die rechtsliberale Anwärterin auf das Amt der Justizministerin, Birthe Rönn Hornbech einander im Wettstreit, wer die "härtesten" Vorschläge für die Verschärfung oder Abschaffung des bisherigen Rechts auf Familienzusammenführung bringen kann. Hornbech erklärte, man müsse es "Türken, Pakistanern und vielleicht Somaliern" gesetzlich unmöglich machen, Ehepartner noch in dritter und vierter Einwanderergeneration aus der Heimat zu holen. Damit profilierte sie sich gegen Innenministerin Jespersen, deren Forderung nach Deportation krimineller Asylbewerber auf eine einsame Insel vom letzten Jahr inzwischen zu einem in Dänemark jedermann bekannten Symbol für den Ton in der Ausländerdebatte geworden ist.
Dass führende Politiker der Mitte mit solchen Mitteln um Wählerstimmen werben, wird von den traditionell auf das Thema Ausländerpolitik "abonnierten" Rechtspopulisten dankbar registriert. Die Dänische Volkspartei kann mit mehr als zehn Prozent der Stimmen rechnen, und muss im Wahlkampf kaum aktiv werden. Allein das Topthema "Fremde" bringt Parteichefin Pia Kjärsgaard mit ziemlicher Sicherheit Wählerstimmen. Kjärsgaard ist als Mehrheitsbeschafferin vom rechtsliberalen Oppositionschef Rasmussen akzeptiert, auch nachdem der Europaabgeordnete der Dänischen Volkspartei, Mogen Camre, in einer Rede erklärte: "Die Muslime warten nur auf den richtigen Augenblick, um uns ermorden zu können."
Der seit 25 Jahren in Dänemark arbeitende schwedische Sozialpsychologe Lasse Dencik von der Universität Roskilde nannte den Ton der Ausländerdebatte in der Zeitung "Politiken" "vulgär" und "roh". Seit den dreißiger Jahren in Deutschland habe es nichts Vergleichbares in Europa gegeben. "Zu roh" finden den Ton beim zentralen Wahlkampfthema auch der sozialdemokratische Regierungschef und die Sprecher der Opposition. Die Schuld weisen sie der jeweils anderen Seite zu.