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Fremdsein hat viele Gesichter

Von Stefan Beig

Politik
Schreiben als Suche nach der eigenen Identität: Sinisa Puktalovic, Eva Schmidt, Elina Mikkilä, Sarah Al-Hashimi, Silvia Hlavin, Anna Mwangi (v.l.n.r.) im Gespräch mit WZ-Redakteur Stefan Beig.
© © Stanislav Jenis

Autoren mit Migrationshintergrund mischen heimische Literaturszene auf.


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Wien. Besungen und verklärt, bekämpft und verspottet, das alles wurde Österreich bereits in der heimischen Literatur. Und heute? Es scheint, als würde Österreich zurzeit literarisch neu erfunden. Immer mehr heimische Schriftsteller mit anderen Muttersprachen mischen Österreichs Literaturszene auf. Sie werfen ein neues Licht auf Identität und Heimat. Einige von ihnen - Julya Rabinowich und Seher Cakir etwa - feierten ihre ersten Erfolge bei der edition exil und wurden vor mehreren Jahren mit dem Exil-Literaturpreis ausgezeichnet.

Unter den Bewerbern um den Exil-Literaturpreis sind jedes Jahr auch Teilnehmer der Schreibwerkstatt "Zwischenkulturelles Schreiben", die Jahr für Jahr an der Volkshochschule Hietzing durchgeführt wird. Migrationserfahrungen und Mehrsprachigkeit sind ein Potenzial für die Literatur, findet Kursleiterin Eva Schmidt. Sie verweist dabei auf sprachliche Erzeugungen und Wortneuschöpfungen. "Wer nicht immer hier gelebt hat, der hat einen anderen Blick auf Integration und Migration", betont die Germanistin und Slawistin.

An ihrem zweisemestrigen Kurs nehmen auch Autoren ohne Migrationshintergrund teil. Bei allen steht aber die literarische Auseinandersetzung mit Identität, Integration oder Leben zwischen den Kulturen im Vordergrund. Zwei Bücher mit Texten der Teilnehmer sind bereits erschienen, ein drittes folgt in Kürze. Am 20. September werden die Autoren um 20 Uhr im Amerlinghaus im siebten Wiener Gemeindebezirk ihre neuen Texte vorlesen.

Sieben sehr kurze Geschichten, meist nur ein, zwei Absätze lang, hat Sarah Al-Hashimi, 27 Jahre alt, geschrieben. "Heimatlos" ist ihre Serie betitelt. "Ich wollte mit unterschiedlichen Protagonisten zeigen, dass es verschiedene Arten von Heimatlosigkeit gibt", erzählt die Psychologiestudentin. "Man kann auch an seinem eigenen Ort heimatlos werden." Ihre erste Geschichte "Ich existiert nicht" handelt etwa von einer depressiven Frau, "die in sich selbst nicht zu Hause ist", sagt die Autorin. "Lisa hofft, irgendwann würde es von allein wieder kommen. Irgendwann würde sie sich wieder spüren", endet die Erzählung. In ihrer zweiten Geschichte beschreibt Al-Hashimi die Heimatlosigkeit in einer Eltern-Kind-Beziehung: "Daniels Mutter will ihr Kind einfach nur loswerden. Jede Bewegung, jeder Ton und jeder Blick ist für sie zuviel."

Sarah Al-Hashimi betont: "Heimat ist ein mehrdeutiger Begriff. Er meint nicht nur das Land, in dem man geboren ist. Man kann sich in jedem Moment heimatlos fühlen." Das sei nicht nur bei Asylsuche und Migranten so. Es gebe Situationen, "die dasselbe Gefühl auslösen. Es ist, als hätte man seine Wurzel und den Boden unter den Füßen verloren. Heimat hat etwas mit Sicherheit zu tun." Zur Schreibwerkstatt kam Al-Hashimi über ihre eigene Identitätssuche, mit der sie sich vor allem künstlerisch auseinanderzusetzen wollte. Sarah Al-Hashimi ist in Wien geboren, ihr Vater ist Iraker. Die Eltern sind geschieden, bis heute falle es ihr schwer, die Kultur ihres Vaters zu integrieren, erzählt sie.

"Drei Streifen", die Erzählung von Silvia Hlavin, ist stark autobiografisch. Der Titel ist eine Anspielung auf die Adidas-Hose, die zur Zeit des Kommunismus ein Symbol für den Westen war. Was das bedeutet, hat Hlavin selbst erlebt, als sie in ihrer Kindheit Verwandte in Ungarn besucht hat. "Obwohl ich genauso gut Ungarisch konnte, habe ich damals am Spielplatz schmerzhaft gespürt, dass ich wegen der falschen Hose ausgegrenzt wurde. Der Neid spielte eine Rolle. Ich war nicht ein Teil von ihnen." Hlavin hat kürzlich einen Roman - "Sein Rosentum" - herausgebracht.

Kampf ums Visum

Ebenso persönlich ist die Geschichte "Das Visum" von Anna Mwangi: Eine ungarische Frau bemüht sich um eine Aufenthaltsgenehmigung für ihren kenianischen Freund. Was Mwangi hier beschreibt, das hat sie tatsächlich mit ihrem späteren Ehemann erlebt, erzählt die gebürtige Ungarin. Obwohl die Geschichte bedrückend ist, ist ihre Beziehung zu Österreich positiv, denn die Erfahrungen im Stalinismus waren viel schlimmer, sagt sie.

Um Tagespolitik geht es in "Post von der F". "Nicht die Herkunft vermittelt die Angst. Es ist die menschliche Unmündigkeit, die du nie besangst", schreibt darin der kroatisch-stämmige Politikwissenschaftstudent Sinisa Puktalovic an den FPÖ-Chef. Puktalovic hat Nationalismus schon als Kind erlebt. Währen des Kriegs ist er nach Wien geflohen. Den nationalistischen Umschwung hat er in Kroatien in der Schule miterlebt, als auf einmal faschistische Lieder gesungen wurden.

Elina Mikkilä ist in vielen Sprachen daheim. Sie stammt aus Finnland, studierte später in Frankreich und Russland und schreibt nun ihre Dissertation an der Universität für angewandte Kunst in Wien; das Werk ist an der Schwelle von Wissenschaft und Kunst, es ist ein Roman, der den Schreibprozess beschreibt. Mikkilä spricht von "künstlerischer Forschung", die durch Kunst neues Wissen produziert. Zwei Ausschnitte daraus sollen im neuen Buch Eingang finden. "Ich habe eine emotionale Verbindung zur französischen Sprache", erzählt sie. "Deutsch ist für mich mehr akademisch, was das kreative Schreiben schwierig macht."

"Dem Literaturunterricht fehlt es noch an Offenheit", kritisiert Eva Schmidt. "Er ist zu sehr auf Tradition konzentriert." In ihrer Werkstatt bringt sie alle zwei Wochen Texte mit, die das Fremdsein aufgreifen. Bei den neuen Beiträgen der Autoren wird deutlich: Fremdsein hat viele Gesichter.