Premier Kostunica ruft Serben auf, nicht aus dem Kosovo zu fliehen. | Russland hat alte Rechnung mit Westen zu begleichen. | Pristina/Wien. Ganz Kosovo steht Kopf, die albanische Mehrheitsbevölkerung fiebert einem magischen Ereignis entgegen. Am Sonntag, spätestens am Montag, soll die lang ersehnte Unabhängigkeit ausgerufen oder doch zumindest ein genaues Datum genannt werden, an dem der historische Bruch mit dem verhassten Serbien vollzogen wird. Ein geradezu pompöser Festakt soll die Bedeutung des Anlasses unterstreichen, Kosovos eilig zusammengetrommelte Philharmoniker üben bereits in Ermangelung einer eigenen Hymne Beethovens Ode an die Freude ein. Ministerpräsident Hashim Thaci hat aus albanischen Honoratioren ein Komitee gebildet, das die Festlichkeiten koordiniert. In der Hauptstadt Pristina und in den anderen großen Städten wird es Volksfeste mit Buden, Feuerwerk und Musik geben.
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Während sich im Kosovo die Begeisterung langsam zum Freudentaumel steigert, schwanken die Serben zwischen Panik, Wut und Zurschaustellung trotziger Entschlossenheit. Viele Kosovo-Serben überlegen, ob sie nicht ihre Kinder über das Wochenende zu Verwandten ins serbische Mutterland schicken sollen. Die Angst geht um, dass sich der albanisch-nationalistische Überschwang in Aggression wendet, vor allem die zwischen Serben und Albanern aufgeteilte Stadt Mitrovica gilt hier auch bei westlichen Militärs als Gefahrenherd.
Serbiens Premier Vojislav Kostunica gibt unterdessen Durchhalteparolen aus. Die im Kosovo lebenden Serben seien aufgerufen, "in ihren Häusern, in ihrer Provinz und in ihrem Serbien" zu bleiben. Niemand außer Serbien habe Anrecht auf das Gebiet, die Unabhängigkeit sei schon vor ihrer Ausrufung null und nichtig. Die Mitglieder der kosovarischen Regierung seien zudem nichts als in Serbien verurteilte Verbrecher, so der Premier. Auch die serbisch-orthodoxe Kirche hat sich in den Kampf um Blut und Boden eingeschaltet: Der eigenständige Kosovo sei wie eine "Krebsplage", heißt es.
Die Serben wollen also keinen Millimeter weichen - und sie stehen nicht allein da. Einen erprobten Verbündeten haben sie in Russland, das die Anerkennung eines unabhängigen Kosovo im UN-Sicherheitsrat zu verhindern wusste und auch diesmal den Bestrebungen der EU und der USA einen Strich durch die Rechnung machen will.
Eine Ursache des russischen "Njet" ist, dass Moskau im Kosovo eine alte Rechnung offen hat. Vor neun Jahren, im Juni 1999, wurde die Ex-Supermacht dort vom Westen gedemütigt, russische Soldaten mussten das Feld räumen und unverrichteter Dinge abziehen. Denn Moskau schwebte damals eine Teilung des Kosovo vor. Die Nato sollte auf den südlichen Teil beschränkt bleiben, der serbisch besiedelte nördliche Teil um Mitrovica sollte von russischen Truppen gesichert werden.
Unvergessene Schmach
Ein russisches Vorauskommando von 200 Mann hatte am 11. Juni 1999 den kosovarischen Flughafen in Besitz genommen. Eine nicht ungefährliche Konfrontation mit dem Westen drohte, als der damalige russische Präsident Boris Jelzin nach Intervention seines US-Amtskollegen Bill Clinton klein beigab und zum Rückzug blasen ließ. Vergessen hat man in Moskau diese Schmach bis heute nicht, man will sich generell nicht mehr als abgedankte Supermacht behandeln lassen. Das gilt für den geplanten US-Raketenabwehrschild ebenso wie für den Kosovo.
Belgrad jedenfalls wird mit allen Mitteln gegen die Unabhängigkeit des Kosovo vorgehen, ausgeschlossen hat man nur Gewaltanwendung. Dass Serbien den neuen Kleinstaat wirtschaftlich blockieren wird, steht so gut wie fest. Jenen Ländern, die den Kosovo anerkennen, droht Belgrad mit noch nicht näher definierten diplomatischen Sanktionen.
Wissen: Völkerrecht
Rechtlich steht einer Unabhängigkeit des Kosovo nichts entgegen. Das behauptet der deutsche Völkerrechtler Jochen Frowein. Die geltende UNO-Resolution 1244 zum Kosovo enthalte kein Verbot der Unabhängigkeit, die UNO-Charta oder die Helsinki-Schlussakte würden den Schritt ebenfalls nicht untersagen.
Die von Serbien in der Kosovo-Frage geltend gemachte Unverletzlichkeit von Staatsgrenzen schütze nämlich nur vor Gewaltanwendung, sagt Frowein. Friedliche Grenzveränderungen seien immer möglich, sonst hätte es auch keine Wiedervereinigung Deutschlands geben können, argumentiert der Jurist, der in Österreich als einer der "drei Weisen" während der "Sanktionszeit" gegen die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000 bekannt ist.
Das Selbstbestimmungsrecht des Kosovo gründet sich laut Frowein auf die Resolution der UN-Generalversammlung 2625 vom Oktober 1970, wonach eine ethnisch klar abgrenzbare Minderheit das Recht auf Sezession habe, wenn sie unterdrückt werde. Der Kosovo erfülle diese Bedingungen, da seine Bevölkerung aufgrund der albanischen Mehrheit "Volksqualität" habe und diese von den Serben unterdrückt worden sei. Es gebe keinen Unterschied zur Sezession anderer ex-jugoslawischer Teilrepubliken. Dazu komme, dass der Kosovo verwaltungsmäßig seit Jahren von Serbien getrennt sei.
Den Einwand, die Kosovo-Albaner hätten wegen der fehlenden Unterdrückung kein Recht auf Sezession mehr, wies Frowein zurück. Das würde bedeuten, Serbien dürfte den Kosovo behalten, "weil die UNO verhindert hat, dass die serbische Unterdrückung weitergeht".