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Freudige Depesche nach Moskau

Von Stefan Karner

Politik
Im geteilten Wien - im Bild die Alliierte Polizei - rang man um die Einheit Österreichs. BPD, Karl von Vogelsang Institut

Sowjets und Briten werten Länderkonferenz als Erfolg. | Teilung des Staates aus wirtschaftlichen Überlegungen nicht durchgeführt. | Wien."Die Konferenz entwickelte sich in die von uns gewünschte Richtung. Die Regierung Renner wurde auf der Konferenz anerkannt. Als man auf der Konferenz Einigung über eine Vergrößerung der Regierung erzielte, [...] griff Renner zu einem kleinen Trick: Vor allen Konferenzteilnehmern verlas er die Zusammensetzung der gesamten Regierung mit den neuen Mitgliedern. Die Briten haben das aufgegriffen und schrieben von einer völligen Reorganisierung und Neubildung der Regierung. Es ist offensichtlich, dass sie sich zumindest damit etwas trösten und sich das Leben versüßen wollen."


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Noch tief in der Nacht, gegen 3 Uhr morgens, kabelte Michail E. Koptelow, stellvertretender Politischer Berater der Sowjets in Wien, die Meldung nach Moskau. Aus seiner Sicht war die Länderkonferenz, sie war am Mittwoch, 26. September 1945 im Niederösterreichischen Landhaus nach drei Tagen zu Ende gegangen, ein voller Erfolg für die Sowjets geworden.

Renner war Stalins Hoffnungsträger

Und Koptelow lieferte auch gleich die Begründung für seine Erfolgsmeldung mit: Karl Renner, auf den Stalin und die Sowjets alle Erwartungen setzten, hatte seine Regierung im Wesentlichen durchgebracht, Sozialisten und Kommunisten wirkten geschlossen.

Koptelow: "Bei Verkündigung der Zusammensetzung der Regierung und der Nennung Renners als Kanzler brandete stürmischer Applaus von allen Teilnehmern auf. Sodann klatschten Koplenig und Fischer [beide KPÖ] Beifall. Seine Bedeutung nimmt zu, und seine Autorität festigt sich. Die Kommunisten waren nach der Konferenz in aufgeweckter Stimmung. Renner auch. Renner zeigte sich auf der Konferenz von seiner besten Seite. Den Angriffen auf Honner [KPÖ] seitens der Katholiken [gemeint: ÖVP] konnte er sehr gut begegnen. Die Kommunisten präsentierten sich auf der Konferenz ebenfalls überzeugend und geschickt. Sie bestanden die Prüfung. [...] Kommunisten und Sozialisten verfestigen [...] ihre sich anbahnende Annäherung [...und] erwiesen einander gegenseitig Unterstützung."

Stalin hatte seit Ende März 1945 auf die Karte Renner gesetzt. In dem knapp 75-jährigen, mehrfach angepassten Politiker sah Stalin jenen Mann, der einen evolutionären Übergang Österreichs zum Sozialismus/Kommunismus einleiten würde.

Eine von allen "antifaschistischen" Parteien gebildete, stabile Regierung unter Renners Führung war dazu eine notwendige Basis. Die KPÖ würde sich in ihr etablieren, Schritt für Schritt mehr Einfluss gewinnen und in der Bevölkerung Zulauf bekommen. Daher förderten die Sowjets auch Renners Initiative zur Abhaltung der Länderkonferenz in Wien (Fritz Molden, damals Verbindungsmann des Tiroler Landeshauptmannes Karl Gruber: "Wir wollten nicht nach Wien zu den Russen, [...] wir wollten ohne Druck verhandeln. Daher wollten wir alle nach Linz oder Salzburg einladen" ), weil sie sich von ihr die Anerkennung der Renner-Regierung auch durch die Westmächte versprachen (realisiert am 20. Oktober 1945) und eine Teilung Österreichs nicht in ihrem Interesse gelegen war.

Westliche Vorbereitung in Salzburg

Für Österreich wurde die September-Länderkonferenz zu einer Geburtsstunde der Einheit des Staates. Neben aufgeblitzten separatistischen Überlegungen bestand vor allem die wirtschaftliche Teilung des Staates und verschärfte sich weiter. Daher fuhren die ÖVP-Politiker aus den westlichen, ÖVP-dominierten Bundesländer mit einem klaren Auftrag nach Wien, den ihnen ein Parteibeschluss in Salzburg tags zuvor, am 23. September 1945, vorgegeben hatte.

Der Auftrag hatte sich in einer Erkundungstour von Herbert Braunsteiner durch Westösterreich, mehreren Besprechungen und zwei ÖVP-Vorkonferenzen in Salzburg herauskristallisiert und umfasste, neben dem Einbau von Bundesländervertretern in die Renner-Regierung, vor allem den Aufbau eines gemeinsamen Wirtschaftsgebietes durch eine einheitliche Verwaltung, die Ernährungssicherung für die Menschen des Landes sowie die Freiheit von Verkehr, Post und Telegraphie durch den Abbau der Zonengrenzen und Beschränkungen. Dazu kam die ÖVP-Forderung nach der Rückkehr Südtirols zu Österreich. Auf ähnliche Positionen hatte sich auch die SPÖ Mitte September in einer Vorkonferenz von Landesorganisationen der westlichen Bundesländer in Salzburg festgelegt.

Gesucht: Gegenseitiges Vertrauen

Für Renner war die 1. Länderkonferenz eine Plattform und ein Instrument

zur Anerkennung seiner Regierung durch den Alliierten Rat für ganz Österreich,

zur Bestätigung und Dokumentierung des föderalen Aufbaus des Staates gemäß der Verfassung,

zur Einbindung der Bundesländer bei der Beseitigung der größten Sorgen: Ernährung, Versorgung, Entnazifizierung und Organisierung der freien Wahlen

Im Wesentlichen ging es für beide Seiten auf der Konferenz jedoch um die Schaffung einer Vertrauensbasis. Zahlreiche westliche Politiker hatten Minister und Staatskanzler Renner nicht gekannt und umgekehrt. Renner und seine Regierung erschienen vielen als sowjetische Marionetten. Renner wiederum versuchte, eine Mitwirkung der westlichen, von den Westalliierten, besonders den Amerikanern dominierten Bundesländern an seiner Politik zu erreichen. Schließlich bestand ein mitunter gewaltiger Altersunterschied zwischen den führenden Akteuren: Renner war fast 75, Gruber knapp 40 Jahre jünger!

Um die Ziele wurde auf der Konferenz hart gerungen. Das Ergebnis brachte den von der ÖVP und von Renner bzw. den Sowjets gewünschten Erfolg:

Die Regierung wurde von allen Bundesländern anerkannt,

die ÖVP erhielt die von ihr gewünschten Positionen in der Regierung (der Tiroler Karl Gruber, ÖVP, für Äußeres, der Kärntner Vinzenz Schumy, ÖVP, früher "Landbund", für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung) und

die westlichen Bundesländer fühlten sich eingebunden.

Zudem wurde die Abhaltung freier Wahlen am 25. November 1945 in ganz Österreich beschlossen. Eine Spaltung des Landes wurde verhindert.

Die zwei folgenden Wiener Länderkonferenzen im Oktober 1945 beschäftigten sich vor allem mit der Organisierung der Wahlen, mit der Novellierung des Verbots- und Wirtschaftssäuberungsgesetzes und mit dem Aufbau einer zentralen Wirtschaftsplanung, die schließlich unter Schumy, später Herbert Krauland (ÖVP) und mit Sektionsleiterin Margarethe Ottillinger in einem eigenen Ministerium zentralistisch durchgeführt wurde.

Wandel zum Günstling der Imperialisten

Österreich wuchs nach den Wahlen 1945, der Einsetzung der Regierung Leopold Figl und der Wahl von Karl Renner zum Bundespräsidenten, im Inneren weiter zusammen. Wenn es auch noch ein gutes halbes Jahr dauerte, bis das Land auch ein einheitliches Wirtschaftsgebiet geworden war (Herbert Matis, Roman Sandgruber). Eine wesentliche Basis dazu legten die Länderkonferenzen 1945, von denen die erste, vor nunmehr 60 Jahren, den entscheidenden Durchbruch brachte.

In Renner hatten sich die Sowjets freilich gehörig getäuscht. Schon bald nach den Länderkonferenzen wurde er in internen Berichten als "treuer Günstling der Imperialisten, der zur Zersetzung der arbeitenden Klasse beiträgt und diese vergiftet", bezeichnet. Ein Mann, auf den man sich nicht verlassen könne. Aber da waren die Weichen bereits gestellt.

Stefan Karner, Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der Uni Graz; Leiter des Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung (8010 Graz, Schörgelgasse 43). Die sowjetischen Quellen stammen aus dem kürzlich erschienenen Buch: St. Karner - B. Stelzl-Marx - A. Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Dokumente. Oldenbourg. Graz-Wien- München 2005. *

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