Zum Hauptinhalt springen

Freud’sche Leistungen

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ob mit schlichtem "Ich gelobe" oder auch mit "heiligem Herzen Jesu Christi" - die neue Regierung gab sich eine recht profane Zukunft, die allerdings sklavisch am Detail hängt. Das Budget 2014 steht - wenn keine globale Katastrophe eintritt - bombensicher, bevor es das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat. Die Maßnahmen sind so gesetzt, dass 2016 die Regierung die Ernte einfahren kann - ein "strukturelles Null-Defizit" (grässliche Wortschöpfung, eigentlich).

Vermutlich ist genau hier der Quell der Unzufriedenheit festzumachen. Als Österreicher bleibt nichts anderes übrig, als Sigmund Freud zu bemühen. SPÖ und ÖVP haben als Koalition ein neurotisches "Ich", ein starkes "Über-Ich" und so gut wie kein "Es".

Dass aus dieser Konstellation eher schizophrene Persönlichkeiten entstehen, verwundert kaum. Das "Es", grob vereinfacht das Neugeborene, lebt seine Triebe aus, ziemlich ungehemmt. SPÖ und ÖVP haben keine gemeinsame Geschichte, das Gegenteil ist der Fall. Lager-Solidarität, also die gemeinsame Inhaftierung von Sozial- und Christdemokraten durch die Nazis, trat nach 1945 an diese Stelle. 2013 ist dies nur noch eine historische Note. Das "Über-Ich" ist stark ausgeprägt, denn die gemeinsame Sozialisation in der Zweiten Republik hat beiden Parteien pädagogisch geprägt, In- und Ausland haben die Erziehung triebunabhängig in Richtung "GroKo" getrimmt. Das "Ich" konnte nur neurotisch werden. Wer jahrzehntelang Kompromisse wider seine Natur schließt, kann nicht reifen - das Realitätsprinzip geht bei SPÖ und ÖVP verloren.

Bei diesen Koalitionsverhandlungen haben sich beide Parteien nun zum Therapeuten begeben. Man kann ja auch mit psychischen Defekten ein ordentliches Leben führen, wenn der Todes-Trieb rechtzeitig gestoppt wird. Das "Über-Ich" wird nun kanalisiert, das "Ich" soll ausgebaut werden, auf das "Es" wird bewusst verzichtet.

Ob die Umwelt, also die Bürger, die therapeutischen Fortschritte der beiden Parteien anerkennen, wird man sehen. Das Arbeitspapier ist etwas, das sie selbst erfüllen können. Kleine Erfolge sind die Basis von größeren, ein wichtiger Schritt zum Selbstbewusstsein.

Ob gesellschaftlicher Fortschritt aber erreicht wird, wenn alle zwei nach innen gewandten Persönlichkeiten bei ihrer Entfaltung zuschauen, sei dahingestellt. Es ist eine Frage der Toleranz, die SPÖ und ÖVP gehörig strapazieren.