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Freunde, Feinde und Verräter

Von Martin Meyrath

Gastkommentare
Martin Meyrath ist Politologe in Wien und arbeitet zu den Bereichen Cultural Studies, Politische Theorie, Gender Studies und Politische Ökonomie.

Dass Geheimdienste im Rahmen ihrer Möglichkeiten Regierungen im Visier haben, ist kein Skandal, sondern ihr ureigenstes Betätigungsfeld.


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Geheimdienste bespitzeln Personen. Dass diese Nachricht keinen allzu sehr aufzuregen scheint - 76 Prozent der Deutschen glauben nicht, dass ihnen durch die NSA persönliche Nachteile entstehen, 44 Prozent finden die Debatte überbewertet -, liegt wohl daran, dass wir das schon wussten. Wir sind den Gedanken gewohnt, dass Geheimdienste existieren und einander in ihrer Notwendigkeit gegenseitig bedingen.

Dieser Automatismus ist seit Immanuel Kants Einwand gegen stehende Heere unverändert: Die Existenz des einen zwingt die anderen, gleichzuziehen. Die öffentliche Debatte über den Ausbau des Überwachungsapparats fokussiert seit 9/11 auf Terrorverdächtige, deren Relevanz von denen, die meinen, Verantwortung zu tragen, höher eingestuft wird als etwaige verletzte Bürgerrechte.

Dass Geheimdienste im Rahmen ihrer Möglichkeiten Regierungen im Visier haben, ist kein Skandal, sondern ihr ureigenstes Betätigungsfeld. Google, Amazon und Facebook mögen sich für die Daten möglichst vieler Normalverbraucher interessieren, das Kerngeschäft der Geheimdienste ist das politische System. Der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt riet jüngst zur Gelassenheit. Er sei "stets davon ausgegangen, dass meine Telefongespräche von fremden Händen mitgeschnitten wurden". Angela Merkel ist nicht dumm. Sie weiß, wozu sie ihr Handy (nicht) benützt. Andernfalls wäre sie als Politikerin im internationalen Machtgefüge ungeeignet und vermutlich nie so weit gekommen.

Dass sich das Mitleid mit abgehörten Spitzenpolitikern in Grenzen hält, ist ebenso natürlich wie richtig. Es gehört zum Beruf. Die Forderung nach einem Medienspektakel, in dem sich der US-Präsident bei der Kanzlerin entschuldigt, weil sich so etwas unter befreundeten Nationen nicht ziemt, wäre ein symbolischer Kniefall vor Deutschland und in der US-Außenpolitik undenkbar.

Da sich kaum ein US-Bürger um die deutschen Befindlichkeiten kümmert und die öffentliche Debatte zwischen Budgetdefizit und Obamacare nicht etwa am verspäteten Sommerloch leidet, vermissen nur europäische Korrespondenten das Thema. Die vielbeschworene Freundschaft von Nationen wie zwischenmenschliche Sympathie zu behandeln, die auf Vertrauen basiert, verklärt, dass internationale Beziehungen pragmatisch geprägt sind, Deutschland und die USA also vor allem kooperieren, weil es beiden wirtschaftliche und militärische Vorteile bringt. Die deutsche Regierung hat derzeit kein realpolitisches Interesse daran, die guten Beziehungen zu den USA aus Symbolismus zu verschlechtern. In den USA würde Obama mit einer Entschuldigung bei Merkel Schwäche zeigen und innenpolitisch das Gesicht verlieren.

Wenn Deutschland den USA gegenüber seine Eigenständigkeit beweisen will, könnte es Edward Snowden aufnehmen. Freilich wäre das ein Affront. Unabhängig davon, ob Deutschland davon profitieren könnte, ist jedoch nicht anzunehmen, dass die Bundesregierung das Verhalten eines Staatsfeindes legitimieren will. Die Idee, dass Ungehorsam gegen die eigene Regierung legitim sein kann, war bisher nicht Programm.