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Freundschaftsdeal mit Hindernissen

Von Siobhán Geets und Anja Stegmaier

Politik

Nach dem offiziellen Ende der Krise zwischen Russland und der Türkei soll nun auch ein tot geglaubtes Pipeline-Projekt wieder zum Leben erweckt werden.


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Wien/Ankara/Moskau. Nach monatelanger Eiszeit spricht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nun also wieder von seinem "geschätzten Freund" Wladimir Putin - und will die bilateralen Beziehungen auf Vor-Krisen-Niveau anheben. Das Verhältnis der Länder war zerrüttet, nachdem die türkische Armee im November einen russischen Kampfjet an der Grenze zu Syrien abgeschossen hatte. Mit dem Treffen der beiden Staatschefs am Dienstag in St. Petersburg fand die Krise ihr vorläufiges Ende. Nun will Moskau die Wirtschaftssanktionen gegen Ankara schrittweise wieder aufheben. Und auch ein tot geglaubtes Pipeline-Projekt soll wiederbelebt werden. Die geplante Pipeline Turkish Stream wird demnach von Südrussland durch das Schwarze Meer bis nach Kiyiköy in den europäischen Teil der Türkei laufen. Das Projekt, das seit November auf Eis lag, werde nun zügig umgesetzt, sagte Erdogan nach dem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen.

Auf den Bau von Turkish Stream auf dem Grund des Schwarzen Meeres einigten sich Russland und die Türkei bereits Ende 2014. Die EU-Kommission hatte zuvor das Vorläuferprojekt South Stream wegen Verstößen gegen die EU-Wettbewerbsregeln platzen lassen. Die Pipeline hätte den gesamten Ukraine-Transit ersetzen und Gas aus dem russischen Hafen Anapa über das Schwarze Meer nach Bulgarien bis nach Österreich führen sollen.

Mit vier Leitungen und einer Kapazität von 63 Milliarden Kubikmetern Gas im Jahr war Turkish Stream ursprünglich als Mega-Projekt gedacht. Zwar wäre die Türkei nach wie vor gerne Transitland für russisches Gas in die EU, realistisch ist jedoch aktuell nur eine "Minimalversion", sagt der Politikwissenschafter der Universität Innsbruck Gerhard Mangott. Turkish Stream beschreibt aktuell nur mehr eine direkte Gasleitung von Russland in die Türkei, mit einem Volumen von 16 Milliarden Kubikmetern - die ausschließlich zur Gas-Versorgung der Türkei gedacht ist.

Auch wenn Gazprom-Chef Alexej Miller bereits 2015 lapidar erklärte, dass in Zukunft der Transit über die Ukraine zugunsten der Türkei wegfalle und die EU sich ihr Gas an der griechisch-türkischen Grenze abholen solle, ist das laut dem Energie-Experten nur heiße Luft: "Vertraglich ist Gazprom verpflichtet, das Gas dorthin zu bringen, wo es das Gas verkauft." Russland will jedenfalls mit der Ukraine keine Geschäfte mehr machen, 2019 laufen die Verträge mit dem Transitland aus. Die Verträge mit den Abnahmeländern, darunter Österreich, bestehen jedoch bis 2027 beziehungsweise 2035. Sie sind also vom Ende des Abkommens mit der Ukraine nicht bedroht.

Russland will sich Vormachtstellung sichern

Doch auch bei der Realisierung des vergleichsweise bescheideneren Vorhabens gibt es Schwierigkeiten. Einen gültigen Vertrag gibt es keinen, weil sich die Länder noch nicht über die Kostenverteilung des Baus und über den Preis und das Abnahmevolumen des Erdgases einigen konnten. Mangott: "Solange diese Differenzen nicht ausgeräumt sind, gibt es keinen Vertrag. Und ohne Vertrag wird nicht gebaut."

Der Bedarf für eine zweite Gasleitung in die Türkei besteht definitiv. Aktuell kauft Ankara jährlich 28 Milliarden Kubikmeter Gas in Russland. Über die bestehende Direktverbindung Blue Stream von Russland in die Türkei bezieht das Land 16 Milliarden Kubikmeter Gas, über die Transbalkan-Pipeline kommt der restliche Gasbedarf auch aus Russland, allerdings über die Transitländer Ukraine, Moldawien, Bulgarien und Rumänien.

Mangott hält es für sehr wahrscheinlich, dass Turkish Stream 2019 die Transbalkan-Pipeline ersetzen wird. Neben politischen Motiven Russlands, die Ukraine zu meiden, rentiert sich diese Entscheidung für Gazprom zudem wirtschaftlich. Grundsätzlich will das Unternehmen Gas direkt an den Endkunden über möglichst wenige Transitländer liefern, wie etwa bei der bestehenden Direktverbindung Nord Stream zwischen Russland und Deutschland. Durch die Direktversorgung gibt es weniger Unterbrechungsrisiko und die Transitgebühren entfallen. Im Fall der Ukraine handle es sich um jährlich etwa drei Milliarden Dollar, so Mangott. Hochgerechnet rentieren sich so langfristig durchaus neue, direkte Leitungen. Außerdem hat Russland in Vorbereitung für das gestoppte South-Stream-Projekt bereits erhebliche Investitionen an der russischen Schwarzmeerküste geleistet. Diese Milliardeninvestitionen wären mit der Realisierung von Turkish Stream nicht verloren.

Europa hat keine Alternative

Gazprom will die Lieferung durch die Ukraine mit 2019 beenden, der Gasriese hat sich aber noch nicht dazu geäußert, wie er die Versorgung der anderen Staaten sicherstellen will. Laut Mangott ist die Versorgung - auch Österreichs - über Deutschland möglich. Mit Nord Stream 2 seien größere Volumina an Gas in Norddeutschland verfügbar. Österreich werde zudem schon immer über Deutschland mit Gas versorgt.

Das von der russischen Gazprom sowie von westeuropäischen Unternehmen wie BASF/Wintershall, E.ON, Shell und OMV geplante Projekt Nord Stream 2 sieht die Erweiterung der bestehenden Ostseeleitung bis 2019 zwischen Russland und Deutschland vor. Geplant ist ein Volumen von 55 Milliarden Kubikmetern. Die Vereinbarung für diese Pipeline steht bereits, Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint sie unbedingt umsetzen zu wollen. Aber auch dieses Szenario bräuchte einen weiteren Pipeline-Ausbau, denn die Leitungen NEL und Opal haben nicht die Kapazität, eine zweite Nordstream-Leitung aufzunehmen.

Zudem regt sich Widerstand gegen Nord Stream 2. Kritik kommt, wie zuvor gegen South Stream, von der EU-Kommission. Zu den Zielen der Europäischen Energieunion gehören Diversifizierung von Lieferanten, Energieträgern und Versorgungswegen sowie die Verringerung der Energieabhängigkeit. Für Nord Stream 2 könnte diese Politik ernsthafte Schwierigkeiten bedeuten. Statt den Wettbewerb unter Energielieferanten zu fördern, stärke es vor allem die Stellung von Gazprom, heißt es. Der krisengeschüttelten Ukraine droht der Verlust von Einnahmen - und eines politischen Druckmittels gegen Russland, das im Osten des Landes die Separatisten unterstützt.

Aber auch die baltischen Staaten, Polen und die USA wollen den Ausbau verhindern. Russlands Vormachtstellung als Gaslieferant soll nicht weiter gestärkt, der Ukraine nicht geschadet werden. Mangott hält den Bau von Nord Stream 2 dennoch für "sehr wahrscheinlich".

Gas alspolitisches Instrument

Die von Brüssel gewünschte Diversifizierung der Gas-Lieferländer ist laut Mangott ein falsches Argument gegen den Ausbau von Nord Stream 2. Denn über ihn komme nicht mehr russisches Gas nach Europa, sondern lediglich über einen anderen Lieferweg. "Europa macht sich über Nord Stream 2 nicht abhängiger", sagt Mangott: "Wenn man zu Recht Russland vorgeworfen hat, Gaslieferungen als politisches Instrument zu verwenden, so muss man sagen, dass die EU-Kommission Gasleitungen als politisches Instrument nutzt - und das ist nicht immer sinnvoll im Sinne einer effizienten Energiepolitik."

Auch das nun wiederbelebte Projekt Turkish Stream beunruhigt die EU - und schwächt die Position der Ukraine. Trotzdem: Gazprom wird sich wohl keine weitere Vertrauenskrise auf dem europäischen Markt leisten. Immerhin ist die EU der größte Abnehmer russischen Gases. Allein Deutschland bezieht doppelt so viel davon wie die Türkei.