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Warum massive Waffenlieferungen an die Ukraine den Krieg eher verkürzen als verlängern könnten.
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Das Argument klingt plausibel, eingängig und ist nach einem halben Jahr Krieg in der Ukraine immer öfter zu hören: Indem der Westen der Regierung in Kiew immer mehr Waffen liefere, sorge er dafür, dass der Krieg - und damit das Sterben auf beiden Seiten - endlos weitergehen könne. Mit Waffenlieferungen, so der logisch klingende Schluss, könne man eben keinen Frieden herbeiführen. Der unausgesprochene Hintergedanke jener, die so argumentieren: Und wenn dann erst Frieden ist, kommt wieder genug billiges Gas aus Russland, was sowohl unserer Wirtschaft enorm nützt als auch unserem winterlichen Wohnkomfort.
So populär diese Argumentation ist, so wenig belastbar ist sie. Denn ohne westliche Waffen für die Ukraine wäre der Krieg im Wege eines Sieges der Russen zwar vermutlich wirklich bald zu Ende. Aber ob man das, was zweifellos die weitere Folge dieses Sieges wäre, "Frieden" nennen könnte, ist eher zweifelhaft angesichts der zahllosen Massaker, Vergewaltigungen, massenhaften Verschleppungen und Exekutionen in den bisher von Wladimir Putin eroberten Gebieten. Frieden hätten vielleicht wir im Westen, die Ukrainer eher nicht. Für viele würde der Terror erst so richtig beginnen (ganz abgesehen davon, dass ein solcher Sieg Putin sicher enorm ermuntern würde, sich weitere Teile anderer Staaten einzuverleiben).
Dass hingegen gerade die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine letztlich ein, wenn nicht das einzige Mittel sein könnten, Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen, erläutert der deutsche Historiker Herfried Münkler in einem klugen Essay ("Verhandeln, aber wie?"). Das zutreffende Argument, die Waffenlieferungen seien geeignet, den Krieg in die Länge zu ziehen, stellt er gleichsam auf den Kopf: "Je größer für Putin die Aussicht auf einen lange währenden Erschöpfungskrieg ist, an dessen Ende aller Voraussicht nach dann doch ein Verhandlungsfrieden steht, desto eher wird er bereit sein, sich jetzt auf einen Verhandlungsfrieden einzulassen. Er zieht dann den baldigen Frieden einem ungewiss gewordenen Sieg vor, um die Erschöpfung zu vermeiden, die Russland auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hin paralysieren würde."
Jeder einzelne Raketenwerfer vom Typ Himars, jeder an die Ukraine gelieferte Kampfpanzer und jede Runde Munition können so gesehen tatsächlich den Frieden etwas näher bringen - und zwar den richtigen und nicht jenen Terrorfrieden, von dem Putin träumen mag. "Die Aussicht auf einen langen Krieg wird so zum Motiv für die Wahl des Wegs zum baldigen Frieden. Das ist paradox, aber Krieg ist ein Tummelplatz von Paradoxien; der Weg zum Frieden ist es nicht weniger", argumentiert der Historiker plausibel.
Das mag für einen überzeugten Pazifisten schwer zu ertragen sein. Aber die Wirklichkeit verschwindet ja bekanntlich nicht davon, dass man sich die Augen zuhält. Und historisch gibt es, von Vietnam bis Afghanistan, jede Menge Beispiele, dass die Aussicht auf einen lange währenden Erschöpfungskrieg schließlich zu einem Verhandlungsfrieden geführt hat. Es gibt wenig Grund zur Annahme, das könne im Falle der Ukraine nicht auch klappen.