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Friede in Marhaba Village

Von Matthias G. Bernold

Politik

Von der westlichen Welt weitgehend unbeachtet, fand dieser Tage in Marokko der Weltkongress der Jugend statt. Mehr als 1.000 Jugendliche aus 140 Staaten verbrachten zwei Wochen miteinander, um Themen wie Armut, Analphabetismus, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung zu diskutieren. Auch wenn der Kongress bisweilen an eine Sightseeing-Tour erinnerte und von König Mohammed VI. nachhaltig zur Imagepflege benützt wurde, brachte er doch ein optimistisches Bekenntnis zu Frieden und Völkerverständigung.


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"Woher kommst Du?" ist die meist gestellte Frage beim Abendessen in Marhaba Village. In der eigens errichteten Zeltstadt bei Bouznika, einem kleinen Ort an der holprigen Küstenstraße zwischen Casablanca und Rabat, stellen sich Menschen aller Nationen, Hautfarben und Konfessionen um Spaghetti mit Fleischbällchen an. Ein Sprachgewirr aus Englisch, Französisch und Arabisch in allen Klangfarben und Akzenten. Gerade angekommen und noch den Rollenkoffer nachziehend, bin ich schon mitten im Gespräch. "Vienna, Mozart, Lippizaner", lächelt Marianna aus Estland wissend. Kameramann Fahd aus Rabat drückt mich zärtlich an sich: "Welcome in Morocco!"

Gastfreundschaft. Die marokkanische Regierung in Person König Mohammeds VI. hat sich bemüht, für den Weltkongress der Jugendlichen optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Schon seit der ersten derartigen Veranstaltung in Hawaii 1999 hatte Marokko daran gearbeitet, den Kongress ins (bitterarme) Land zu holen.

Die Organisatoren, allen voran die NGO Peace Child International freuten sich über den engagierten Sponsor. Und Marokko konnte demonstrieren, was Gastfreundschaft im westlichsten Maghreb-Staat bedeutet: Willkommensgeschenke, zwei Swimming Pools, freie Verköstigung, Vanille-Cola so viel man will. "Nur Alkohol gibt es hier keinen", bedauert ein Teilnehmer aus Zentraleuropa - er hat sich vorsorglich seinen eigenen Wodka mitgebracht. Wie viel das Treffen kostet, verrät keiner. "It's a Secret", antworten die marokkanischen Organisatoren und auch Peace Child-Gründer David Woollcombe gibt sich schweigsam. Durchs Camp geistern Zahlen von einer Million bis hin zu fünf Mill. Dollar. Ein Redakteur einer marokkanischen Tageszeitung hat in der Sache einen guten Tipp parat: "Versuch nicht mehr zu fragen, als die Menschen Dir antworten wollen - das wäre respektlos."

Tschador und Minirock

Marokko, weltoffener Staat, gastfreundlich und sicher. Dieses Bild sollen die Delegierten mit nach Hause in ihre Länder nehmen, um - idealerweise - als zahlende Touristen wieder zurückzukommen. Mustapha Mellouk vom Organisationsteam: "Wir wollen nicht in einen Topf geworfen werden mit anderen muslimischen Staaten. Ja, wir sind gläubige Muslime, aber gemäßigt und angenähert an Europa. Auf den Straßen wirst Du Frauen im Tschador und im kurzen Rock sehen. Wir sind offen hier."

Dass erst im Mai dieses Jahres bei einem Bombenanschlag in Casablanca 40 Menschen ums Leben kamen, trübt das Idyll. Die Organisatoren wissen um die Chance, die ihnen die zwei Wochen Weltöffentlichkeit bringen, und sie fürchten die Gefahr, dass ein Anschlag alles zunichte machen könnte. Entsprechend genau werden die Jugendlichen behütet. Vor den Toren von Marhaba Village patrouillieren Soldaten und Polizisten mit Hunden. Alleine darf keiner hinaus. "Back in prison", scherzt ein 24-jähriger Usbeke mit Hornbrille, als er von seinem Strandausflug zurückkehrt. Auch zum fünf Minuten entfernten Sandstrand dürfen die Delegierten nur mit bewaffneter Eskorte.

Nach der Ankunft in Marhaba Village haben die Kongressteilnehmer drei Tage Zeit, sich kennenzulernen. Im Festzelt gibt es eine kleine Weltausstellung. Hier zeigt sich, dass die politische Lage nicht vor den Zäunen von Marhaba-Village Halt macht. Als in Nahost erneut Bomben explodieren, ist das auch im Lager ein Thema. Zwischen jungen Palästinensern und anderen Jugendlichen kommt es zum Streit: Warum es in Israel nicht zu einer friedlichen Lösung kommen kann, wird gefragt und warum es immer weitere Selbstmordanschläge gibt. "Plötzlich war eine Schreierei", berichtet Pascal aus Karlsruhe, "andere Teilnehmer aus arabischen Staaten haben sich eingemischt, es war sehr emotional, sehr unangenehm."

Königliche Eröffnung

Zur offiziellen Eröffnungszeremonie erscheint - neben Vertretern der NGOs und der Vereinten Nationen - der Bruder des Königs. Ein großer Tag für die marokkanischen Kongressteilnehmer (rund 400 der Delegierten kommen aus dem Königreich), die - festlich gewandet - zwei Stunden lang geduldig im Spalier auf das Eintreffen des Vertreters der königlichen Familie warten.

Wie in anderen arabischen Ländern ist die Königsfamilie omnipräsent, Porträts hängen in allen öffentlichen Gebäuden, die Zeitungsberichterstattung dreht sich um das Leben des Monarchen. Ich frage eine marokkanische Journalistin, ob es erlaubt sei, sich kritisch über den König und dessen Politik zu äußern. "Kritik an der Politik ist möglich, nicht aber an der Person." Und wer denn König doch kritisiert, was geschieht mit dem? "Warum sollte jemand den König kritisieren, er ist ein guter Mann."

Viele Delegierte aus Europa fangen mit dem königlichen Personenkult nichts an: "Zu protzig", findet Raimund Blaser von der sechsköpfigen österreichischen Delegation die offizielle Feier. Vieles komme ihm geschönt vor, "wann fangen wir endlich an, etwas für Entwicklungshilfe zu tun?"

"action projects"

Einen Tag nach der festlichen Eröffnung brechen die Kongressteilnehmer in Gruppen von 10 bis 30 Personen zu den sogenannten action-projects in die 42 Regionen Marokkos auf. Ziel: Nicht nur über Entwicklungshilfe plaudern, sondern vier Tage lang Entwicklungshilfe aktiv mitgestalten. Bewässerungsprojekte, Schulen, ein Heim für Straßenkinder, oder eine Oase, wo Kamelmilch pasteurisiert wird, werden besichtigt. Auf dem Programm stehen weiters der Besuch einer Geranien-Plantage, Couscous-Essen im Berber-Zelt oder Shopping auf dem alten Markt in Casablanca. Es folgt jeder Gruppe auf Schritt und Tritt: Ein Kamerateam des marokkanischen Fernsehens, das die Stadtbesichtigung in Marakesh ebenso genau dokumentiert wie die Behandlung der Diarrhöe-Patienten im Ambulanzwagen. Als die Kongressteilnehmer nach der Rückkehr von den Projekten in Marhaba Village reflektieren, sind einige enttäuscht: "Ich habe geglaubt, wir würden uns die Hände dreckig machen, etwas aufbauen, den Menschen helfen - so war es eher eine Sightseeing-Tour. Bei den Straßenkindern haben wir gerade mal 15 Minuten verbracht," meint Bartek aus Warschau.

Wichtiger als die action-projects, wichtiger als die Deklaration, die am Ende der Tagung am Wochenende verabschiedet wurde, scheint vielen Jugendlichen die simple Tatsache, dass hier Menschen aller Länder - friedlicher als sonst - zusammenkamen. Rastislav aus der Slowakei: "Der Kongress allein bewirkt noch nichts. Er ist gut um Kontakte zu schließen und Ideen zu sammeln. Es ist entscheidend, dass die Leute den Optimismus, die Motivation und den Idealismus in ihre Länder zurücktragen und sich dort in Projekten engagieren."

http://www.bethechange.info .

http://www.peacechild.org .