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Frieden im Dilemma

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik

Der israelischen Linken fällt es schwer, den Schatten des jüngsten Krieges zu überwinden.


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Tel Aviv. Vergangenen Samstag füllten doch noch tausende Anhänger linker Parteien und Bewegungen den Rabin-Platz von Tel Aviv, um dort lautstark für Frieden und Demokratie sowie gegen Rassismus aufzutreten. Dabei hatte die Polizei denselben Protest in der Woche zuvor wegen der "Bedrohung durch Raketenfeuer" abgeblasen: einen Anti-Kriegsprotest, den der Krieg abgesagt hatte.

"Wer in Zeiten des Krieges von Frieden spricht, steht vor einem Dilemma", sagt Assaf Yacobovitz, ein israelischer Aktivist der Bewegung "Combatants for Peace" (CFP; Kämpfer für den Frieden): Bei jedem Gewaltausbruch werden sie als Friedensbewegung relevanter. Aber gleichzeitig wird ihre Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Denn einerseits werden ihre Kundgebungen von rechten Extremisten belagert, die Yacobovitz "Faschisten" nennt. Andererseits hat der Krieg die Zusammenarbeit mit palästinensischen Partnern extrem erschwert.

CFP wurde von ehemaligen palästinensischen und israelischen Kämpfern und Soldaten gegründet. Anstatt Gewalt und Krieg zu schürenm wollten sie mit gewaltlosem Aktivismus für gegenseitiges Verständnis und Frieden eintreten. Doch die Kluft zwischen Palästinensern und Israelis hat sich im Schatten der jüngsten Gaza-Krise vertieft. Und das in einer Zeit, in der vor allem ein Slogan in den Demonstrationen der linken Opposition zu hören ist: "Juden und Araber verweigern die Feindschaft."

Die praktische Umsetzung israelisch-palästinensischer Zusammenarbeit ist extrem schwierig geworden. "Doch der Wille bleibt", sagt Jamil al-Qassas, ein Palästinenser der in Bethlehem für CFP aktiv ist. "Man verliert ja den Glauben an Frieden nicht, wenn sich das Umfeld ändert", meint er während der Kundgebung am Rabin-Platz.

Für seinen Kollegen Mohamed Aweida, der die palästinensische Seite der Bewegung koordiniert, hat sich dennoch viel verändert: "Nach allem, was passiert ist, können wir nicht auf andere Palästinenser zugehen und sagen: ,lass uns gewaltlos handeln‘. Ich bin mit ganzem Herzen Friedensaktivist. Aber wie lange kann man über Gewaltlosigkeit reden? Drei Jahre, vier Jahre oder vierzig Jahre? Irgendwann fühlen sich die Menschen einfach betrogen. Du glaubst als Aktivist daran, aber du kannst es nicht mehr umsetzen."

Das wird auch deutlich, wenn Assaf Yacobovitz von seinem palästinensischen Kollegen in der Stadt Hebron im Westjordanland spricht. Israel machte nach der Entführung dreier Jugendlicher im Juli die Hamas in Hebron verantwortlich und verhaftete in Folge hunderte Mitglieder, durchsuchte tausende Häuser und blockierte die Ausgänge der Stadt. Yacobovitz war via Telefon in Kontakt mit dem dort lebenden CFP-Aktivisten Yusri.

Für diesen wurde die Zusammenarbeit mit israelischen Kollegen auf einen Schlag zur potenziellen Gefahr. Angesichts der eskalierenden Gewalt hatte sein palästinensisches Umfeld kaum Verständnis für Kooperationen mit Israel. Dabei gab es auch Drohungen und Sachbeschädigungen. "Unsere palästinensischen Partner sind verwundbar, weil sie mit Israelis zusammenarbeiten", sagt Yacobovitz, und erklärt einen weiteren problematischen Zusammenhang: Fast alle palästinensischen Aktivisten der Combatants für Peace sind Unterstützer der moderaten Fatah-Partei. Diese steht im Konkurrenzverhältnis zur islamistischen Hamas und kooperierte teilweise sogar bei den Anti-Hamas-Suchaktionen des israelischen Militärs. So werden die palästinensischen Friedensaktivisten derzeit doppelt gebrandmarkt: als Fatah-Unterstützer und als Israel-Kollaborateure.

Bunkerstimmung in Israel, Abgrenzung in Palästina

In den letzten Wochen haben sich die CFP mit den linkspolitischen Parteien Meretz und Hadash sowie mit anderen Friedensorganisation zusammengeschlossen. Als Koalition haben sie es geschafft, zumindest in Tel Aviv eine kritische Masse auf die Straße zu bringen. Doch auch hier haben sich die Fronten verhärtet: Bunkerstimmung unter jüdischen Israelis und zunehmende Abgrenzung der arabischen Staatsbürger.

Proteste der "Combatants" sprechen stets im Namen von "Juden und Arabern". Nur nehmen kaum noch Angehörige der arabischen Minderheit in Israel daran teil. Denn für sie haben der Gaza-Krieg und seine radikalen Begleiterscheinungen einen Keil zwischen ihre Zugehörigkeit zum palästinensischen Volk und den Aktivitäten der israelischen Linken getrieben.

Auch innerhalb der Linksparteien herrscht keinesfalls Einigkeit. Die Partei Meretz vertritt dabei die zionistische Linke und hält derzeit sechs Sitze im Parlament. Obwohl die Partei auch einen arabischen Abgeordneten hat, waren arabische Stimmen für sie nie ausschlaggebend. Anders ist das bei Hadash, eine sozialistische Partei mit vier Sitzen im Parlament, die jüdisch-arabische Integration und Zusammenarbeit als Kernprinzip sieht.

"Für Hadash sind die jüngsten Entwicklungen entscheidend", sagt Dan Rabinowitz, Professor der Anthropologie an der Universität Tel Aviv und Experte für jüdisch-arabische Beziehungen in Israel. "Palästinenser wollen nicht mehr unter israelischer Fahne demonstrieren. Gleichzeitig halten sich jüdische Staatsbürger von den arabischen Protesten fern, weil diese meist palästinensisch-nationalistisch angehaucht sind", sagt Rabinowitz.

Es ist eine Ironie der israelischen Gegenwart, dass jüdisch-arabische Partnerschaft für den linken "Friedensblock" immer zentraler wird, die Umsetzung desselben aber kaum mehr möglich ist. Das liegt auch am Rassismus der extremistischen Rechten. Erst am Wochenende versuchten 200 Rechtsextreme, die interreligiöse Hochzeit eines muslimischen Mannes und einer jüdischen Frau zu stürmen. Ihr zum Markenzeichen gewordener Slogan: "Tod den Arabern". Für den Aktivisten Assaf Yacobovitz überschattet die nationalistische Bunkerstimmung in Israel derzeit jegliches Feingefühl für die Komplexität des Konflikts. Doch auch die Linke durchläuft einen ähnlichen Prozess wie die Rechte, nur umgekehrt, sagt er: "Wir sind selbstgefälliger, hassen unsere nationalistischen Mitbürger mehr als je zuvor und identifizieren uns mehr und mehr mit dem Leiden der Palästinenser. Gleichzeitig haben wir uns von der Identität unserer Nation entfernt, verlieren den Bezug zu ihr und haben so immer weniger Einfluss."