Nachdenkliches zum Wiener Friedensgipfel - Erwartungen, Erfahrungen und Erfolge.
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Der Wiener Friedensgipfel am 10./11. Juni hat schon im Vorfeld viel Kritik erfahren. Es wurde geargwöhnt, dass dies eine Propagandaveranstaltung für Wladimir Putin sein werde. Haben sich diese Befürchtungen bewahrheitet? Nein. Die hochrangigen Referentinnen und Referenten - ein Kardinal der katholischen Kirche aus Guatemala, der Vizepräsident von Bolivien, der außenpolitische Berater des mexikanischen Präsidenten, der ehemalige Präsident der UNO-Generalversammlung, der Berater der vatikanischen Friedensmission, ehemalige hochrangige US-Offizierinnen und -Offiziere, internationale Diplomatinnen und Diplomaten sowie viele andere - sorgten für ein hochwertiges Diskussionsniveau.
Die Kritik galt freilich nicht nur Russland als Aggressor, sondern auch den USA und den Nato-Staaten für ihren Anteil an der Eskalation des Konflikts. Gab es wirklich keine Verteidiger des russischen Narrativs? Doch, einen. Ein Redner aus Ungarn kritisierte die Veranstaltung, weil sie die russische Invasion einhellig verurteilte. Er blieb isoliert. Besonders wertvoll war, dass es gelang, russische und ukrainische Aktivistinnen und Aktivisten miteinander ins Gespräch zu bringen. Es wurde zudem eine Spendensammlung für die ukrainischen Opfer der Flutkatastrophe nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms durchgeführt.
Der wichtigste Erfolg der Veranstaltung aber war wohl, dass sie überhaupt stattgefunden hat. Sie hat nicht nur hunderte Friedensbewegte in Wien vor Ort und im Internet versammelt, sie war auch die Initialzündung für einen internationalen Zusammenschluss der Friedensbewegungen. Die Veranstaltung hat die Friedensbewegungen nach außen hin sichtbar gemacht, wie sich auch am weltweiten medialen Echo zeigt. In der Abschlusserklärung wird die erste Woche im Oktober als "globale Mobilisierungswoche" ausgerufen. Eine neue Etappe kann beginnen.
Häme, Hass und Hindernisse
In Österreich selbst ist die Friedensversammlung nur auf Häme, Hass und Hindernisse gestoßen. Man hat sie - ohne den geringsten Beweis - schon im Vorfeld als Propaganda für Putin verurteilt und, teilweise mit Erfolg, auf prominente Unterstützer eingewirkt, ihre Teilnahme zurückzuziehen. Man hat den ÖGB derart unter Druck gesetzt, dass er die vertraglich zugesagten Räumlichkeiten zwei Tage vor der Veranstaltung verweigert hat. Man hat, vergeblich, alles versucht, um die Tagung zu verhindern. Und dass seit dem Event die Website nicht mehr funktioniert, ist wohl auch kein Zufall.
Das alles ist zwar übel und angesichts der hochrangigen internationalen Referentinnen und Referenten zutiefst provinziell, aber vielleicht noch verständlich, vor allem wenn diese Aktionen von Menschen aus der um ihre Existenz kämpfenden Ukraine ausgehen. Was jedoch in meinen Augen vollkommen unverständlich ist, ist die Tatsache, dass sich im neutralen und demokratischen Österreich keine einzige Stimme erhoben hat, die gegen diese Machenschaften im Namen der Demokratie und der Redefreiheit protestiert hätte. Niemand, tatsächlich niemand hat - etwa im Sinne von Voltaires berühmtem Ausspruch - gesagt: "Ich stimme mit der Meinung dieser Leute nicht überein, aber ich werde dennoch ihr Recht verteidigen, diese Meinung öffentlich zu äußern."
Dialog, Debatten und Denkprozesse
Die Friedensbewegten werden sich nicht lange auf ihrem Erfolg ausruhen können. Es ist ja erst ein Anfang gesetzt worden. Nun gilt es die Bewegung zu verbreitern, indem man die Ergebnisse der Tagung verbreitet. So viele neue Ideen sind aufgekommen, so manche neue Vernetzung ist entstanden, so vieles, was gesagt wurde, wartet darauf, durchdacht und abgewogen zu werden. Ein transnationaler Dialog unter den Friedensbewegungen muss erst organisiert werden.
Die Friedensbewegten sind aber vor allem gut beraten, sich angesichts der massiven Widerstände nicht auf sich selbst zurückzuziehen. Das würde nur Dogmatismus und Lagerdenken fördern und wäre kein Beitrag zum Friedensprozess. Stattdessen sollten sie auch auf ihre Gegner offen zugehen. Besonders den Dialog mit ukrainischen Stimmen, die die Situation konträr anders einschätzen, müsste man suchen. Das Verbindende sind ja das Ziel der Rettung der Ukraine und die Suche nach einem gerechten Frieden. Und alle müssen sich eingestehen, dass sie im Grunde noch nicht wissen, wie dieser Frieden zustandekommen kann. Eine vorurteilslose Sammlung und kritische Sichtung aller Ideen und Vorschläge ist daher das Gebot der Stunde.
Immerhin lässt sich bereits so viel sagen: Die zwei Strategien des Westens, Russland zum Einlenken zu zwingen - nämlich Waffenlieferungen und Sanktionen -, haben zwar das Überleben der Ukraine gesichert, aber sie können den Krieg nicht stoppen. Deswegen plädieren inzwischen auch viele Militärexpertinnen und -experten für Verhandlungslösungen. Die dritte Strategie - diplomatischer Druck auf Putin durch Staaten, mit denen es sich Russland nicht verscherzen möchte - ist noch kaum begangen und vom Westen auch nicht gefördert worden.
Dass Russland in diesem Punkte sehr sensibel ist, sieht man an den Getreideabkommen, die auf Betreiben der afrikanischen Union und unter Vermittlung der türkischen Regierung relativ schnell zustande gekommen sind. Inzwischen liegt Chinas Zwölf-Punkte-Erklärung vor, es gibt die Friedensbemühungen von sechs afrikanischen Staaten, von Brasilien, von Mexiko und anderen. Zusammen mit einer erstarkten globalen Friedensbewegung könnte diese "Allianz der Friedenswilligen" vielleicht tatsächlich einen Durchbruch schaffen. Ein Erfolg wäre dringend nötig - nicht nur, um die Ukraine zu retten und Europa zu stabilisieren, sondern auch, um unsere größte Herausforderung, die drohende Öko-Katastrophe, zu meistern.