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"Friedensdividende" gefährdet

Von John Paul Rathbone, London

Wirtschaft

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Ein längerer Krieg im Kosovo könnte nach Ansicht von Volkswirten das Ende der "Friedensdividende" bedeuten. Derzeit werde an den Märkten noch mit einer raschen Lösung des Konflikts gerechnet, doch

dieses könne sich als vorschneller Schluß erweisen. Ein langwieriger Konflikt dürfte die Zinsen wieder nach oben treiben und den Schuldendienst vor allem der Länder in West- und Osteuropa verteuern.

Nach dem Ende des Kalten Krieges konnten die NATO-Staaten Geld für die Rüstung sparen. Der Entlastungseffekt für die Haushalte, der mit einem Boom an den Finanzmärkten einherging, wurde als

Friedensdividende verbucht.

"An den Märkten hat sich scheinbar ein großes Maß an Selbstzufriedenheit aufgebaut", sagt Volkswirt David Brown von der Investmentbank Bear Stearns. Nach dem Golf-Krieg, dem gescheiterten Putsch in

Rußland, dem Krieg in Bosnien und den Bombardierungen im Irak herrsche eine Stimmung vor, man habe alles schon einmal mitgemacht. "Die Märkte sind den Risiken phänomenal unzugänglich geworden", sagt

Brown.

In der Tat: Während die Luftangriffe der NATO auf Jugoslawien und die Vertreibung von Kosovo-Albanern durch die Serben zugenommen haben, haben die Börsen in New York und London mehrere Kursrekorde

verzeichnet. Besonders gefragt waren Rüstungsaktien. Und auch die Nachricht, daß serbische Kräfte am Dienstag nach Albanien eingedrungen seien, hatte lediglich den Kursanstieg an den europäischen

Börsen kurzfristig etwas gebremst. Gleichwohl reagierte der Euro-Kurs anfälliger. Die Gemeinschaftswährung gab gegenüber dem Dollar nach, der traditionell in Krisenzeiten gefragt ist.

Der Volkswirt von Lehman Brothers, John Llwellyn schätzt, daß die NATO für einen Monat Luftangriffe auf Jugoslawien 3 Mrd. Dollar (40 Mrd. Schilling) ausgeben muß. Ein neues Obdach für zwei Millionen

Kosovaren koste rund 15 Mrd. Dollar. Dies sei aber beträchtlich weniger als die "Operation Wüstensturm" gegen den Irak gekostet habe, die mit rund 25 Mrd. Dollar zu Buche geschlagen habe. Der

Fachmann sagt: "Diese Gesamtausgaben machen nur rund 0,1% des Bruttoinlandsprodukts der NATO-Staaten aus und nur rund 0,25% der Steuereinnahmen der NATO-Länder."

Eine andere Rechnung machen die Experten aber auf, wenn Landstreitkräfte eingesetzt werden und Rußland in den Konflikt hereingezogen wird. In dem Fall könnten die Investitionen in die osteuropäischen

Staaten versiegen. Damit könnten diese Länder ihren riesigen Außenhandelsdefizite nicht mehr finanzieren. Dann stehe möglicherweise eine Finanzkrise vor den Toren Europas, sagt Volkswirt Eric Chaney

von J. P. Morgan. Steigende Haushaltsdefizite würden den Anleihenmarkt untergraben und steigende Zinsen zur Folge haben.

Nach derzeitiger Kalkulation der Kriegskosten dürften die Zinsen um rund 0,2% steigen. Dies sei noch im Rahmen normaler wöchentlicher Schwankungen. Sollte sich der Krieg aber ausweiten oder sollten

die Konsequenzen für die Politik und die Menschen beträchtlich größer werden und über die direkt betroffenen zwei Millionen Kosovaren hinausgehen, dann wären die Folgen auch erheblich größer.