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Österreich weist der EU den Weg und plant ein 6,5-Milliarden-Konjunktur-Paket.
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Brüssel/Wien. Kein Wirtschaftswachstum, steigende Arbeitslosigkeit und notwendige Einsparungen in den öffentlichen Budgets für 2015 und 2016. Es gibt kaum unmöglichere Ausgangsbedingungen für Politiker. Denn sie wollen wiedergewählt werden und eine positive Bilanz vorweisen. Die EU-Kommission plant diese Quadratur des Kreises in Form eines 300-Milliarden-Investitionspaketes. Österreich ist einen kleinen Schritt voraus, die Regierung wird - wie die "Wiener Zeitung" in Erfahrung bringen konnte - in Kürze ein Konjunktur- bzw. Wohnbauprogramm vorstellen, bei dem mit Hilfe öffentlicher Mittel so viel privates Geld aufgebracht wird, dass etwa 6,5 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden können. Ohne das Budgetdefizit zu erhöhen.
Spareinlagen anzapfen
Solche Programme lassen sich als Schlagzeile einer unaufmerksamen Öffentlichkeit recht gut verkaufen, doch dahinter stecken komplexe Strukturen. Die Idee: Die öffentliche Hand hat kein Geld (oder gibt es für was anderes aus), aber auf den heimischen Sparkonten schlummern derzeit weitgehend unverzinst etwa 160 Milliarden Euro.
Wie also kann ein Teil dieses Geldes - sowie auch das ausländischer Anleger - für Projekte genutzt werden, die gleichzeitig das Wirtschaftswachstum ankurbeln? Österreich versucht es mit einer Mischung aus gemeinnützigen und privaten Wohnbaugesellschaften, Garantien des Bundes, Darlehen der Europäischen Investitionsbank EIB (die den EU-Ländern gehört) und eben privaten Geldern.
Dem Vernehmen nach wird ein vierjähriges Investitionsprogramm entwickelt, das etwa 1500 Wohnungen jährlich finanzieren kann. Gemeinnützige Wohnbauträger spielen dabei eine wichtige Rolle, da sie über viele Wohnungen, also hohe Bonität, verfügen. Ein Teil des Programms, angeblich zirka 500 Millionen, soll vom Bund garantiert werden. Dadurch wird es möglich, auch Geld von der öffentlichen EIB zu erhalten. Der Vorteil dabei: Öffentliche Haftungen erhöhen das Budgetdefizit nicht, ihre Unterlegung reduziert allerdings das Risiko von Anlegern. Denn darauf wird eine Finanzierung mit einer fixen Verzinsung gesetzt, die dem staunenden Publikum verkauft wird. Diese Verzinsung wird deutlich höher sein als die Zinsen auf Sparbüchern, was keine große Kunst ist - Sparzinsen sind derzeit mit freiem Auge kaum zu erkennen. Offen ist noch, über wen diese Wohnbau-Offensive läuft, die Bausparkassen sind eine der Möglichkeiten.
Bauen & Wohnen
Hinter diesem Programm stehen klar definierte Wohnbau-Projekte, die insgesamt etwa 5000 Wohneinheiten umfassen sollen. Gemeinnützige und private Wohnbauträger können dabei gemeinsame Stadterneuerungs-Projekte vorlegen, wie das schon in Wien beim neuen Hauptbahnhof und in der Seestadt Aspern der Fall ist.
Dadurch sollen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Die Bau-Industrie kann angekurbelt werden, denn die Arbeitslosigkeit am Bau stieg zuletzt um 16 Prozent und ist wesentlicher Treiber der schlechten Arbeitsmarktentwicklung in Österreich. Und es wird die Wohnungslücke kleiner. Der Ziegelkonzern Wienerberger errechnete, dass heuer nur noch 37.400 Wohnungen fertiggestellt werden. 2010 waren es noch 43.000. Die Wohnraum-Knappheit sei mit ein Grund für die steigenden Mieten. Laut Wienerberger handelt es sich dabei um ein EU-weites Phänomen; nicht nur in Krisenländern Südeuropas und in Frankreich, sondern auch in den Niederlanden und Deutschland würden zu wenige Wohnungen gebaut.
Ohne EIB geht es nicht
Und hier kommt die EU ins Spiel - und das 300-Milliarden-Investitionspaket, das von Jean-Claude Juncker versprochen worden war und im Dezember erstmals konkretisiert werden soll. Viel Zeit bleibt ihm dafür nicht mehr, denn in Brüssel vermag im November noch niemand zu sagen, woher das Geld kommen soll. Die sozialdemokratische Fraktion im Europa-Parlament jedenfalls will keine Rechentricks akzeptieren. "Es muss frisches Geld sein, Umschichtungen bestehender Budgets werden wir nicht hinnehmen", sagte Jörg Leichtfried, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion. Evelyn Regner: "300 Milliarden von links nach rechts verschieben, das wird nicht gehen."
Gleichzeitig lehnen die EU-Regierungschefs, vereint im Europäischen Rat, eine Verschuldung der Union ab. Sie muss mit dem Finanzrahmen, der nicht ganz 1000 Milliarden für sieben Jahre umfasst, auskommen.
Der zuständige Vizepräsident der Kommission, Jyrki Katainen, hat daher bereits angekündigt, dass private Investitionen in die 300-Milliarden-Rechnung einfließen werden. Eine höhere Verschuldung, auch der Mitgliedsstaaten, lehnt er strikt ab. Demnach bleibt ihm wenig anderes übrig, als Modelle zu entwickeln, die dem geplanten Konjunktur-Paket Österreichs ähneln. Haftungen der EU und Darlehen der EIB und ein überschaubares Risiko sollen private Investoren anlocken, um Infrastruktur-Projekte in Europa zu finanzieren. Wohnbau könnte einer dieser Schwerpunkte sein.
"Golden Rule"?
Die Sozialdemokraten wollen sich mit dem nicht zufrieden geben. "Wir wollen den Stabilitätspakt so ändern, dass öffentliche Investitionen nicht ins Budgetdefizit eingerechnet werden", sagte Regner. Eine weitergehende Aufweichung des Paktes hält sie für unmöglich. "Das spielt’s im Kino."
Die verbindliche Vereinbarung der EU-Länder, bis 2015 ausgeglichene Haushalte zu schaffen, wird zwar von Frankreich, Italien und Österreich ohnehin nicht erreicht, sie wird von Ökonomen trotzdem kritisiert. "Die Zinsen sind so niedrig wie noch nie, trotzdem können die Staaten das billige Geld nicht abholen, weil sie sich nicht weiter verschulden dürfen", sagte Regner.
"Mit dem Fiskalpakt hat die EU wesentliche Forderungen der ideologischen Hauptgegner des Europäischen Sozialmodells, der neoliberalen ‚Schule von Chicago‘, übernommen", kritisiert der linke Ökonom Stephan Schulmeister jüngst im Blog "Arbeit&Wirtschaft". Er bezeichnet die EU-Regeln als "Teufelskreis" und verweist darauf, dass jene Länder, die am härtesten sparten (Griechenland, Portugal, Großbritannien), auch den massivsten Anstieg der Staatsverschuldung hinnehmen mussten.
Genau an diesem Pakt hält Katainen aber unverrückbar fest. "Er beerdigte das Juncker-Investitionsprogramm schon bei seiner Anhörung", sagte der grüne Europa-Parlamentarier Reinhold Büttikofer.
Ob das in Österreich geplante Ankurbelungsprogramm von 6,5 Milliarden Euro in das 300-Milliarden-Paket eingerechnet werden soll (wie auch andere nationale Programme), ist nicht klar. Es scheint aber wahrscheinlich.
Richtungsstreit
Denn selbst die Gegner der Austerität sind skeptisch ob der 300 Milliarden. Bei einer Sitzung der sozialdemokratischen Europa-Abgeordneten soll bereits über eine "Redimensionierung des Investitionsprogramms" gesprochen worden sein.
Neben dem Wohnbau soll es bei diesem EU-weiten Programm vor allem um Energie-Infrastruktur (Leitungen, Gas-Terminals, Speicher) gehen. Und um Ausbildungs- und Forschungs-Einrichtungen. Dazu gibt es zwar bereits die Regional-Förderungsprogramme der EU, doch die reichen nicht aus. Der "Nachteil" solcher Investitionen: Sie werden erst in ein paar Jahren Effekte zeigen, am schwachen Arbeitsmarkt in Europa würde sich kurzfristig aber wenig ändern. Was mindestens 26 Millionen Arbeitslose und deren Familien nicht freuen dürfte.