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Frisches Kraut und würzige Töne im Hohen Haus

Von Clemens Neuhold

Politik

Auf der Suche nach dem neuen Stil bei der Angelobung von 183 Volksvertretern.


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Wien. Sind es die roten Rosen statt der Nelken am Revers der SPÖ-Abgeordneten, die den neuen Stil symbolisieren? Diesen neuen Stil, den die Politiker für die nächsten fünf Jahre versprechen? Nein, denn die Rose ist das eigentliche Symbol der sozialistischen Internationale. Die Nelke kam historisch nur dann zum Einsatz, wenn sich Arbeiter Rosen nicht leisten konnten.

Die ÖVP-Mandatare gelobten bei der ersten Sitzung des neuen Nationalrats ihre Treue zur Republik wie üblich mit weißen Rosen an der Brust und die FPÖ-Abgeordneten schmückten sich wieder mit der blauen Kornblume. Die Blauen deuten sie als Freiheitssymbol von 1848, Kritiker argwöhnen über ein "Symbol des Nationalsozialismus". Die Grünen gaben sich in ihrer Dekoration zwar innovativer und stellten diverse (legale) Topf-Kräuter auf ihre Pulte. Doch, wie jemand im Nachrichtendienst Twitter die Grünen pflanzte, war auch deren Aktionismus schon mal "flotter".

Doch nicht alles blieb im gewohnten Rahmen. Dafür sorgten weniger die neuen Klubobleute bei ÖVP und SPÖ, sondern die Abgeordneten der neuen Parteien Team Stronach und Neos. Die Vizechefin der Neos, Angelika Mlinar, sprach die Gelöbnisformel auf Deutsch und Slowenisch -sie war Generalsekretärin des Rates der Kärntner Slowenen. Die Klubobfrau und rechte Hand von Frank Stronach, Kathrin Nachbaur, streute englische Zitate ein und nahm sich vor, aus dem "American Dream" den "Austrian Dream" zu machen.

Der Keil in der Mitte

"Ich habe lange in Kanada gelebt. Manchmal frage ich mich, wo ist unser Stolz, wo ist unsere Weltoffenheit?" Applaus kam nur aus dem schmalen Keil, den die Partei Frank Stronachs zwischen SPÖ-Fraktion und Neos schlug. Zur Sitzposition passte die Feststellung des Parteigründers, "nicht links, nicht rechts" zu sein.

Frank Stronach lauschte an der Spitze des Keils, positioniert direkt hinter dem neuen Klubchef der SPÖ, Andreas Schieder, und SPÖ-Chef Werner Faymann, den Ausführungen seiner ehemaligen Assistentin. Der Milliardär hatte 25 Millionen Euro ausgegeben, um diese zehn Sitze im Parlament zu erobern. Den Kopf gesenkt, als würde er eine Textnachricht tippen, folgte der Einzelkämpfer und ehemalige Konzernboss - "Wer das Gold hat, macht die Regeln" - dem Schauspiel im Hort der Mehrheitsentscheidung. Den einen oder anderen Blick auf die Uhr konnte er sich dabei nicht verkneifen.

Richtig blühte er erst auf, als nach vielen Rednern er selbst am Wort war, und das goutierte er mit der Feststellung: "Es hat mich gefreut, dass ich neun Minuten ohne Unterbrechung reden durfte, im ORF war es immer nur eine", sagte er in Anspielung auf den Wahlkampf. Die Positionen und Sager aus dem Wahlkampf bestimmten die Rede des 81-jährigen Milliardärs noch immer, obwohl er vor seiner Premiere angekündigt hatte, bald wieder aus der Politik zu gehen. Es könnte also seine erste und letzte Rede gewesen sein. Sein Schlussstatement an die "Bürger im Publikum und vor den TV-Geräten" klang wie ein Abschied: "Seid mit dabei, hört genau zu und alles Beste."

Ganz anders klang Neos-Chef Matthias Strolz. Er ist gekommen, um zu bleiben, das machte er mit seiner Rede deutlich. "Wir sind da", preschte er los und bedankte sich zunächst bei den anderen Parteien für nette Gespräche, um dann aber gleich mit allen anzuecken. Dass kein Abgeordneter der Neos in der ersten Parlamentsreihe sitzen dürfe, bezeichnete er als "kleinlich" von der Parlamentsdirektion; beim Thema Pensionen gehe sogar in Italien mehr weiter, rieb er Sozialminister Rudolf Hundstorfer rüber, der empört den Kopf schüttelte; den Umstand, dass ein Viertel der Kinder nicht sinnerfassend lesen könne, machte er mit dem Gedankenexperiment anschaulich, es wäre, als würde im Parlament die ganze ÖVP-Ecke nicht lesen können.

Absage an Experimente

Auf Kuschelkurs befanden sich die Neos bei ihrer Premiere nur mit den Grünen. Das schlug sich auf den Rängen in angeregten Gesprächen zwischen den neuen Sitznachbarn nieder. Strolz unterstützte den Vorschlag, den Grünen-Chefin Eva Glawischnig zuvor gemacht hatte: Der für den "Stillstand" der vergangenen Jahre hauptverantwortliche Bereich Bildung solle in einem "koalitionsfreien Raum" bis Sommer verhandelt und dann im Parlament abgestimmt werden.

Dem erteilte die nächste Rednerin, die als künftige Bildungsministerin gehandelte Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), postwendend eine Abfuhr. In einem so wichtigen Bereich sei nun Tempo gefragt, deswegen sei die übliche Beschlussfassung vorzuziehen.

Den Parlamentsklub der SPÖ führte erstmals der scheidende Finanzstaatssekretär Andreas Schieder an, der somit Erstredner war. Er erinnerte daran, dass 1,6 Millionen Österreicher nicht gewählt hatten und es eine "spannendere Politik" brauche. Auch er gelobte einen "neuen Stil" und beschwor den Konsens im Parlament. Der äußere sich dadurch, dass 80 Prozent der Entscheidungen über die nötige Mehrheit hinaus und 40 Prozent einstimmig getroffen würden.

Diese Variante des "neuen Stils", die auch ÖVP-Chef Michael Spindelegger gelobte - ("mit allen Parteien reden") - ist allerdings bereits fünf Jahre alt und war damals genauso Konsens. Die SPÖ hatte zuvor mit "Genug gestritten" die Wahl gewonnen. Der "spannende" Teil der neuen Politik hat somit mehr Aussicht auf Erfolg.

Spannend machten es die Grünen bei der Wahl der drei Nationalratspräsidenten, wen sie von ihnen unterstützten würden. Alle anderen Parteien hatten ihre Zustimmung zur Wiederwahl Barbara Prammers (SPÖ) und ihre prinzipielle Unterstützung von Karlheinz Kopf (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ) bekundet. Bei der geheimen Abstimmung bekamen Prammer schließlich 83 Prozent, Kopf 82 Prozent und Hofer 80 Prozent. Die Grünen schossen sich auf Kopf ein, weil er zwei Zusagen, Minderheitenrechte im Parlament zu stärken, nicht eingehalten habe und auf Hofer, weil sie ihm als FPÖler generell misstrauen. Diese Skepsis hatte sich bei Hofers Vorgänger, dem Burschenschafter Martin Graf, noch viel stärker niedergeschlagen, der damals nur 67 Prozent erhielt und Proteste der jüdischen Kultusgemeinde gegen seine Bestellung evozierte.

Absage an Wunschdenken

Die kurze Sternstunde des Parlaments, die spätestens dann vorbei sein wird, wenn die neue Regierung das Hohe Haus medial in den Schatten stellt, nutzten neben den Grünen auch die FPÖ. Parteichef Heinz-Christian Strache drängte unter dem seltenen Beifall der Grünen darauf, dass eine Minderheit künftig einen Untersuchungsausschuss einberufen können solle. Barbara Prammer, die mit ihrer öffentlich gemachten Krebserkrankung eine schwere Bürde zu tragen hat und viel Aufmunterung erhielt, signalisierte keine direkte Unterstützung für Grüne und FPÖ. Die Minderheitenrechte seien verhältnismäßig gut, Debatten über weitere Reformen nicht ausgeschlossen.

Für gänzlich ausgeschlossen hält es Prammer, den Umbau des Hohen Hauses weiter zu verschieben. Zumindest baulich kann da und dort ein neuer Stil schon bald Einzug halten.