Wir suchen Anerkennung und Selbstverwirklichung. Kann uns der Job das nicht geben, macht sich Leere in uns breit. Muss Arbeit mehr sein als Geldverdienen? Arbeitspsychologen geben Antwort.
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"Finde den Job, der dich glücklich macht", das "Frustjobkillerbuch", "Coach dich selbst, sonst coacht dich keiner", "Morgen komm ich später rein": Wer einen Blick auf die Literatur zum Thema Jobfrust wirft, kann sich eines Gedankens nicht erwehren: Die Jobwelt muss verdammt deprimierend sein.
Volkskrankheit Jobfrust
Wer durch die Wiener Karlsplatz-Passage flaniert, kann live mitzählen, wie sich von Sekunde zu Sekunde die Zahl der Unzufriedenen in der Arbeitswelt auf einer Medien-Installation verändert. Aber wie konnte das passieren? Wo ist die Job-Lust geblieben? Die Wiener Arbeitspsychologin Claudia Poje sieht einen Zusammenhang mit wirtschaftlich schwierigen Zeiten: "Je höher der Druck in der Arbeitswelt ist, umso mehr bangen die Leute. Denn was sollen sie tun? Sie geben schon 100 Prozent." Poje hat in ihrer Praxis die Erfahrung gemacht, dass "die Menschen mit Jobs im kreativen Bereich, wo eine hohe Gestaltungsfreiheit hinzukommt, am zufriedensten sind." Der klassische Beruf, der einen zum Verzweifeln bringt, wäre demnach Sekretärin: Der Job ist fremdbestimmt - der Chef sagt, wann was zu tun ist. Neben der Abwechslung ist auch die richtige Mischung zwischen Unterforderung und Herausforderung wichtig. "Wer im Fluss ist, geht in der Arbeit auf", weiß Poje.
Es liegt aber nicht allein an der Wirtschaftssituation und an der Branche: "Bei Frauen fängt es oft schon mit der falschen Berufswahl an! 25- bis 30-Jährige sagen mir dann, sie würden gerne in einen technischen Beruf." Der Teufelskreis nimmt seinen Lauf: die falsche Job-Wahl, die gläserne Decke, man fühlt sich ausgebrannt. "Der Druck wächst, die Verantwortung wächst. Ein Schritt zurück geht aber nicht mehr." Öfters würden 45- bis 50-jährige Frauen sich für berufliche Veränderungen entscheiden - sie wollen sich sozial engagieren. Poje: "Die Anerkennung, die ihnen beruflich verwehrt wurde, suchen sie in ihrem neuen Lebensabschnitt im sozialen Bereich." Von Kindern, Alten, Kranken, Armen bekommen sie das Gefühl, gebraucht zu werden.
Geld ist nicht wichtig. Nach einer groß angelegten Karriere-Studie der Wiener Wirtschaftsuniversität, an der zahlreiche Wissenschafter mitgearbeitet haben, sind die Frauen genauso zufrieden wie die Männer. Die Betonung liegt auf zufrieden. Guido Strunk, Karriereforscher an der Wiener Wirtschaftsuniversität, macht seit vielen Jahren Zufriedenheits-Studien. Immer mit dem gleichen Ergebnis: Die Menschen sind mit ihren Jobs zufrieden. Wie kommt das? "Karriere ist ein Prozess, Zufriedenheit aber etwas Punktuelles. Es gibt Studien aus der Zeit der Jahrhundertwende, wo sich die Forscher die allerschlechtesten Jobs in Fabriken zeigen ließen. Wenn sie gefragt haben, wie der Job gefällt, bekamen sie zur Antwort: Spitzenjob!" Warum? "Weil glücklich und zufrieden sein immer ein Vergleich ist zwischen dem, was ich erwarte und dem, was ich bekomme. Es gibt keinen objektiven Vergleichswert", erklärt Strunk. Hart ausgedrückt: Wenn Frauen jahrelang nicht das bekommen haben, was sie bekommen wollten, greift ein Selbstschutzmechanismus: Sie sind mit dem zufrieden, was sie eben bekommen haben.
Laut der Studie wächst die Zufriedenheit nicht mit der Höhe des Einkommens und auch nicht mit mehr Macht. Aber sie steigt durch das Ansehen von außen. "Ich bin zufrieden, wenn alle um mich herum glauben, dass ich es geschafft habe. Geld alleine macht jedoch nicht zufrieden", bringt Strunk das Ergebnis auf den Punkt. Es gebe aber in anderen Studien sehr wohl den Umkehrfaktor: Wenn das Geld fehlt, bin ich unglücklich.
Traumjob finden
Viele Menschen finden nicht die Erfüllung im Job, die sie sich erhofft hatten. Das große Grübeln beginnt: Liegt es am Spaßkiller Gewohnheit, liegt es am Arbeitgeber oder hat man zu hohe Erwartungen? "Es gibt zunehmend eine Illusion darüber, dass ich meine Karriere selbst steuern kann. Eine Illusion darüber, dass man den Traumjob und die Selbstverwirklichung im Job selbst in der Hand hat. Das war früher nicht so. Die Karriere ist von Militär und Beamtentum erfunden worden", erzählt Strunk. Der Traumjob ist also eine gute Erfindung.
Ein Teil der großen WU-Studie war das Vergleichen der Karrieren von männlichen und weiblichen Wirtschaftsabsolventen, die vollkommen gleiche Ausgangsbedingungen hatten. Die Wünsche zwischen den statistischen Mann-Frau-Pärchen durften sich somit nicht unterscheiden für den Vergleich untereinander. 29 Variable wie die gleichen Abschlussnoten und die gleiche soziale Herkunft waren ident. Die Wissenschafter kamen zu einem dramatischen Ergebnis: Die statistisch identischen Zwillingspärchen hatten trotz der gleichen Wunschvorstellungen und der gleichen Ausbildung nicht die gleiche Karriere gemacht. Innerhalb von zehn Jahren verdienten die Männer rund fünf Kleinwagen mehr. Das brachte der Studie ihren viel zitierten Titel ein: "Eine Frau muss ein Mann sein, um Karriere zu machen". Wütende Reaktionen erreichten den Wissenschafter aber nicht - vielleicht hatten es die befragten Akademikerinnen nicht anders erwartet.
Interessanterweise gab es aber keinen relevanten Unterschied zwischen den Antworten der Gesamtzahl an Frauen und der Gesamtzahl an Männern. Guido Strunk: "42 Prozent wünschen sich den klassischen normalen Job, wie ihn schon unsere Eltern hatten. Sie wollen in einem einzigen Unternehmen Karriere machen!" Mit dem Unternehmen wachsen - ein Wunsch, der heute wenigen erfüllt wird.
Auf Signale hören. Wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt werden, macht sich der Jobfrust bemerkbar. Was sind die Alarmsignale? Arbeitspsychologin Poje zählt auf: "Man kann nicht mehr abschalten, nicht mehr nein sagen. Man reagiert gereizt. Man vernachlässigt sich selber, aber auch das Umfeld. Die Lebensfreude fehlt." Zu spät für Veränderungen ist es dann noch nicht. Alleine oder mithilfe von Arbeitspsychologen sollte herausgefunden werden, wo die eigenen Grenzen sind, der Selbstwert muss wieder gefunden und ein Zeitmanagement ausgeklügelt werden. Nicht alle wollen tatsächlich eine berufliche Veränderung. "Einige entscheiden sich gegen eine Kündigung. Ein fader Job im Austausch für Sicherheit. Der Job wird mit kleinen Veränderungen schmackhaft gemacht", so Poje. Die Selbstverwirklichung findet schließlich im privaten Lebensumfeld statt. Bevor der Job einem den letzten Rest abverlangt, gibt die Expertin einen ganz einfachen Rat: lange Urlaub nehmen! Ab drei Wochen ist der ganze Stress vergessen - unter einer Prämisse: keine Internetcafés und nicht telefonisch für den Chef erreichbar sein. Es geht darum, die Seele baumeln zu lassen.
Obwohl die Experten Guido Strunk und Claudia Poje bei ihren Beobachtungen rund um das Thema Jobfrust graue Haare bekommen müssten, betonen beide unisono, glücklich in ihren Jobs zu sein. Wir wollen es glauben.