Die Neuregelung zu Schadenersatzklagen im Wettbewerbsrecht könnte rückwirkend für Probleme sorgen.
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Die EU Richtlinie zu Schadenersatzklagen im Wettbewerbsrecht (RL 2014/104/EU) wurde schon am 26. November 2014 verabschiedet und hätte bis 27. Dezember 2016 umgesetzt werden sollen. Das diesbezügliche österreichische Gesetz wurde aber erst am 28. Februar 2017 im Ministerrat beschlossen und soll voraussichtlich teilweise rückwirkend, teilweise mit 1. Mai 2017 in Kraft treten. Mit den neuen Bestimmungen soll die private Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Schadenersatzansprüche für Konsumenten und Unternehmer erleichtern. Schon bisher gab es zahlreiche solche Schadenersatzklagen nach Kartellen in Österreich und in anderen europäischen Ländern, bei denen die Parteien mit den unterschiedlichsten Problemen zu kämpfen hatten. Die Frage ist daher, ob sich wesentliche praktische Änderungen ergeben werden.
Dass jede natürliche und juristische Person ("Jedermann") das Recht auf vollständigen Ersatz (Gewinn und Zinsen) eines durch eine Wettbewerbsrechtsverletzung, einschließlich des Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung verursachten Schadens hat, ist eine Klarstellung auf der Basis der bisherigen (nationalen und europäischen) Judikatur. Interessant dabei ist, dass nach einem EuGH-Urteil auch ein - wenn auch schwer beweisbarer - Schaden aus Geschäften mit Nichtkartellanten, die im "Windschatten" höherer Marktpreise selbst die Preise erhöht haben, ersatzfähig sein soll. Dies wird auch "Preisschirm-" oder "umbrella-"Effekt genannt.
Der Kläger muss Schadenshöhe und Verursachung nachweisen
Bei Kartellen wird nun ein Schaden widerleglich vermutet. Das ist eine rechtspolitische Entscheidung, denn die empirischen Grundlagen für eine derartige allgemeine Aussage sind relativ dünn. Dem Kläger verbleibt aber nach wie vor die Last, grundsätzlich Höhe und Verursachung des Schadens nachweisen zu müssen. Die Vermutung eines "Grundschadens" kann jedoch die Anwendung der prozessualen Schätzregeln erleichtern. Trotzdem werden die Gerichte vor allem bei hohen Beträgen auch für eine Schätzung solide Tatsachengrundlagen verlangen.
Die wohl weitestgehende Neuerung ist, dass nunmehr für nationale Gerichte die Möglichkeit besteht, die Offenlegung von Beweismitteln durch Beklagte, Dritte und Wettbewerbsbehörden (bußgeldbewehrt) anzuordnen, wenn ein Antrag des Klägers vorliegt, der den Schadenersatzanspruch überzeugend stützt. Komplexe Regelungen sollen das Anwaltsprivileg und bestimmte Dokumente in Behördenakten (z. B. Kronzeugenerklärungen) schützen. Dies ist ein Novum im österreichischen Zivilprozess, der bisher nur äußerst eingeschränkt - und mit geringer praktischer Bedeutung - die Möglichkeit kannte, den Gegner zur Vorlage von Beweismitteln zu zwingen, wenn dieser sie nicht vorlegen wollte. Auch diese Regelungen bleiben aber durchaus in der europäischen Tradition und weit hinter "Discovery Verfahren" nach US amerikanischem Muster zurück.
Der Nutzen für den Klägerbleibt fraglich
Wie groß der Nutzen für die Kläger sein wird, bleibt fraglich: Gerade das, was die Kläger am dringendsten benötigen und daher mit Nachdruck suchen, nämlich Informationen zur Verursachung und zur Berechnung der Höhe des Schadens, könnten auch bei den Beklagten und in Behördenakten nicht oder nicht umfangreich vorliegen. Dies deswegen, weil einerseits gerade dies kein Thema der vorangegangenen Bußgeldverfahren war und andererseits oft auch die Kartellanten selbst gar nicht genau wissen, ob ihnen die Vorgangsweise überhaupt einen Vorteil gebracht hat. Denn dazu müssten auch sie den Vergleich zu einem nicht kartellierten Markt anstellen, was meistens aufgrund der Schwierigkeiten nicht passiert.
Die (Übergangs-)Regelungen für das Inkrafttreten insbesondere der Umsetzungsvorschriften können zu (juristisch) recht interessanten Konstellationen führen: Die materiellen Regelungen sind auf den Ersatz von Schäden anzuwenden, die nach dem 26. Dezember 2016 entstanden sind. Die Regelungen über die ausgedehnte Verjährung sind bereits auf alle Ansprüche anzuwenden, die am 26. Dezember 2016 noch nicht verjährt sind (also zwangsläufig vorher entstanden sind). Die verfahrensrechtlichen Regelungen, also insbesondere über Bindungswirkung von Entscheidungen der Wettbewerbsbehörde und die Regelungen über die Offenlegung und Verwendung von Beweismitteln sind auf Verfahren anzuwenden, die nach dem 26. Dezember 2016 eingeleitet werden und sich natürlich mit vorher entstandenen Ansprüchen befassen.
Neuerungen gibt es auch neben der Richtlinienumsetzung: In einer Entscheidung des VwGH 2015 wurde bereits klargestellt, dass der BWB auch die Durchsuchung elektronisch extern gespeicherter Unterlagen ermöglicht werden muss, wenn sie von den im Hausdurchsuchungsbefehl genannten Räumlichkeiten aus abgerufen werden können. Zur Durchsetzung dieser Pflicht können nun vom Kartellgericht Zwangsgelder bis zu einem Höchstbetrag von 5 Prozent des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten durchschnittlichen Tagesumsatzes für jeden Tag des Verzugs von dem in der Entscheidung bestimmten Zeitpunkt an verhängt werden. Diese Bestimmung könnte aufgrund der zunehmenden Verwendung von "Cloud Diensten" oder zentralisierten Unternehmensserver - die durchaus auch im Ausland stehen können - eine erhebliche praktische Bedeutung haben.
Wert digitaler Unternehmen liegt in den Daten
Die Zusammenschlusskontrolle wurde durch Einführung einer neuen Kaufpreis-Aufgriffsschwelle auf Zusammenschlüsse ausgeweitet, die früher nicht erfasst waren. Begründet wird dies vom Gesetzgeber damit, dass der Wert digitaler Unternehmen überwiegend nicht mehr im Umsatz, sondern vielmehr in den Daten liege, an denen vor allem große Unternehmen interessiert seien.
Dies steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu Vorschlägen aus der (anwaltlichen) Praxis, die eher eine Reduktion des Geltungsbereiches um solche Zusammenschlüsse angeregt haben, die zwar formal die alten "Umsatz-" Aufgriffsschwellen erfüllen, bei denen aber eine tatsächliche Auswirkung auf den österreichischen Markt äußerst fraglich war. Die Zahl der anmeldepflichtigen Zusammenschlüsse könnte steigen.
Im Kartellgesetz wurde schließlich eine Bestimmung eingefügt, die man hier eigentlich nicht erwartet hätte: "Von den Geldbußen sollen jeweils jährlich 1,5 Millionen Euro für Zwecke der Bundeswettbewerbsbehörde und des Vereins für Konsumentenin-formation verwendet werden".
Die rechtlichen Rahmenbedingungen im Kartellrecht und insbesondere in diesbezüglichen Schadenersatzverfahren werden sich daher sowohl für potenzielle Kläger als auch für potenzielle Beklagte ändern, ohne dass die rechtlichen Probleme damit notwendigerweise geringer werden. Es ist zu erwarten, dass der Zugang zu (gegnerischen) Dokumenten im Verfahren erleichtert wird. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden aber auch diese Dokumente die Notwendigkeit einer fundierten Berechnung der Schadensbeträge und einer schlüssigen Darlegung der Schadensverursachung nicht zu einer ganz leichten Übung machen.
Gastkommentar
Dieter
Hauck
ist Partner und Rechtsanwalt bei Preslmayr Rechtsanwälte und vorwiegend im Kartell-, Schadenersatz- und Prozessrecht tätig.