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Frohes Fest?

Von Julia Rumplmayr

Wissen

Aus dem Fest der Liebe kann auch eine Belastungsprobe für die Familie werden. Kommunikationsexpertin Elisabeth Bonneau über zu große Erwartungen, altes Porzellan, lieblose Geschenke und wie ein Spaziergang alles retten kann.


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Nur noch ein Fenster im Adventkalender öffnen, dann ist es soweit. Selten ist Zeit so relativ wie vor Weihnachten: Für die einen ist das Verstreichen der Tage im Advent ein fast ewig dauerndes Warten und Zählen von Stunden und Minuten - bis zum Heiligen Abend und dem Zauber, den er mit sich bringt: den brennenden Kerzen, dem duftenden Essen, den verheißungsvollen Packerln unter dem Christbaum. Zu dieser Gruppe gehören nicht selten die Kinder, die den reibungslosen Ablauf des Weihnachtsabends vertrauensvoll in die Hände des Christkinds legen und ihre Energie auf das Zelebrieren der Wartezeit verlegen, auf das Öffnen der Adventkalendertüren, auf das Singen vor dem Adventkranz, das Schreiben der Briefe an das Christkind. Aber es sind auch genug Erwachsene, die dem Fest mit großer Vorfreude entgegengehen, die Tage bis zum Familienfest zählen und die gemeinsame Zeit genießen. Es gibt aber auch die anderen: Für sie ist die Vorweihnachtszeit ein Countdown, der mit Vorfreude meist nur wenig zu tun hat. Der Stress um die letzten Geschenke, das bevorstehende Wiedersehen mit ungeliebten Verwandten oder auch so viel Erwartung an das große Fest, dass die Angst vor Enttäuschung gleich mitprogrammiert ist. Die Strategien sind unterschiedlich - und reichen von Flucht in den Urlaub oder in die Zweisamkeit bis zur alljährlichen Konfrontation.

Ob nun mit aufgeregter Vorfreude oder Stress und Angst - eine kleine Herausforderung ist das Weihnachtsfest in jedem Fall. Das Fest der Freude und Familie kann zur Zerreißprobe für Beziehungen werden, im gemeinsamen Beisammensein mit Eltern und Geschwistern können Probleme hochkommen, die das ganze Jahr über unter den Teppich gekehrt wurden. Nicht zufällig haben Scheidungsanwälte und Mediatoren nach den Feiertagen mehr zu tun als sonst, nicht umsonst finden sich in Zeitschriften jeder Zielgruppe Tipps für "stressfreie Weihnachten".

Was aber ist das Problem am "Fest der Liebe"? "Die Erwartungen sind einfach zu hoch", sagt Kommunikationsexpertin Elisabeth Bonneau. "Man erwartet zu viel von sich, will etwa das perfekte Festessen zubereiten. Man erwartet aber auch zu viel von den anderen, sie sollen Rücksicht nehmen, sie sollen auf die gesendeten Signale zu den richtigen Geschenken hören." Wo zu viel Erwartung, ist auch die Enttäuschung nicht weit, und die Freude am Fest wird zunehmend verkrampfter. "Man bemüht sich um ein schönes Fest. Das hat manchmal auch etwas Verlogenes, wenn man zum Beispiel Jahr für Jahr den anstrengenden Onkel Hermann aushält", sagt Bonneau. "Aber irgendwann bricht der Damm. Ein Tropfen bringt dann das Fass zum Überlaufen, aber es sollte erst gar nicht so voll werden." Die deutsche Kommunikationstrainerin Elisabeth Bonneau hat bereits zahlreiche Bücher zu den Themen Benimm, Knigge und Etikette verfasst und gilt als Expertin auf diesem Gebiet. Benimmregeln sind ja vor allem interessant, wenn man sich auf fremdem, ungewohntem Terrain bewegt - könnte man denn auch im wohlbekannten Familienkreis etwas von den Regeln lernen? "Bei Benimmregeln geht es ja um Konventionen, um best practice. Diese können auf eine Familie passen oder vielleicht auch nicht." Die Familie ist schließlich ein Spezialfall und für jede gelten eigene Regeln: "Es gibt zwar generelle Rituale, aber eben auch Familienrituale." Auch wenn es in Österreich etwa einen Konsens darüber gibt, dass zu Weihnachten ein Baum geschmückt wird - in manchen Familien sieht die Sache ganz anders aus. Auch wenn in Deutschland zu Weihnachten Bratwürstchen gegessen werden, bei Familie Müller ist es vielleicht seit Jahrzehnten saurer Hering. Bonneau rät dazu, die Grundregeln zu überprüfen und sich zu fragen: "Was tut meinem Mikrokosmos gut? Es ist sinnvoll, sich anzusehen, was der Familie im Einzelnen guttut." Gerade bei Generationswechseln könnte man eingefahrene Familienrituale einmal genauer unter die Lupe nehmen. Nichts, was "schon immer" auf eine Weise gehandhabt wurde, muss auch in alle Ewigkeit so bleiben. Es muss nicht bis in alle Ewigkeit auf dem alten Porzellan gegessen werden, es muss nicht immer die gleichen Abläufe geben. "In einer Familie geht es etwa am ersten Weihnachtstag immer sehr früh los. Eigentlich würden alle aber lieber ausschlafen. Das ist eine Konvention, über die nicht gesprochen wird. Das könnte man aber tun!" Wenn man sich bereits vor den Feiertagen über Wünsche und Erwartungen austauscht, kann das sehr erhellend wirken. Vielleicht ist eine langjährige Tradition eigentlich allen Familienmitgliedern ein Dorn im Auge und könnte ganz einfach abgeschafft werden. "Vielleicht macht man es heuer einfach anders und streicht das Großfamilientreffen am Christtag? Vielleicht wollen die Jungen stattdessen lieber ins Kino gehen? Wer weiß, vielleicht sagt die Mutter: Auf diese Frage warte ich seit Jahren?"

Während der Feiertage rät Elisabeth Bonneau zu mehr Aktivitäten. Wenn man etwas tut, ob gemeinsam oder einzeln, kann das emotionale Fass nicht so schnell überlaufen. "Das Herumsitzen ist ja gefährlich. Man isst den ganzen Tag, redet über alte Geschichten, trinkt zu viel Alkohol. Da tut etwa ein Waldspaziergang, jedenfalls Bewegung, gut, damit die Emotionen wieder abfließen können." Immerhin ist man heute nicht mehr gewohnt, tagelang auf engstem Raum mit der Großfamilie zu verbringen. Selbst wenn man sich auf diese Gelegenheit gefreut hat, kann die Konfrontation mit Onkel, Schwester oder Schwiegermutter auch schnell in einem Streit enden.

Zwar selten im Streit, aber manchmal in stiller Enttäuschung endet das Auspacken der Geschenke. Ein geschmackloses oder unpersönliches Geschenk kann kränken, wenn ein liebevoll ausgesuchtes Geschenk nicht geschätzt wird, verletzt das manchmal ebenso. "Ein Geschenk, das man bekommt, interpretiert man als Aussage der Beziehung des anderen zu einem selbst. Man verbindet damit den Wert, der einem zugemessen wird - finanziell, aber vor allem ideell", sagt Bonneau. Erkennbar sollte auf jeden Fall eine Bemühung sein, der Schenkende sollte sich Gedanken darüber machen, was den anderen freuen könnte. Der Beschenkte wiederum sollte sich nicht zu einem ähnlichen Geschenk gezwungen fühlen: "Der sprichwörtliche arme Student sollte sich nicht schlecht fühlen, wenn er ein teures Geschenk bekommt." Und eine vielbeschäftigte Managerin kann dafür auf etwas mit Liebe und viel Zeit Gebasteltes mit etwas finanziell Großzügigerem reagieren. "Sie kann das nicht über die Zeit, sondern über Geld kompensieren." Im Vordergrund stehen aber das Bemühen und die Freude am Schenken. Ein Fallbeispiel für die Kommunikationstrainerin: Bei einem Geschwisterpaar schenkt die Schwester mit viel Liebe und Mühe, von ihrem Bruder bekommt sie alljährlich lieblose Geschmacklosigkeiten. Soll sie es ihm gleichtun? "Sie wird nicht glücklich werden, wenn sie ihr Niveau senkt. Wahrscheinlich macht sie sich selber eine Freude beim Schenken. Beim Bruder ist es ein Ausdruck dessen, was der kann - und das ist nicht so viel." Ein anderer Fall: Ein besonders anstrengendes Familienmitglied stört alljährlich den Familienfrieden - wie sollte man damit umgehen? Wenn es dabei um die Beziehung von zwei Verwandten geht, sollte man darauf achten, den mühsamen Onkel dieses Jahr woanders hinzusetzen. Strengt er mit seinen alten Geschichten über den Krieg aber immer die ganze Familie an, sollte der Gastgeber mit dem Gast sprechen - schon im Vorfeld der Feier. "Man bittet ihn zum Beispiel: Onkel Hermann, sei so lieb, das Thema Nationalsozialismus sollte heuer nicht wieder kommen. Im besten Fall bedankt er sich, dass er darauf aufmerksam gemacht wurde." Und wenn das Thema zu Weihnachten dann doch wieder aufkommt, kann man ihn dann an das Gespräch im Vorfeld erinnern. "Selbst zu einem Störenfried muss man so fair wie möglich sein. Aber auch er ist nur ein Gast und muss sich an die Spielregeln halten. Als Gast hat man nicht nur Rechte, sondern muss sich auch anpassen."

Besonders zwischen den Generationen kommt es zu den Feiertagen gerne und häufig zu Diskussionen. Wenn es bei den Eltern immer Braten auf dem guten Porzellan gegeben hat, hängt vielleicht einmal der Haussegen schief, wenn die Tochter lieber vegetarisch isst oder die kleinen Enkelkinder das über die Jahre gehütete Porzellan in Gefahr bringen. "Ich halte viel vom Verhandeln, davon, dass man sich im Vorfeld abspricht", sagt Elisabeth Bonneau. "Wenn Weihnachten im Haushalt der Jüngeren stattfindet, sollte man mit den Eltern nicht in Konkurrenz treten wollen. Dann muss ein völlig anderes Programm her. Vielleicht ja ein Brunch?" Wichtig sei es, Rituale zu erkennen, aber auch auf den Prüfstand zu stellen. "Beim Fest der Liebe sollte man auch an sich und seine eigenen Bedürfnisse denken, dann geht es auch den anderen gut."

Bücher von Elisabeth Bonneau
Der große GU Knigge; 300 Fragen zum guten Benehmen; Knigge für Individualisten; Der große Ess- und Tischknigge. Alle Titel im GU Verlag erschienen