Wer Fehler macht, hat mehr vom Leben. Mit der richtigen Einstellung können aus Niederlagen fulminante Siege werden. Über die Kunst, ein erfolgreicher Versager zu sein.
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Wer sagt eigentlich, dass Fehler immer schlimm sein müssen? Schließlich verdankt ein beträchtlicher Teil der männlichen Bevölkerung ihre - pardon - Wiederauferstehung einem Fehler. Viagra, das Mittel, das müde Männer munter macht, war ursprünglich ein misslungenes Herzpräparat. Dass es dafür andere Qualitäten hatte, erkannten die Forscher zufällig - als die Testpersonen das nutzlose Mittel trotzdem unbedingt weiter schlucken wollten. Es wirkte eben doch - nur ein bisschen anders als erwartet.
Die Kraft der Fehler. "Das Scheitern ist auf Dauer gesehen aufregender als der Erfolg. Vor allem hinterher", weiß auch Extrembergsteiger Reinhold Messner um die Kraft der Fehler. Der deutsche Psychologe Michael Frese, ein führender Experte auf dem Gebiet der Fehlerforschung, bläst ins selbe Horn: "Pannen sind ein wunderbares Rohmaterial, um Neues zu entdecken." Das gilt nicht nur für die Forschung, sondern auch für den Lebensalltag. Lehrreiche Erfahrungen des Scheiterns begleiten uns schließlich von Kindheit an: Wenn wir als Kleinkind das Gehen lernen, fallen wir zuerst einmal hin, also haben wir immerhin schon gelernt zu fallen.
"Es ist von großem Vorteil, Fehler, aus denen man lernen kann, recht früh zu machen", notierte einmal der große Winston Churchill. Gelegenheit dazu haben wir reichlich: Schon in der Schule scheitern manche an Fehlern oder an schlechten Lehrern - oder an beidem. Und vice versa wird so mancher Lehrer schon an seinen Schülern gescheitert sein. Wir machen Fehler im Job, bei der Partnerwahl, bei der Kindererziehung oder bei Versuchen, das Rauchen aufzugeben. Beim nächsten Mal wissen wir aber immerhin, was wir besser machen können. Ob wir es dann auch tatsächlich tun, ist freilich eine andere Geschichte, doch eines ist klar: Fehler führen weiter. Die Frage ist nur, wohin?
Einer oder viele? Der Fehlerforscher Michael Frese schätzt, dass jeder Mensch stündlich zwei bis fünf Fehler macht. "Die meisten Fehler, etwa ein Grammatikfehler während des Sprechens, sind harmlos. Das Dumme ist bloß, dass es auch Fehler gibt, die wirklich dramatische Konsequenzen haben können." Und außerdem kommt, wie wir wissen, ein Fehler selten allein. Oft folgt auf einen Fehler ein zweiter, ein dritter, ein vierter, bis eine Fehlerkaskade geradewegs in die Katastrophe führt. Der Schweizer Fehlerexperte Hanspeter Weiss beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit dem Problem: "Es sind schon Flugzeuge wegen einer defekten kleinen Sicherung abgestürzt. Da haben sich Piloten dann so sehr auf das Reparieren der Sicherung konzentriert, dass sie darüber alles andere vergessen haben."
Es gibt eben Bereiche, in denen Fehler zu Innovationen führen und es gibt welche, in denen sie lebensgefährlich sind. Manchmal verursachen sie aber einfach nur Chaos, wie Weiss anhand beeindruckender Zahlen darstellt: Würden Post und Bahn in den USA nicht fehlerfrei, sondern nur zu 99,99 Prozent richtig funktionieren, käme das einem totalen Zusammenbruch des Systems gleich. Pro Stunde würden dann 1500 Pakete verloren gehen und über 3000 Bankanweisungen falsch ausgeführt werden.
Begabung des Menschen. "Die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, zählt zur vielleicht größten Begabung des Menschen", ist Manfred Osten, Autor des Buchs "Die Kunst, Fehler zu machen", überzeugt. Trotzdem ist Scheitern immer noch ein Tabu. Über Fehler spricht man nicht gern, das kritisiert auch der amerikanische Soziologe Richard Sennett: "Es gibt jede Menge populärer Sachbücher über den Weg zum Erfolg, aber kaum eines über den Umgang mit dem Scheitern." Ein kurzer Blick in das Internetportal des Onlinebuchhändlers Amazon bestätigt: 4038 Treffer für Bücher über Erfolg stehen mageren 221 zum Thema Scheitern gegenüber.
In einer erfolgsorientierten Gesellschaft ist eben kein Platz für Niederlagen. Was aber tun, wenn wir uns plötzlich auf der Seite der Loser wiederfinden? Wenn wir gekündigt werden, die Ehefrau sich trennen will oder wir ungewollt kinderlos bleiben? "Scheitern kann man lernen", meinen die amerikanischen Psychologen Charles Carver und Michael Scheier. Ihre Empfehlung lautet: loslassen. Man muss sich das Scheitern eingestehen und erkennen, dass eine weitere Verfolgung des verfehlten Ziels aussichtslos ist. "Wer an einer gescheiterten Ehe festhält, obwohl sich der Partner immer mehr entfernt, verpasst die Chance, die Beziehung zu retten", sagen Carver und Scheier. Hilfreich sei es außerdem, die negative Einstellung gegenüber Fehlern in eine positive umzukehren - nur so könne man lernen, aus Fehlern auch einen Nutzen zu ziehen.
Fehler sind tabu. In Europa ist dieser Zugang immer noch ein Minderheitenprogramm. Als ein deutsches Wirtschaftsmagazin Top-Manager befragen wollte, aus welchen ihrer Fehler sie am meisten gelernt hätten, ernteten die Reporter eisiges Schweigen. Fehlerforscher Frese weiß warum: "Fehler sind das letzte Tabu im Wirtschaftsleben. Es ist leichter, Forschung über das Sexualleben älterer Manager zu betreiben als über ihre Fehler." Das Credo lautet eben immer noch: Wer einen Fehler macht, hat versagt. "Manager betrachten Fehler als etwas Schlechtes, Bösartiges, etwas, das die Karriere vermiesen kann."
Gelegentlich versuchen aber auch Firmen in Europa, das Potenzial von Fehlern für sich zu nutzen. Der Automobilhersteller BMW etwa hat vor einigen Jahren gar die Initiative "Kreativer Fehler des Monats" ins Leben gerufen. Dabei wurde den Mitarbeitern ein Freiraum eröffnet, in dem sie kreative Ideen ausprobieren und damit auch scheitern durften. "Die Initiative honorierte, dass jemand gegen den Mainstream angeht und hat auf diese Weise Motivation freigesetzt", kommentiert der Innovationsforscher Bernd Kriegesmann, der das Projekt auswertete. Unumstritten war die Idee in der Fachwelt dennoch nicht.
Sich selbst Grenzen setzen. Rückschlüsse auf die Fehlerkultur der Österreicherinnen und Österreicher erlaubt indessen eine Studie des Gallup-Instituts, die folgendes zu Tage gefördert hat: Nur sechs Prozent der Österreicher sind der Meinung, dass Fehler in der beruflichen Karriere als Chance wahrgenommen werden können. Die Wiener PR-Expertin und Autorin des Buches "Angst vor Fehlern? Schwerer Fehler!", Karin Kreutzer, meint angesichts solcher Umfragergebnisse: "Aus Angst vor Fehlern vermeidet man, bestimmte Dinge zu tun. Man setzt sich selbst Grenzen."
In den USA ist das offenbar anders, der Umgang mit Fehlern ein viel gelassenerer. Die Amerikaner scheinen kein Problem damit zu haben, wenn es darum geht, das eigene Scheitern einzugestehen. Im Wirtschaftsmagazin "Forbes" berichten Manager jedenfalls regelmäßig über ihre größten Fehltritte. Und schon Henry Ford betonte die guten Seiten des Scheiterns: "Unsere Fehlschläge sind oft erfolgreicher als unsere Erfolge." In Deutschland wirft hingegen nach wie vor jeder zweite Unternehmensgründer aus Angst vor dem Scheitern das Handtuch, eine Kultur der zweiten Chance, wie man sie aus den USA kennt, existiert weder in Deutschland noch in Österreich. Anstatt Innovation und Risikobereitschaft zu fördern, funktioniert hier meist das System von Belohnung und Strafe. Gelingt´s, gibt´s Zuckerbrot, geht´s schief, knallt die Peitsche. Kein Wunder, dass Fehler lieber vertuscht als präsentiert werden.
Gutes Lernmaterial. Dabei muss ein offener Umgang mit Fehlern bei Weitem nicht bedeuten, dass sie auf die leichte Schulter genommen werden, meint Fehlerforscher Frese: "Ich sage ja nicht, dass man lax mit Fehlern umgehen sollte, im Gegenteil. Man muss sie viel ernster nehmen. Aber als Lernmaterial." Immerhin beschränken sich Fehler, auf die ihre Verursacher stolz sein können, nicht nur auf das hochpotente Herzmittelchen Viagra. Buchautorin Kreutzer nennt unter vielen anderen erfolgreichen Fehlern etwa auch Beispiele aus dem Sport: "Auf den V-Sprung der Skispringer kam man nur deshalb, weil ein schwedischer Athlet von einer Windböe erfasst wurde."
Geniale Irrtümer. Christoph Kolumbus wiederum entdeckte Amerika, bloß weil er sich bei seinen geografischen Überlegungen verspekuliert hatte. Und auch der Welterfolg Post-it ist erst durch einen Fehler möglich geworden. Die kleinen gelben Zettelchen, die heute von keinem Schreibtisch mehr wegzudenken sind, auf Kühlschränken und Pinwänden an Termine und Telefonnummern erinnern, gehen auf eine absolute Fehlentwicklung zurück. Eigentlich wollte Spencer Silver, Mitarbeiter eines internationalen Technologieunternehmens, einen neuen Superklebstoff erfinden. Was nach monatelangem Forschen herauskam, war jedoch nicht gerade das, was man einen Superkleber nennt. Im Gegenteil. Das Produkt klebte zwar, aber nicht dauerhaft - und schien damit komplett unbrauchbar. Es wurde als Fehlentwicklung ad acta gelegt. Bis Art Fry, ein Kollege von Spencer, sechs Jahre später die zündende Idee hatte: Weil ihn die Lesezeichen nervten, die ihm beim Singen im Kirchenchor ständig aus dem Gesangsbuch fielen, erinnerte er sich an den missglückten Superkleber - so fügten sich ein Fehler und ein Zufall zum Erfolgsprodukt Haftnotiz zusammen.