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Front gegen Beitritt der Türkei zur EU

Von Brigitte Pechar

Europaarchiv

In Österreich sind sich alle Parteien einig: Ein Beitritt der Türkei zur Europäischen Union komme für die nächsten zehn Jahre nicht in Frage. Unterdessen arbeitet die EU-Kommission nach den Vorgaben von Erweiterungskommissar Günter Verheugen noch bis Oktober an einem Bericht, ob die Türkei die Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erfüllt.


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Am Wochenende hatte sich SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer gegen einen Beitritt der Türkei ausgesprochen: Die Türkei ist derzeit nicht reif für die EU und die EU ist nicht reif für die Türkei. Ich bin derzeit gegen einen Beitritt", präzisierte Gusenbauer den SPÖ-Standpunkt in der Montag-Ausgabe des "Kurier". Zuerst müsse auch eine Festigung der EU-25 erfolgen. Derzeit seien weder die Finanzfrage noch längerfristige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt geklärt, auch gebe es noch keine EU-Verfassung.

Auch SPÖ-Spitzenkandidat Hannes Swoboda plädierte gestern dafür, derzeit gar keine Verhandlungen über einen Beitritt aufzunehmen. Für ihn kommt ein Beitritt der Türkei in den nächsten zehn bis 20 Jahren nicht in Frage. Er appellierte auch an die Regierung, im Dezember auf EU-Ebene nicht der Aufnahme von Verhandlungen zuzustimmen. Die SPÖ wäre für verstärkte Kooperationen mit der Türkei in einzelnen Bereichen - etwa bei Sicherheits-, Umwelt- oder Energiefragen. Eine Gefahr, dass die Türkei von ihrem eingeschlagenen Modernisierungskurs abweichen könnte, sieht Swoboda nicht. Das sei eine "leere Drohung".

Auch die ÖVP-Spitzenkandidatin Ursula Stenzel und ihr Fraktionskollege Reihard rack wandten sich gestern gegen einen Beitritt der Türkei zur EU. "Ich bin für beste Beziehungen mit der Türkei, nur kann ich mir einen Vollbeitritt nicht vorstellen", sagte Stenzel. Sie forderte die EU-Kommission auf, vor der Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen eine Untersuchung zu den Auswirkungen eines Beitritts vorzulegen. Fragen der Außengrenzen, der sozialen Konstellation und der Beitrittskosten müssten im Vorfeld geklärt werden.

FPÖ-Spitzenkandidat Hannes Kronberger hatte sich bereits am Sonntag in der ORF-"Pressestunde" für einen Stopp der EU-Erweiterung ausgesprochen und weitere Verhandlungen mit der Türkei abgelehnt. Gestern reichte er ein weiteres Argument gegen einen Beitritt nach: die türkischen Atom-Pläne.

Energieminister Hilmi Güler hatte vergangene Woche erklärt, der Bau eines AKW werde überlegt. Jede Aufnahme eines zusätzlichen Atomlandes sei ein Rückschlag im Kampf um ein atomfreies Europa, sagte Kronberger dazu. Schon alleine deswegen sei man gegen einen Beitritt der Türkei. Er verwies auch auf Gutachten, wonach der ins Auge gefasste Standort für das AKW - die Bucht von Akkuyu im Süden - ein potenzielles Erdbebengebiet sei.

Keinen Grund für einen Türkei-Beitritt sehen auch die Grünen. Europa sei in den nächsten zehn Jahren wegen der gerade erfolgten Erweiterung nicht in der Lage, die Türkei aufzunehmen, sagte Spitzenkandidat Johannes Voggenhuber. Für ihn offenbart die Debatte das "enorme Demokratiedefizit der EU". 1999 hätten die Regierungschefs in Helsinki hinter verschlossenen Türen den Beitritt zugesagt. Nun finde dieser Kurs aber immer weniger Akzeptanz.

Im Oktober will die EU-Kommission unter Verheugens Vorgaben einen Bericht vorlegen, ob die Türkei die Kriterien für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen erfüllt. Auf der Basis dieses Berichts wollen die EU-Staats- und Regierungschefs dann Ende des Jahres entscheiden, ob und wann die Verhandlungen aufgenommen werden.

Erweiterungskommissar Verheugen hat die jüngsten Reformen in der Türkei als ein "starkes Bekenntnis" zur Demokratie begrüßt. Die Beschlüsse des Parlaments in Ankara seien ein weiterer Schritt, um die Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu erfüllen, erklärte er gestern in Brüssel.

Das türkische Parlament hatte am Freitag die Abschaffung der umstrittenen Staatssicherheitsgerichte beschlossen. Zudem sollen die Militärausgabenstärker kontrolliert werden. Schließlich sollen Verweise auf die bereits abgeschaffte Todesstrafe aus dem Gesetzestext gestrichen und ein Paragraf zur Gleichberechtigung von Mann und Frau eingefügt werden. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat einem EU-Beitritt Priorität eingeräumt.