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"Fruchtbarer Boden darf nicht verbaut werden"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
In einigen Mitgliedstaaten ist die Hälfte aller Bauern älter als 65 Jahre, sagt der Agrarkommissar der EU, Janusz Wojciechowski.
© Diva Shukoor

EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski im Interview über Versiegelung, zu viel Bürokratie, Nachwuchsprobleme der Bauern und billige EU-Nahrungsmittel, die den afrikanischen Markt überschwemmen.


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Die europäische Landwirtschaft befindet sich in der Krise. Zwischen 2005 und 2015 gab es ein Minus von vier Millionen Bauern in der Europäischen Union, das sind 1000 Bauern pro Tag weniger. Laut dem europäischen Statistikamt sind es heute nur noch 10,3 Millionen landwirtschaftliche Betriebe. Auch in Österreich ist die Zahl der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gesunken. Seit dem EU-Beitritt im Jahr 1995 reduzierte sich der Bestand von 239.000 auf rund 160.000.

Der Klimawandel mit vermehrter Trockenheit, steigenden Temperaturen sowie Wetterextremen erschwert den Beruf darüber hinaus. Zu all dem wollen einige EU-Nettozahler, darunter Österreich, ihre Mittel für das kommende EU-Budget kürzen. Die Leidtragenden wären die Bauern, die derzeit ein Drittel der gesamten Förderungen bekommen.

Im Gespräch erklärt der neue EU-Agrarkommissar, Janusz Wojciechowski, wie er die Probleme lösen will:

"Wiener Zeitung": Herr Wojciechowski, mehrere Nettozahlerstaaten, darunter Österreich, lehnen eine Erhöhung ihres EU-Beitrages ab und wollen bei einem Prozent des Bruttonationaleinkommens bleiben. Gleichzeitig fordern sie einen wirksamen Außengrenzschutz, der Geld kostet. Werden die Bauern hohe Einschnitte befürchten müssen?

Janusz Wojciechowski: Im Gegensatz zu den von Ihnen angesprochenen Mitgliedsstaaten hat die EU-Kommission eine andere Position. Wir fordern 1,11 Prozent, das Europäische Parlament fordert sogar 1,3 Prozent. Es liegt also an den Mitgliedsstaaten, ihre Position zu verbessern, vor allem, wenn wir den Bauern bei ihren Herausforderungen im selben Maß helfen wollen wie bisher. Sie haben eine ordentliche Unterstützung verdient.

Sind Sie zuversichtlich, dass Österreich & Co. ihre Haltung ändern werden?

Es gab zuletzt positive Signale von den deutschen, französischen und spanischen Agrarministern. Und ich war froh zu hören, dass sich auch die österreichische Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger für ein höheres Budget innerhalb der Regierung einsetzen will. Nur gemeinsam können wir bessere Bedingungen für kleine und mittlere Höfe, die es besonders schwer haben, umsetzen.

Die EU gilt in den Mitgliedstaaten als bürokratischer Beamtenapparat. Auch Biobauern kritisieren den hohen Papieraufwand, um etwa ein Zertifikat zu bekommen. Was sagen Sie dazu?

Meine Beobachtung ist, dass die Bürokratie mehr von der nationalen Ebene kommt als von der europäischen Ebene. Es gibt natürlich Regeln, die von Brüssel vorgegeben werden. Nur werden sie oftmals von den Nationalstaaten sehr eigenwillig interpretiert. Die Regeln sollen die Bauern unterstützen, die Staaten machen es oft aber komplizierter.

EU-Subventionen von fast 60 Milliarden Euro im Jahr machen zwar Nahrungsmittel billiger, aber nicht die Herstellung. Das Ergebnis: Vor allem junge Menschen wollen nicht mehr Bauer werden. Wie wollen Sie diese Entwicklung aufhalten?

Wir haben ein großes Problem beim Nachwuchs, das stimmt. In einigen Mitgliedstaaten ist die Hälfte aller Bauern älter als 65 Jahre. Es ist ein riskanter Job, wenn man an die schwankenden Marktpreise denkt oder an die zunehmenden Naturkatastrophen. Dagegen hilft keine Ausbildung, kein gut geführtes Unternehmen. Wir wollen betroffene Bauern unterstützen. So soll etwa ein Hof nach einer Naturkatastrophe mit EU-Mitteln wieder aufgebaut werden.

Die billigen Nahrungsmittel der EU sorgen auch außerhalb Europas für Probleme. Sie überschwemmen den afrikanischen Markt. Die Produkte sind so billig, dass die einheimischen Bauern in Afrika nicht mehr mithalten können. Ein annehmbarer Zustand?

Wir haben das zuletzt mit Vertretern aus afrikanischen Ländern diskutiert. Ja, klar, wir wollen fairen Handel betreiben. Die Exporte in Richtung Afrika werden im Gegensatz zu früher auch nicht mehr unterstützt, der Anteil europäischer Produkte in Afrika sank von mehr als 50 Prozent auf zirka 30 Prozent. Jetzt sprechen wir noch davon, wohin wir unsere Produkte verkaufen, in der Zukunft könnte es einmal darum gehen, wo wir sie kaufen.

Was meinen Sie?

Laut Studien muss die Nahrungsmittelproduktion bis 2050 um 70 Prozent wachsen, um die steigende Weltbevölkerung zu ernähren. Wir werden daher mehr produzieren müssen. Wir brauchen eine langfristige Strategie für die Landwirtschaft.

Wir müssen mehr produzieren, gleichzeitig schreitet die Versiegelung der Böden, etwa durch Umfahrungsstraßen, Einfamilienhäuser, voran. Sollte auf fruchtbarem Boden nur noch Nahrung für Menschen angebaut werden dürfen, um diesen Trend zu stoppen?

Dem stimme ich voll zu. Fruchtbarer Boden darf, außer bei berechtigten Ausnahmen, nicht verbaut werden. Wir müssen den Boden schützen. Die Mitgliedsländer müssen die Bodenbewirtschaftung sicherstellen, aber auch auf EU-Ebene werden wir ein Auge darauf haben, unterstützt von der Wissenschaft. Für Forschungen in diesem Bereich wollen wir zehn Milliarden Euro bereitstellen. Denn wir können hier nicht nur intuitiv vorgehen.