Und täglich lockt der Dissens: Die Regierung streitet wie eh und je, aber es scheint ihr nicht mehr so zu schaden. Warum?
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Wien. Montag: Die SPÖ fordert eine Staatsholding Öbib mit größerem Aktionsradius. ÖVP-Generalsekretär Werner Amon sagt darauf: "Der leichtfertige Umgang der SPÖ mit Steuergeldern erreicht eine neue Dimension."
Dienstag: Die SPÖ will über gesetzliche Verbote von Wahlkampfauftritten ausländischer Politiker reden; Außenminister Sebastian Kurz verweist darauf, dass er in der Vorwoche noch von Kanzler Christian Kern kritisiert worden sei, als er dies angeregt habe.
Mittwoch: Kern fordert, osteuropäischen Ländern EU-Gelder zu kürzen, wenn diese keine Flüchtlinge aufnehmen: Innenminister Sobotka beharrt auf der Obergrenze, um Migration zu reduzieren.
Donnerstag: Wolfgang Sobotka stellt einen Gesetzesentwurf für das Auftrittsverbot ausländischer Politiker vor; Kanzleramtsminister Thomas Drozda bezeichnet diesen als "völlig untauglich".
Freitag: Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil sagt zur "Bild", dass die Balkanroute gar nicht geschlossen sei und konterkariert damit - gewollt oder ungewollt - den politischen Erfolg von Außenminister Sebastian Kurz.
Das war in Kurzversion die Woche der Regierung, die längst wieder dies tut, was sie seit Jahren gut beherrscht: streiten. Es könnte das titelgebende Wort des jüngsten Kapitels in der langen Geschichte der großen Koalition sein - vielleicht dem letzten Kapitel für einige Perioden. Und doch ist diesmal etwas anders.
Die Unzufriedenheit mit der Regierung nimmt nämlich ab. "In einem Jahr haben sich die Werte halbiert", erzählt Forscher Peter Hajek, der für ATV die Zufriedenheitswerte der Österreicherinnen und Österreicher abgefragt hat. Zwar sehen immer noch mehr Menschen die Arbeit der Regierung negativ, allerdings viel weniger als noch im Sommer.
"Eine dissenting opinion halten die Menschen schon aus, wenn die Themen bearbeitet werden. Und diese Bundesregierung holt die Menschen bei vielen Themen stärker ab als noch vor ein, zwei Jahren", sagt Hajek.
Vor der Wahl 2008 hatte der damalige Kanzler Werner Faymann noch mit der Ansage "Genug gestritten" seine Plakatkampagne eröffnet. In der Vermeidung von Streit lag die Hoffnung der SPÖ, Wählerstimmen zu maximieren - oder zumindest nicht mehr als befürchtet an die Freiheitlichen zu verlieren. Danach sieht es heute nicht mehr aus. Die FPÖ scheint in Umfragen eher leicht zu verlieren - trotz anhaltender Debatten in der Regierung. Kann also ein koalitionärer Streit nutzen?
"Das Aktions-/Reaktionsschema hat sich geändert", sagt Politologe Peter Filzmaier. "Die Regierung hat es geschafft, die Themen jetzt selbst vorzugeben." Das passiert nicht unbedingt konsensual und auch nicht mit abgestimmter Kommunikation. Damit bleibt der Dissens stets ein Begleiter. So hat Kern mit einer Rede und seinem "Plan A" für einige Tage die Themenführerschaft an sich gerissen, an anderen Tagen schafften dies andere Regierungsmitglieder, vor allem Sobotka, Doskozil und Kurz sind in dieser Hinsicht "auffällig".
Der Seitenhieb des Außenministers, wonach der Kanzler eine Kehrtwende unternommen habe und mit Verzögerung auf seine Forderung umgeschwenkt sei, weist zwar auch auf einen Streit hin - aber mit Happy End. "Wenn sich ein Streit darum dreht, wer der Erste war, kann die Regierung auch besser aussteigen", sagt Filzmaier. Das wäre also eine Art Wettbewerb innerhalb einer Regierungsmannschaft.
Minister mit Profil
Dazu kommt, dass die Regierung mit ihren Proponenten gegenwärtig breiter aufgestellt ist als früher. So haben Doskozil und Sobotka, die noch unter Faymann Minister wurden, seither deutlich an Profil zugelegt. Ähnliches gilt auch für Kurz, dessen Beliebtheitswerte extrem hoch sind. Diese Breite sei "durchaus sinnvoll", sagt Marktforscher Hajek. "Es schadet Kern nicht, dass er Doskozil hat, und es schadet Mitterlehner nicht, dass er Kurz hat. Man darf sich halt nicht permanent widersprechen."
Vielleicht ist das ein wesentlicher Unterschied. Der Dissens ist kurz, bisweilen heftig, aber nicht mehr derart strudelteigig wie etwa bei den Debatten zur Steuerreform, die sich über Wochen und Monate in Details zerfleddert hatte. Ein großer Verkaufserfolg wurde die Reform dann nicht - Stichwort Registrierkassen. "Die Menschen honorieren, wenn jemand proaktiv agiert", sagt Hajek. Das trifft auf Kurz genauso wie auf Kern und Sobotka zu.
Gemeinsam hat sich die Regierung auch ein erneuertes Programm verpasst, in dem ein zeitlicher Fahrplan festgeschrieben wurde. Auch das ist proaktiv - und ist auch positiv rezipiert worden. "Die Gretchenfrage aber ist", sagt Filzmaier, "was wird tatsächlich vor dem Sommer umgesetzt?"