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War England schon vor fast einer Million Jahren besiedelt? | Berlin. Auf den ersten Blick wirken die Feuerstein-Werkzeuge nicht sonderlich aufregend, die Simon Parfitt vom University College London und seine Kollegen an der Nordseeküste in der Nähe der Ortschaft Happisburgh aus dem Strand ausgebuddelt haben. Mit solchen Klingen und Sticheln haben die Menschen vor mehr als 5000 Jahren in vielen Regionen Europas ihre Nahrung geschnitten oder kleine Löcher in Tierfelle gemacht, um diese zusammenzunähen.
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Nur sehen die Feuersteinklingen sehr alt aus. Eine genaue Analyse bringt dann eine Sensation: Vor mindestens 780.000 Jahren haben Menschen an einem Mündungsarm der heutigen Themse diese Feuersteine benutzt, berichten die Forscher in "Nature".
So weit im Norden Europas aber hat bisher noch niemand so alte Spuren von Menschen nachgewiesen. Die Vorfahren der modernen Menschen lebten zwar bereits vor rund 1,3 Millionen Jahren auch im Mittelmeergebiet, Spuren dieser frühen Besiedlung gibt es in Spanien, Südfrankreich und Italien. Doch über die Alpen kamen diese Frühmenschen kaum hinaus, lautete die Lehrmeinung. Denn damals stießen immer wieder die Gletscher verschiedener Eiszeiten weit nach Süden und Westen bis in die Gegend der heutigen Städte Berlin, Hamburg und London vor. Das war einfach kein Land für Menschen, die an mediterranes Leben angepasst waren.
Manchmal zogen sich die Gletscher zwar weit zurück, aber diese wärmeren Epochen dauerten jeweils nur ein paar Tausend Jahre. Und sie waren für die Mittelmeer-Menschen immer noch zu harsch, glaubten die Forscher, bis sie in der Grafschaft Norfolk die Feuerstein-Werkzeuge fanden.
Magnetfeld falsch gepolt
Denn diese Feuersteine liegen in einer Schicht, in der das Magnetfeld der Erde aus heutiger Sicht falsch gepolt war - die Kompassnadel hätte damals nicht wie heute nach Norden, sondern nach Süden gezeigt. Nun kehrt sich das Erdmagnetfeld nicht allzu oft um, zum letzten Mal zeigte die Magnetnadel in der Zeit vor mehr als 780,000 Jahren nach Süden. Die Feuersteine von Norfolk sollten folglich mindestens so alt sein.
Als Simon Parfitt und seine Kollegen die Gesteinsschicht, in der die Steinzeit-Werkzeuge lagen, ein wenig genauer untersuchten, fanden sie Samen von Birken und Hemlocktannen, sowie Überreste von Mammuts, Pferden, Elchen und Rotwild. Die steinzeitlichen Jäger hatten diese Tiere daher wohl am Rand der Wälder gejagt, die damals an den Ufern wuchsen. Das deutet auf die späte Zeit einer wärmeren Zwischeneiszeit, in der die einst von den Gletschern weit nach Süden zurückgedrängten Wälder bereits wieder weit nach Norden vorgedrungen waren. Solche Bedingungen aber herrschten sowohl vor ungefähr 840.000 wie auch vor 950.000 Jahren. Schon damals hatten offenbar Frühmenschen dem Dolce Vita am Mittelmeer den Rücken gekehrt und sich den viel härteren Bedingungen im Norden angepasst.