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"Früher war die Kirche voll zu Ostern"

Von Martyna Czarnowska

Analysen

Auf den Straßen des alten Schäßburg ist deutsch meist nur noch aus dem Mund von Touristen zu hören.


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Die Sprache der Grabsteine ist deutsch. Auf dem evangelischen Bergfriedhof in Sighisoara, im Herzen Transsilvaniens, sind rumänische Namen nur vereinzelt zu finden. Die goldenen und grauen Aufschriften auf den Familiengräbern sind teils nur schwer zu entziffern, und auch so mancher Stein hielt der Witterung nicht stand. Doch viele Gräber wirken gepflegt, auch wenn die Nachfahren der Toten schon längst weggezogen sind.

Johann Höhr liegt hier begraben, gestorben 1893 im 55. Lebensjahr, Gattin Helene Höhr, Tochter Victorine und Enkel Gusti Schwarz, gestorben alle im selben Jahr: 1898. "Johann Leonhardt, Kaufmann" und "August Leonhardt, Bürgermeister" ist auf einer schwarzen Stele zu lesen. Samuel Harres, Restaurateur der Königlichen ungarischen Staatsbahn, fand in Sighisoara seine letzte Ruhe ebenso wie Eleonore Schortsch, geborene Müller, Lehrersgattin.

Auf den Straßen hingegen ist deutsch großteils nur aus dem Mund von Touristen zu hören. Dabei begrenzt das ehemalige Schäßburg gemeinsam mit Hermannstadt und Kronstadt jenes dreieckförmige Siedlungsgebiet im südlichen Transsilvanien, wo mehr als acht Jahrhunderte lang die Siebenbürger Sachsen lebten. Diese holte der ungarische König Geza II. Mitte des 12. Jahrhunderts aus dem Rheinland, der Pfalz, Luxemburg und Flandern, um das unerschlossene Land im Karpatenbogen zu kolonialisieren. Im Mittelalter legten die Siebenbürger Sachsen hunderte Dörfer und mehrere Städte an. Als sechste der sieben Burgen bauten sie "Castrum sex", nun Sighisoara.

Die Festungsanlage mit ihrem Stundenturm und der Bergkirche, die engen Gassen zwischen den bunten Bürgerhäusern - von denen etliche mit Hilfe deutscher Stiftungen renoviert wurden - haben die Jahrhunderte überdauert. Das Wohnen in der Oberstadt war den Deutschen vorbehalten, die Rumänen bauten ihre Häuser in der Unterstadt, die sich bis heute wie ein Straßendorf unter dem Burghügel entlangschlängelt. Der wohl berühmteste Sohn Schäßburgs war dennoch kein Sachse: Vlad Dracul soll hier zur Welt gekommen sein, so will es zumindest die Legende. Sein angebliches Geburtshaus ist nun zu einem Restaurant umfunktioniert: Statt Vampirgeschichten werden traditionelle rumänische Speisen geboten.

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In der evangelischen Kirche neben dem Stundenturm - im 16. Jahrhundert traten die Siebenbürger Sachsen zum lutherischen Bekenntnis über - ist die Liedfolge auf deutsch angeschrieben. Maria kann Fragen auf deutsch und auf englisch beantworten. Die 55-Jährige bessert sich ihre Rente mit Führungen durch die Kirche auf. Sie stammt selbst aus einer deutschen Familie, doch den alten sächsischen Dialekt, den sie bei ihrer Großmutter gehört hat, hat sie schon lange verlernt. Maria heiratete einen Rumänen, mit ihren drei Kindern spricht sie kaum deutsch. Viele ihrer Nachbarn, fast alle Nachfahren der Siebenbürger Sachsen sind weggezogen. Die Gedenktafel für jene Deutschen, die 1944 und noch wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nach Sibirien deportiert wurden, durfte erst nach dem Sturz der Ceausescu-Diktatur angebracht werden.

Doch die meisten Deutschen verließen das Land später - und sorgten damit auch für eine gute Einnahmenquelle der Regierung. Mehrere Tausend D-Mark soll Bonn für jedes Ausreisevisum bezahlt haben.

Nach 1989 begannen die Deutschen wieder in ihre alte Heimat reisen. "Noch vor ein paar Jahren war die Kirche voll zu Ostern und zu Weihnachten", erzählt Maria. Doch den Alten falle es zunehmend schwer, zu reisen, und die Jungen hätten wenig Interesse. Nun ziehen auch junge Rumänen in Scharen weg - auf der Suche nach einem Job.

Derzeit hat die evangelische Gemeinde in Sighisoara an die 300 Mitglieder. Taufen werden im "Schäßburger Gemeindebrief" kaum verzeichnet. "Sighisoara wird immer älter", sagt Maria. Sie meint damit nicht nur die Gebäude, sondern auch die Menschen.