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"Früher war Lego noch für alle da"

Von Julia Rumplmayr

Wirtschaft

"Pinkstinks" kämpft gegen die Vormacht der Farbe Rosa und die Pinkifizierung.


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Ist es ein Bub oder ein Mädchen? Schon während einer Schwangerschaft ist das die Frage aller Fragen, sie entscheidet die Farbe des Kinderzimmers, des Kinderwagens, die Wahl der Kleidererstausstattung. Früher ging es bei der Frage "männlich oder weiblich" um Nachkommen oder Stammhalter, heute beeinflusst sie Konsumentscheidungen.

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Rollenbilder in Pink: Erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist Rosa die Mädchenfarbe.
© Foto: Ocean/Corbis

Im Handel stehen Mädchen und Bub für Rosa und Blau, für zuckerlfarbene Glitzer-Prinzessinnenwelten mit Mascherln sowie Rüschen und für dunkelblaue Abenteuer mit Baggern, Schwertern und Bohrmaschinen. Ausnahmen gibt es natürlich - wer allerdings ein Kinderbekleidungs- oder Spielzeuggeschäft betritt, wird unweigerlich mit der Frage "Bub oder Mädchen" konfrontiert und in die jeweiligen Welten verwiesen. T-Shirts mit Blumen und Vögeln sind für Mädchen da, die mit den Piraten und Traktoren für die Buben. Die Puppenküche auf der einen Seite, die Werkbank auf der anderen.

Rosa-blaue Farbensymbolik seit dem 20. Jahrhundert

Rosa und Blau standen nicht immer für Mädchen und Buben. Noch im 19. Jahrhundert war die Aufteilung genau umgekehrt, das herrschaftliche Rot stand für die Männerthemen Macht und Kampf, Blau war die Farbe der Gottesmutter Maria und dadurch den Mädchen vorbehalten. Erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist Rosa die Mädchenfarbe und Blau Bubenfarbe, Medien und Konsum verstärkten diese strikte Aufteilung in den letzten Jahrzehnten. Wer Buben- und Mädchensachen kaufen muss, gibt mehr Geld aus. "Wenn es eine rosa und eine blaue Ecke im Laden gibt, geht der Konsum außerdem schneller", sagt Genderforscherin Stevie Schmiedel. Der Hamburgerin, die Mutter von zwei Töchtern ist, ist Rosa ein Dorn im Auge - zumindest das, wofür die Farbe steht. Sie gründete Pinkstinks Deutschland, nach dem Vorbild der gleichnamigen Organisation in Großbritannien, und möchte auf die zunehmende "Pinkifizierung" der Gesellschaft aufmerksam machen, die sich nicht nur in Farbensymbolik manifestiert, sondern auch im Spielzeug, das den Geschlechtern zugedacht wird. "Die Aufteilung in Buben- und Mädchenspielsachen gab es tendenziell schon immer, aber sie hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich intensiviert. In den 50er Jahren war Lego noch für alle da, jetzt gibt es Star-Wars-Lego für die Jungen, die Mädchen können mit Lego-Friends Beautysalon spielen und Cupcakes backen." Es scheine, als würden sich in den Kinderzimmern die alten Geschlechterrollen halten, während sich die Realität in der Familie längst geändert hat: Mutter und Vater arbeiten beide, Mama montiert Bücherregale, Papa wechselt die Windeln.

Prinzessin Lillifee und ihr Warenimperium

Pinkstinks wird oft vorgeworfen, es würde Rosa in den Kinderzimmern abschaffen wollen, eine vermeintlich überflüssige Aufgabe, zumal sich die Rosaphase vieler Mädchen nach einigen Jahren ohnehin selbst beenden würde. "Es geht nicht darum, Rosa zu verbannen, es geht aber um mehr Diversität. Meine Töchter haben auch Lillifee und gehen ins Ballett, aber sie spielen auch mit Autos und haben einen Boxsack im Kinderzimmer hängen."

Beim Thema Pinkifizierung geht es oft um Prinzessin Lillifee. Um dieses Feenwesen mit blonden Löckchen und Kulleraugen hat der Verlag Coppenrath mittlerweile ein gigantisches Warenuniversum geschaffen, vom Taschenspiegel über Schultaschen und Schminkköfferchen gibt es alles, was so manches Mädchenherz begehrt. Harmlos sei das Spielzeug aber nicht, sondern präge ein bestimmtes Frauenbild, sagt Schmiedel: "Barbie oder Lillifee als Vorbilder führen sicher nicht zum Berufswunsch Mathematikerin oder Ingenieurin." So käme es auch nicht von ungefähr, dass Zukunftspläne von Mädchen eher in Richtung Topmodel oder Arzthelferin gehen. "Es gibt einen starken Beautytrend schon bei kleinen Mädchen, Lillifee und Co. befördern diesen starken Fokus auf Äußerliches", kritisiert Schmiedel. "Schon Dreijährige müssen eine Fashionista sein, gleichzeitig fühlen sich Mädchen zunehmend unwohl in ihren Körpern."

Während es bei Mädchenspielzeug viel um Aussehen und Fürsorge geht, sind die Themen der Buben meist mit Kraft und Stärke besetzt: Mutige Piraten oder furchtlose Ritter sind die Vorbilder, Blumen und Herzen sind den Mädchen vorbehalten. "Dabei gibt es Jungen, die gerne mit Puppen spielen oder denen die Farbe Rosa gefällt. Es gibt die Angst, die Buben könnten später homosexuell werden oder ‚verweichlichen‘. Das sind alte, unsinnige Ängste." Im Gegenteil wäre es gut, meint Schmiedel, wenn aus den kleinen "Puppenvätern" einmal engagierte Erzieher oder Lehrer würden, an denen es ohnehin mangelt.

Eine Gegenbewegung zum Rosa-Blau-Trend gibt es längst: Bei immer mehr Eltern kommt der Wunsch auf, ihre Kinder - zumindest annähernd - geschlechtsneutral zu erziehen. In Wien-Meidling gibt es seit 2008 den ersten geschlechtsneutralen Kindergarten. In solchen Kindergärten gibt es keine gesonderte Puppen- und Bauecke, sondern Spielzeug für alle. Nicht Mädchen Rosa zu verbieten, sondern allen alle Farben, alle Spiele und alle Gefühle zu erlauben, ist die Idee. Ein sehr extremes Experiment zum Thema geschlechtsneutrale Erziehung machte eine Familie in Toronto, die das Geschlecht ihres Babys nicht verriet und ihm den neutralen Namen Storm gab. Storm sollte ohne Einflüsse auf seine geschlechtliche Identität aufwachsen - das kleine Kind wuchs im Gegenzug in Begleitung von enormem medialen Interesse auf. Storm ist mittlerweile zwei Jahre alt und sein oder ihr Geschlecht ist noch immer nicht bekannt.

Geschlechteridentität und Rollenbilder

Aber ist Geschlechtsneutralität möglich - oder überhaupt wünschenswert? Geht es nicht auch um Geschlechteridentität und darum, sich als Bub oder Mädchen und später als Mann oder Frau zu fühlen - mit welchen Eigenschaften diese Rollen auch immer verbunden sind? Selbst Eltern, die sich auf herkömmliche Weise bemühen, ihre Kinder nicht in bestimmte Rollenbilder zu drängen und Buben auch mit Puppen und Mädchen mit Autos spielen lassen, beobachten meist eines Tages, wie ihr Sohn sehnsüchtig jedem Fahrzeug nachschaut und die Tochter bei Rosa und Glitzer glänzende Augen bekommt. "Das ist tief in uns drinnen, das sind Vorstellungen von den Geschlechtern, die wir weiter prägen. Auch ich würde einen Buben anders angreifen", gibt Schmiedel zu. "Wahrscheinlich würde ich rufen, guck einmal, ein Bagger und mich nachher darüber ärgern."

Genetisch sei es aber nicht vorgegeben, dass Mädchen Prinzessinnen und Buben Ritter seien. Gerade im Fasching werden diese Rollenbilder gepflegt, weshalb die oberösterreichischen Kinderfreunde das Thema der "Pinkifizierung" in diesem Jahr aufgriffen und mehr Wahlfreiheit für die Kinder forderten: "Verkleiden, wie es mir gefällt - nicht nur Prinzessin oder Held", wurde plakatiert. Die Aufregung war groß, das BZÖ witterte einen "Krieg gegen die Faschingsprinzessin", zahlreiche Medien ein "Pink-Verbot". Die Thematik um Rosa und Blau scheint Emotionen hervorzurufen, auch Schmiedel werde immer wieder als "Wutmutter" bezeichnet, erzählt sie. Dabei gehe es ihrer Initiative nicht um Verbote, sondern um Möglichkeiten - wie den Boxsack in der Puppenecke. "Eine meiner Töchter liebt Rosa, die andere will Grün und Blau. Sie geht zwar ins Ballett, hat sich dafür aber einen quietschgrünen Anzug ausgesucht."