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Eine Polin erzählt von ihren Schwangerschaftsabbrüchen in den 70er Jahren. Ein Plädoyer für die Selbstbestimmung der Frau.
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Mehr als 100.000 Frauen und Männer sind in Polen in den letzten Tagen auf die Straßen gegangen, um gegen eine Verschärfung des Abtreibungsverbotes, das eine zwei- bis fünfjährige Haftstrafe beinhaltete, zu demonstrieren. Seit Wochen wird unter dem Motto #czarnyprotest (Schwarzer Protest) diese geplante Beschneidung von Frauenrechten im rechtskonservativen und klerikalen Polen angeprangert.
Polen hat bereits eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Seit 1993 ist - mit einem kurzen Intermezzo 1997 - ein restriktives Abtreibungsgesetz in Kraft. Seither sind Frauen quasi in den Untergrund gedrängt. Das belegt ein Forschungsbericht der polnischen "Föderation für Frauen und Familienplanung" aus dem Jahr 1999 mit breit angelegten wissenschaftlich durchgeführten Befragungen von Ärzten, Pflegepersonal und Frauen.
Darin kommt die Organisation zum Schluss, dass es in Polen einen florierenden "schwarzen Markt der Abtreibung" gibt und dass die Zahl der illegalen Eingriffe zwischen 80.000 und 200.000 zu beziffern ist, was annähernd der Zahl der Abbrüche vor 1990 entspricht. Es ist allgemein bekannt, dass an Privatkliniken und in Praxen Abtreibungen illegal durchgeführt werden, zum Teil zu extrem hohen Preisen. Frauen, die es sich leisten können, fahren auch ins Ausland: Russland, Deutschland oder auch Holland.
Familienplanung nicht gefördert
Nun schoss sich die PiS-Regierung, allen voran Ministerpräsidentin Beata Szydlo und der erzkonservative PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski, auf eine Kriminalisierung von Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, ein. Dessen bei einem Flugzeugabsturz verunglückten Bruder Lech Kaczynski hatte übrigens eine deutlich liberalere Einstellung, unter anderem zu Frauenrechten, und hätte polnischen Medienberichten zufolge einer Verschärfung der Gesetzeslage nicht zugestimmt.
Ähnlich sieht das auch die gebürtige Polin Barbara (Name von der Redaktion geändert), die seit mehr als 30 Jahren in Österreich lebt und heute mit großer Sorge nach Polen blickt. Die 65-Jährige hat 1975 und 1979 jeweils eine Abtreibung durchführen lassen. "Damals hat das die Krankenkasse bezahlt, es war sehr unkompliziert. Danach führten Ärzte nicht einmal ein Gespräch mit den betroffenen Frauen, wie man eine Schwangerschaft vorbeugen kann", erinnert sich Barbara. Zu der Zeit hätten fast alle ihre Freundinnen mindestens einmal abgetrieben.
Ärzte skeptisch gegenüber Pille
Verhütungsmittel wie Anti-Baby-Pille und Spirale seien in den Siebzigern gerade aufgekommen, jedoch sei der Zugang nicht leicht gewesen. Noch dazu hätten Ärzte vehement vor möglichen Nebenwirkungen und Risiken der neuen Medikamente gewarnt. "Wenn Ärzte skeptisch waren, waren wir es auch. In punkto Verhütung waren wir Frauen uns selbst überlassen – die beste Lösung war Abstinenz", lacht Barbara. Kondome waren im Prinzip das einzige Verhütungsmittel, zu denen man leichten Zugang hatte.
Kam es also - durch mangelhafte Aufklärung und Kritik an modernen Verhütungsmethoden - zu einer ungewollten Schwangerschaft, konnten Frauen in den Siebzigern zumindest ungehindert und kostenfrei eine Abtreibung in Anspruch nehmen. Ein Tabuthema war es damals natürlich genauso wie heute, worüber Frauen höchstens unter Freundinnen sprachen.
"Kirche hatte nichts zu sagen"
Im Gegensatz aber zur Gegenwart sei der Schritt in der breiten Gesellschaft akzeptiert und als freie Entscheidung der Frau angenommen worden. Der Grund war der geringe Einfluss von Religion und Kirche: "Die Kirche hatte nichts zu sagen", so Barbara. Es sei eine Zeit gewesen, in der polnische Wohnzimmer noch nicht von fanatisch-religiösen Bekehrer-Sendungen aus Radio und TV beschallt wurden. "Natürlich waren viele Menschen gläubig, aber nicht so extrem wie heute, viele sind nicht regelmäßig in die Kirche gegangen. Heute sind die Medien überall sichtbar, die katholische Kirche betreibt ihre Hetze im Übermaß und ist sehr stark repräsentiert", so die kirchenkritische Pensionistin.
Für die Entwicklung einer Gesellschaft, in der extreme und eher intolerante Einstellungen verbreitet sind, sei laut Barbara vor allem die restriktiv-autoritäre Regierung verantwortlich, die wiederum sehr stark mit der Kirche verbandelt sei. So wird die Bürgerinitiative der sogenannten "radikalen Lebensschützer", die bereits vor zwei Jahren 400.000 Unterschriften für ein totales Abtreibungsverbot sammelten, kräftig von der katholischen Kirche unterstützt. Und ihr Einfluss reicht weiter, sie verfügt auch über ausreichend politische Druckmittel. Beim Wahlkampf 2015 wurde die rechtskonservative PiS von hochrangigen Kirchenvertretern unterstützt, in der Messe gehört Parteipropaganda inzwischen zum Gebet dazu wie das Amen. Mit einer liberaleren Haltung würde die Regierung nicht nur ihre klerikalen Partner erzürnen, sondern viele Stammwähler, die zum größten Teil Abtreibungsgegner sind.
Die allgemeine Situation in Polen beobachtet Barbara sehr kritisch und mit großer Sorge: "Das Abtreibungsgesetz ist nur ein Problem von vielen. Medien werden auseinandergenommen, kritische Journalisten, Richter, Juristen gekündigt und durch parteigetreue ersetzt. Die Proteste gegen das Verschärfung des Abtreibungsgesetzes sind zwar wichtig, weil es wichtig ist, dass sich irgendwas bewegt." Landesweite Proteste können viel bewirken, wie Islands Frauen vor 40 Jahren zeigten, als sie einen Tag gesammelt streikten. Die polnische Protestbewegung #czarnyprotest nahm sich die Isländerinnen zum Vorbild. Barbara ist überzeugt: "Wenn die Hälfte der Bevölkerung auf die Straße geht, bewirkt das schon etwas."
Die Frau hat immer Schuld
Männer könnten sich von den Frauen eine Scheibe abschneiden, findet die 65-Jährige. In mehreren Facebook-Debatten hätten polnische Männer den engagierten Protest bespottet. Die Frauen seien auf das vermeintlich von der Regierung inszenierte Ablenkungsmanöver des Abtreibungsverbots reingefallen, denn nun könnte sie das Freihandelsabkommen Ceta heimlich mit wenig Aufmerksamkeit durchboxen. Statt selbst gegen das kanadisch-europäische Abkommen auf die Straße zu gehen, geben viele männliche Nutzer Frauen tatsächlich die Schuld, falls Ceta kommen wird. Eine Schieflage, die aber in einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur nicht sonderlich überrascht.
Wenn Barbara zurückblickt, ist sie froh, dass sie eine (legale) Wahl hatte. "Ich bin sehr dankbar, dass ich damals die Abtreibungen durchführen lassen konnte", erzählt die zweifache Mutter. Ihre Ehe sei von Anfang an nicht besonders liebevoll gewesen und beim zweiten Schwangerschaftsabbruch habe sie erfahren, dass es sich um Zwillinge handelte. Eine Scheidung, die 20 Jahre später folgte, hätte sie als allein erziehende Mutter mit vier oder fünf Kindern noch viel mehr belastet.
Aber jede Abtreibung, ist die Akademikerin überzeugt, habe einen fahlen Beigeschmack und sei eine sehr starke seelische Belastung. Mit ihr fertig werden musste sie damals alleine, maximal mit Unterstützung guter Freundinnen, aber ohne Partner. "Männer sind damals in Polen nicht auf die Idee gekommen, sich in diesen Lebensbereich einzumischen. Es war Frauensache." Sie lacht, weil sie eigentlich ganz froh darüber sei. Und wie sieht es heute aus? Im polnischen Fernsehen in einer Runde diskutieren etwa sieben Männer zum Thema.
Die Proteste zeigten Wirkung. Die Regierung liefert ein kleines Zugeständnis. "Der #czarnyprotest hat uns Demut gelehrt, ein Totalverbot der Abtreibung wird es nicht geben", sagte der polnische Vizepremier und Unterrichtsminister Jaroslaw Gowin gegenüber dem Radiosender "Koszalin" am Dienstag. Er versicherte, dass die Mehrheit des Sejms (polnisches Parlament) einer Verschärfung des Abtreibungsrechts nicht zustimmen wird. Im Falle einer Vergewaltigung und Gesundheits- oder Lebensgefahr für die Frau solle das Recht zu einer Abtreibung gelten. Straffrei.
Abtreibungsrecht in Europa
"The Guardian" - Polen rudert zurück: Keine Verschärfung des Abtreibungsrechts