Sonne, bunte Blüten, Schmetterlinge im Bauch - Frühlingsgefühle sind etwas Wunderbares. Sie existieren nur nicht, sagen die Wissenschaftler, denn sie spielen sich nur im Kopf ab. Wir machen uns da nur etwas vor. Stimmt das?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Meist reichen ein paar Plusgrade und Sonnenstrahlen, das erste Gezwitscher der Vögel nach dem Winter - und schon sind Mensch und Tier in einem körperlichen Ausnahmezustand. Sie spulen plötzlich ein biologisches Programm ab, gehorchen ihren Hormonen und tun so, als wären sie tatsächlich nur die Summe ihrer Triebe.
Frühling ists. Und er löst Gefühle aus. Aber was ist das für ein Phänomen, für das sich in der Wissenschaft nur schwer eine allgemein gültige Erklärung finden lässt? Dichter und Minnesänger hatten nie ihre Zweifel. Sie fanden für die Zeit der erwachenden und sprießenden Natur wunderschöne Worte. "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche/Durch des Frühlings holden, belebenden Blick" lässt Goethe seinen Faust im berühmten Osterspaziergang sagen. Der Dichterfürst des 18. und 19. Jahrhunderts schrieb eben Weltliteratur. Später, in der Zwischenkriegszeit, vermittelten die Comedian Harmonists durchaus allgemein verständlich, wie der Frühling tickt. "Veronica, der Lenz ist da, die Mädchen singen trallala …" lautete ein berühmter Refrain des Berliner Vokalensembles. Solch lieblichen Frohsinn konnte der Satiriker Georg Kreisler angesichts des Frühlings nicht ausmachen und dichtete gallig: "Wenn die Geigen lauter geigen und die Selbstmordziffern steigen, merkt man gleich, der Frühling ist jetzt nah."
Der Lenz ist nun einmal ein unausweichliches Phänomen und damit basta. Oder doch nicht? Es muss einem doch zu denken geben, wie wenig selbstverständlich wir sein jährliches Auftauchen nehmen und wie nervös wir ihm entgegenfiebern. Bis heute finden sich die ersten warmen Sonnenstrahlen als Schlagzeilen in den Lokalteilen; und das Sprießen der Hyazinthen und das Piepsen der Kohlmeisen wird jedes Jahr zum Mirakel: Kommt der Frühling diesmal früher, vielleicht später, oder ganz anders? Zeigen sich schon Folgen des Klimawandels? Spielt die Biosphäre endgültig verrückt? "Der Frühling", schrieb der englische Schriftsteller Douglas Adam, "wird überbewertet." Das mag nüchtern betrachtet auch stimmen, ist doch der Frühling in den gemäßigten Zonen nur eine der vier Jahreszeiten.
Und doch ist diese Jahreszeit eine besondere. Ein laues Lüftchen, knospende Blätter, Vögel, die sich die Seele aus dem Leib singen - und schon fühlen sich die Menschen befreit, erregt und mitunter erschöpft. Ja, wir haben uns tatsächlich aus den dicken Jacken geschält und schweben nun in luftiger Kleidung federleicht durch die Fußgängerzone. Und wenn plötzlich die Laune steigt und das andere Geschlecht so anziehend ist wie lange nicht, heißt dieses Phänomen Frühlingsgefühl. Weil der Körper jetzt mehr Sexualhormone ausschüttet, die für die berühmten Schmetterlinge im Bauch sorgen.
Schluss mit untätig. Doch was landläufig als gegeben gilt, ist wissenschaftlich nur zum Teil bestätigt. Sicher ist, dass Stoffe wie Cortisol, Serotonin und Testosteron unsere Wahrnehmung verändern, weil der Hirnanhangdrüse plötzlich mehr Licht und längere Tage gemeldet werden. Zugleich weiten sich die Blutgefäße, der Blutdruck sinkt und der Mensch fühlt sich von so viel Veränderung eben ganz anders. Und wenn die Sonne strahlt, die Vögel zwitschern, die Käfer krabbeln, die Blumen sprießen, die Natur aufblüht - dann kann der Mensch auch nicht untätig bleiben. Er schaltet im Frühling öfter seinen Verstand ab, gibt sich vermehrt seinen Trieben hin und denkt, es seien die Frühlingsgefühle, die ihn im sonnigen Lenz übermannten. Doch die tatsächliche Begründung, warum die Menschen im Frühling das Gefühl haben, ihre Gefühle gingen mit ihnen durch, darüber streiten Mediziner und Verhaltensforscher. Und kommen zu völlig unterschiedlichen Erkenntnissen: Während die einen Hormone für die Lust im Frühjahr verantwortlich machen, glauben die anderen, uns leite ein rein subjektives Empfinden.
Das Zeitalter der Biologie der Frühlingsgefühle begann in den fünfziger Jahren, als Wissenschafter an der Universität in Harvard zum ersten Mal die Funktion der Zirbeldrüse, einem kleinen Organ zwischen den beiden Hirnhälften, gründlich untersuchten. Einst hatte der Philosoph René Descartes die kleine Drüse wegen ihrer Lage im Gehirn für den Sitz der Seele gehalten. Dreihundert Jahre lang kamen keine neuen Erkenntnisse dazu. Nach der Auswertung von über 1800 Studien stand fest, dass sie an mindestens drei Körperfunktionen beteiligt ist: der Hautpigmentierung, der Genitalfunktion von Männern und Frauen und der Steuerung der Hirntätigkeit. Etwa zur gleichen Zeit fand man an der Uni von Yale das Melatonin, das Hormon der Zirbeldrüse. Dann dauerte es noch eine ganze Weile bis man herausfand, dass der Körper dieses Hormon nur bei Dunkelheit produziert. Sobald die Sonne scheint, stellt der Körper die Melatonin-Erzeugung ein.
Spring Fever nennt die Wissenschaft das, was wir als Frühlingsgefühle bezeichnen, und hat uns jahrelang erklärt, warum im Frühling die Hormone mit uns durchgehen. Die winterliche Dunkelheit würde unsere Körper zu verstärkter Produktion dieses "Schlaf"-Hormons Melatonin anregen, deshalb würde es uns zur Winterszeit zwar sehr wohl in die Betten ziehen, aber eben hauptsächlich zum Schlafen. Sobald die Tage länger werden und wir mehr Licht ausgesetzt sind, sinkt der Melatoninspiegel, verschafft uns mehr Energie und hebt unsere Laune. Die warmen Sonnenstrahlen, meinen Hormonwissenschafter, würden nicht nur bei Tieren die Glückshormone Serotonin und Dopamin ausschütten, sondern auch beim Menschen. Durch die erhöhte Hormonausschüttung steige unsere Laune und der Wunsch nach einem Partner werde größer. Wenn also die Tage länger und die Lichtintensität der Sonne im Frühling stärker wird, produziert der Körper weniger Melatonin und das sexuelle Begehren wird angeregt. Soweit die Theorie.
Schwachsinn, sagen die Forscher der anderen Fraktion. Dass die Botenstoffe im Lenz verrückt spielen, stammt aus der Frühgeschichte der Menschheit und ist ein Überbleibsel unserer Vorfahren. Wir Menschen, sagen sie, machten uns da etwas vor. Der deutsche Endokrinologe Martin Reincke etwa meint, dass es Frühlingsgefühle gar nicht mehr geben könne, da die Lebensweise des Menschen heute unabhängig vom natürlichen Jahreszyklus sei. Bekanntlich gibt es in unseren Breiten dank Heizung und künstlichem Licht auch den Winter hindurch weder richtige Kälte noch Dunkelheit. Und in Zeiten der Anti-Baby-Pille könne die Natur ja gar nicht mehr auf den menschlichen Fortpflanzungsrhythmus einwirken. Spielen sich diese Gefühle also nur noch im Kopf ab? Ja, meint Reincke. "Echte Frühlingsgefühle kann man höchstens noch bei Eskimos ausmachen." In der zivilisierten Welt mache sich der Wechsel vom Winter zum Frühling bei den menschlichen Hormonen nicht bemerkbar. Die Wissenschaft streitet also über Frühlingsgefühle beim Menschen.
Mehr Instinkt als gefühl. In der Tierwelt funktioniert das alles noch, allerdings als überlebenswichtiger Urinstinkt. Wenn die Tiere nach der kalten Jahreszeit aus ihren Verstecken kommen, kitzeln die ersten warmen Sonnenstrahlen die Hormone Dopamin und Serotonin wach. Diese lassen den Fortpflanzungstrieb zum richtigen Zeitpunkt erwachen: Pflanzen sich die Tiere im Frühling fort, wird der Nachwuchs dann geboren, wenn das Nahrungsangebot groß und die Überlebenschancen hoch sind. Diesen geschlechtlichen Jahreszyklus habe es in grauer Vorzeit auch bei uns gegeben, meinen Biologen, die sich mit der Evolution auseinandersetzen.
Aber auch Düfte können Frühlingsgefühle verursachen. Romantiker wollen glauben, es handle sich um die Gerüche der ersten Blüten. Doch das Geheimnis des süßlichen Frühlingsduftes ist gar nicht so romantisch, wie Untersuchungen von Wissenschaftern zeigten: Der scheinbare Wohlgeruch, der für eine erfrischende Stimmung sorgt, ist in Wahrheit eine modrige Mischung aus Moos und Laub, das in der Sonne fault. Dennoch bewirken diese Duftstoffmoleküle einiges. Denn sie kommen über die Geruchsrezeptoren ins Riechhirn und von dort zum sogenannten limbischen System, in dem auch die Erinnerungen gespeichert sind. So erkennen die Menschen, schon lange bevor die ersten Maiglöckchen ihren Duft verströmen, dass es Frühling wird.
Ob es nun wissenschaftlich bewiesene Frühlingsgefühle gibt oder nicht, sollte uns letztendlich egal sein. Denn wahrscheinlich liegt die Wahrheit, wie bei so vielen Dingen im Leben, in der Mitte. Der Frühling regt unsere Sinne an. Die Blumen duften, die Farben unserer Umgebung verändern sich, die warmen Sonnenstrahlen streicheln unsere Haut - das hebt die Laune ungemein. Auch das Schlafbedürfnis sinkt mit den längeren, sonnigen Tagen, wir werden im Frühling wieder aktiver. Und überhaupt: Wenn uns suggeriert wird, die Flirtsaison beginne im Frühling, können wir schon von einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung der Frühlingsgefühle sprechen. Ob körperlich oder doch nur subjektiv gesteuert: Hauptsache, die Lust im Lenz wird genossen.
GLÜCKSHORMONE FREISCHALTEN.
Unsere Stimmung ist nicht nur von
Hormonen abhängig. Abgesehen davon, dass das beste Kunstlicht die Sonne
nicht ersetzen kann, sorgen - trotz aller Wissenschaft - auch folgende Faktoren
für Frühlingsgefühle:
Aufenthalt im Freien. Ab März halten
wir uns häufiger im Freien auf. Dadurch
treffen wir attraktive Fremde, die Zahl
der Flirtgelegenheiten wächst.
Aktivität. Wenn das Wetter besser wird,
unternehmen wir mehr. Jede Aktivität
hebt die Stimmung, es bilden sich
mehr Glückshormone (Endorphine),
damit werden wir risikobereiter und
selbstbewusster. Beides fördert unsere
Chancen beim anderen Geschlecht.
Die blühende Natur. Wenn Blumen,
Bäume und Tiere aus ihrem Winter-
schlaf erwachen, schalten auch wir
innerlich auf Veränderung und
Erneuerung um. Es steigt die Bereit-
schaft, aus gewohnten Bahnen aus-
zubrechen, etwas Neues zu probieren.
Und welche Erneuerung wäre über-
zeugender als ein erfolgreicher Flirt?