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Frust an der Rebellenfront

Von Anne-Beatrice Clasmann/WZO

Politik

UNO: Haben Chemiewaffen-Dokumente von Assad-Regime erhalten.


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Damaskus. (dpa/APA/red) Syrien scheint es mit der Zusammenarbeit mit der UNO in Sachen Übergabe seiner Chemiewaffen ernst zu meinen: Den Vereinten Nationen seien Dokumente übergeben worden, so ein Sprecher am Donnerstagabend. Welcher Art und in welchem Umfang die Dokumente sind, wurde vorerst nicht bekannt gegeben. Syriens Präsident Bashar al-Assad hatte zuvor gegenüber dem russischen Sender Rossija 24 angekündigt, sein Land werde der UNO sowie der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) die nötigen Dokumente für einen Beitritt seines Landes übermitteln. Russlands Plan für Syriens Chemiewaffen sieht Medienberichten zufolge vor, dass Damaskus zunächst der OVCW beitritt, bevor gemeinsam mit Experten über den Umgang mit dem Waffenarsenal entschieden werden soll.

Angriff im Nacken

Jahrelang hat das syrische Regime den Besitz von Chemiewaffen geleugnet. Mit der Drohung eines US-Angriffs im Nacken gesteht Präsident Bashar al-Assad nun erstmals offiziell ein, dass seine Armee diese international geächteten Waffen produziert und lagert. Er ist sogar bereit, sich von dem Giftgas zu trennen, das zum Teil noch aus der Ära seines Amtsvorgängers und Vaters, Hafez al-Assad, stammt. So weit, so gut.

Die Drohung der US-Regierung mit einem Militärschlag hatte zu einigen kurzfristigen Verschiebungen an den vielen Fronten des Bürgerkrieges geführt. Der syrische Oppositionelle Fawaz Zakri berichtet: "Die radikalen Islamisten-Brigaden haben Stellungen verlassen, weil sie Angst hatten, dass die Amerikaner nicht nur das Militär, sondern auch sie angreifen könnten. Das Gleiche gilt für die Regierungstruppen. Der Freien Syrischen Armee (FSA) hat das an einigen Orten die Möglichkeit gegeben, ihre Position zu verbessern."

Doch für die syrischen Zivilisten, die den Schrecken des Bürgerkrieges nahezu schutzlos ausgeliefert sind, ändert sich nicht viel - vor allem, da es jetzt so aussieht, als könnten die angedrohten Angriffe der Vereinigten Staaten unter Umständen komplett abgesagt werden.

Die syrische Opposition und die mit ihr verbündeten Rebellen-Brigaden sind entsetzt über den sich abzeichnenden amerikanisch-russischen Kompromiss. "Dieser Vorschlag erfordert, dass man Assad vertraut, einem Mann, der Zehntausende hat töten lassen und der den Besitz von Chemiewaffen in der vergangenen Woche noch geleugnet hatte", erklärt die Nationale Syrische Allianz, der die Oppositionsgruppen umfasst. Die Regimegegner betonen zudem, für die Opfer sei es letztlich gleichgültig, ob sie durch Giftgas, Raketen, Artillerie oder Granaten stürben.

Die Allianz, die bisher auf den Westen, die Türkei und die arabischen Golf-Staaten gebaut hat, will ihre Strategie jetzt neu überdenken. Für diesen Freitag hat sie die 115 Mitglieder ihres Führungsgremiums zu einer Dringlichkeitssitzung in Istanbul zusammengerufen.

"Gefährliche Wende"

Auch die Vereinten Nationen und die Arabische Liga warnen davor, einen Erfolg in der Chemiewaffen-Frage mit Fortschritten auf der Suche nach einer Lösung für den Konflikt zu verwechseln. Die Syrien-Kommission des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte stellte diese Woche fest: "Der Konflikt in der Syrisch-Arabischen Republik hat eine gefährliche Wende genommen. Die meisten Menschen sterben als Folge des illegalen Einsatzes konventioneller Waffen."

Immer mehr unbewaffnete Zivilisten werden auch einfach kaltblütig erschossen oder mit Messern massakriert. Dies geschieht, wenn sie Kämpfern oder Soldaten in die Hände fallen, die sie als Unterstützer einer anderen Bürgerkriegspartei identifizieren oder auch nur, weil sie einer anderen Glaubensrichtung angehören. Nach Aussagen von Menschenrechtlern und unabhängigen Beobachtern begehen neben den Regierungstruppen und den mit ihnen verbündeten bewaffneten Volkskomitees auch die radikalen Rebellen schwere Kriegsverbrechen.

Dorfbewohner berichteten der Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter von einem Massaker der islamistischen Al-Nusra-Front am vergangenen Dienstag in einem Dorf der Provinz Homs. Ihren Angaben zufolge töteten die Islamisten 22 Beduinen und Angehörige der alawitischen Minderheit. Unter den Toten sollen auch vier Kinder und alte Frauen gewesen sein.

Parallel zu einer Zunahme der Kriegsverbrechen wird das Beziehungsgeflecht zwischen den verschiedenen Brigaden immer komplexer. Im Norden kämpfen Kurden gegen Araber. Die verschiedenen Islamisten-Brigaden tragen ihre Rivalitäten inzwischen gelegentlich auch mit der Waffe aus. Der liberale Flügel der Exilopposition, der es nicht geschafft hat, den Westen zu einem militärischen Eingreifen zu motivieren, verliert weiter an Einfluss.

  • Dokumente zum Giftgaseinsatz