Der Nationalrat fasst diese Woche einen wesentlichen Beschluss im Sinne der Verkehrssicherheit, denn Experten und Politik sind sich einig: Sie erwarten sich davon einen 20-prozentigen Rückgang der Unfälle bei Fahranfängern. Dazu muss jeder Führerscheinneuling künftig Feedbackfahrten und ein Fahrsicherheitstraining absolvieren. Das Zauberwort heißt Mehrphasenfahrausbildung - diese soll mit 1. Jänner 2003 in Kraft treten. Deren Umsetzung war zuletzt von Verkehrsminister Mathias Reichhold vorangetrieben worden.
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Der Verkehrsunfall ist Todesursache Nummer 1 in der Gruppe der 18- bis 20jährigen Fahranfänger. Jeder zweite tödliche Crash ist ein Alleinunfall. Im EU-Ländervergleich liegt Österreich hier an vorletzter Stelle.
Ziel ist eine Unfallreduktion in der Anfängergruppe schon im ersten Jahr um 20 Prozent. Das besonders hohe Unfallrisiko bei Neueinsteigern ist auf mangelnde Fahrroutine und hohe Risikobereitschaft junger LenkerInnen zurückzuführen.
Mit diesem Beschluss übernehme Österreich EU-weit eine Vorreiterrolle, da es ein ähnliches Modell nur in Finnland gebe, zeigte sich Reichhold gegenüber der "Wiener Zeitung" "glücklich", denn die Akzeptanz sei sehr hoch.
Rund 80.000 bis 90.000 FahranfängerInnen pro Jahr
Die Mehrphasenausbildung wird ab 2003 rund 80.000 bis 90.000 FahranfängerInnen pro Jahr betreffen. Sie wird sowohl für die Klasse B (Pkw) als auch für die Klasse A (Motorrad) gelten. Zu absolvieren sind drei neue Module: Verteilt auf einen Zeitraum von zwölf Monaten fährt der Fahranfänger zweimal jeweils zwei Stunden unter Begleitung eines Fahrlehrers im Straßenverkehr. Währenddessen und in einem Nachgespräch soll systematisches Feedback gegeben werden und somit auf mögliche Fehler im Fahrverhalten aufmerksam gemacht werden.
Das eintägige Fahrsicherheitstraining, gekoppelt mit einer verkehrspsychologischen Risikomanagement-Schulung, sollte innerhalb von drei bis neun Monaten nach Erwerb der Lenkerberechtigung absolviert werden. Hierbei sollten durch möglichst realitätsnahes Erleben am Testgelände Strategien zur Gefahrenbewältigung und Gefahrenvermeidung vermittelt werden.
Fortbildung in der Phase des "Erfahrung-Sammelns"
Der Gesetzgeber hofft, die Unfallzahlen dadurch zu senken, indem Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zu einem Zeitpunkt absolviert werden, zu dem sich die AnfängerInnen noch in einer Phase des "Erfahrung-Sammelns" befinden.
Damit sich die Lenkerneulinge auch auf eine professionelle Schulung verlassen können, ist im Gesetz folgendes festgehalten: "Feedbackfahrten sind von Fahrschulen unter Anleitung eines geeigneten Ausbildners abzuhalten. Das Fahrsicherheitstraining ist unter der Leitung eines besonders geeigneten Instruktors durchzuführen. Befugt sind Vereine von Kraftfahrzeugbesitzern, sofern sie im Kraftfahrbeirat vertreten sind, und Fahrschulen, die über die erforderlichen Voraussetzungen verfügen."
Sanktionen: 0,26 Prozent "schwarze Schafe" vermutet
Sanktionen erfolgen erst, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem die zweite Ausbildungsphase komplett abgeschlossen sein sollte,, alle oder einzelne Module nicht absolviert wurden. In diesem Fall soll dem Betreffenden Mittels eines Schreibens eine Nachfrist von vier Monaten gewährt werden, um die fehlenden Teile nachzuholen. Die Konsequenzen bei Nichteinhaltung dieser Frist reichen von einer Verlängerung der Probezeit bis hin zum Führerscheinentzug.
Geht man von Erfahrungen aus Luxemburg aus - auch hier gehört die Mehrphasenausbildung schon zum Alltag -, wonach nur etwa 0,26 Prozent der Anfänger die vorgeschriebene Ausbildung nicht absolvieren und geht man von rund 80.000 erteilten Lenkerberechtigungen pro Jahr aus, so sind österreichweit 208 Fälle jährlich zu veranschlagen, in denen die Behörde tätig werden muss.
In den "Genuss" der zweiten Phase kommen auch jene KfZ-Fahrer, denen die Lenkerberechtigung auf mehr als 18 Monate entzogen wurde, sofern diese nicht bereits im Rahmen der Grundausbildung absolviert wurde.
Konzepterstellung erfolgte bereits im August 2000
Das Konzept war bereits im August 2000 von Experten des Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV), der Initiative für Fahrsicherheitstraining, des Fachverbandes der Fahrschulen, ÖAMTC, ARBÖ und des Verkehrsministeriums ausgearbeitet worden, wie die "Wiener Zeitung" bereits Ende 2000 berichtet hatte. Dabei waren die Stärken und Schwächen der ausländischen Systeme (Finnland, Luxemburg) analysiert und in Form eines eigenen, fundierten und optimierten Konzepts auf Papier gebracht worden.
Verzögerung der Einführung durch Finanzierungsdebatte
Verzögert wurde die Umsetzung aufgrund einer Debatte um die Finanzierung. Nach langem Hin und Her konnte allerdings eine "durchschnittliche" Kostenneutralität sichergestellt werden. So wurde etwa die Grundausbildung nach Ballast durchforstet und abgespeckt. Geplant ist, die derzeit vorgeschriebene Stundenanzahl für die Theorie von 40 auf 32 herabzusetzen. Statt der bislang 20 obligatorischen praktischen Stunden soll es nur mehr 18 geben. In einem am 26. Juni dieses Jahres im Verkehrsausschuss einstimmig angenommenen Entschließungsantrag aller vier Parlamentsparteien wurde überdies der ressortzuständige Minister ersucht, die Grundausbildung hinsichtlich möglicher Verbesserungen zu durchleuchten.
Reichhold will Gespräche mit der Versicherungswirtschaft führen, wie er mitteilte. Außerdem wolle er sich dafür einsetzen, EU-Mittel für die Evaluierung des Modells zu lukrieren.
5. FSG-Novelle: Prüfungsort und Fahrschule frei wählbar
Die konventionelle Fahrausbildung kostet derzeit laut KfV zwischen 1.060 und 1.420 Euro. Die Mehrphasenausbildung soll zwischen 1.156 und 1.468 Euro liegen. Mit einer erheblichen Verteuerung sei in näherer Zukunft nicht zu rechnen, da in der 5. Fahrschulgesetz-Novelle die Möglichkeit geschaffen wurde, den Prüfungsort frei zu wählen. In Kraft tritt dieses Gesetz bereits im Oktober 2002. Mit dieser Liberalisierung soll es zu mehr Wettbewerb bei den Fahrschulen in Österreich kommen. Diese Gesetzesänderung gibt den Kandidaten auch die Möglichkeit, die Fahrschule österreichweit frei auswählen zu können. Besonders für Pendler soll sich dadurch eine Erleichterung ergeben.
"Da wir die schlechtesten EU-weit sind, brauchen wir die beste Maßnahme", betonte Gregor Bartl vom KfV. Diese führe durch den erwarteten 20prozentigen Unfallrückgang laut Kuratoriumsberechnungen zu einer volkswirtschaftlichen Kostenersparnis von etwa 27 Mill. Euro pro Führerscheinjahr. Leid und menschliche Tragödien würden in zahlenmäßig nicht messbarem Ausmaß verhindert.
Im Jahr 2001 verunglückten 17.620 junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren auf der Straße, 220 davon tödlich.