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Führerscheinkultur

Von Haimo L. Handl

Gastkommentare

Nach den vielen dramatischen, extremen Gewaltexzessen junger Eltern, vor allem Väter, gegen ihre Kinder, oft sogar Säuglinge, versucht man es mit einem freiwilligen "Elternführerschein".


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In Spezialkursen sollen die Unbedarften Elternverantwortung lernen. Man will verhindern, dass immer mehr immer leichter "ausrasten", zu Folterern und Totschlägern werden.

Kinder zeugen und kriegen ist ein Menschenrecht. Früher durften Leibeigene nicht einfach heiraten und Familien bilden. Würde der Gedanke des Elternführerscheins weiter gedacht, käme es einer Beschneidung dieses Grundrechts in einer freien Gesellschaft gleich, weil manche Elternschaft verboten werden müsste. Aber Kinder braucht das Land. Es geht nicht um Qualität, sondern Quantität.

Wer ein Kind adoptieren will, muss ein Prüfungsprogramm durchlaufen, das so schikanös ist, dass viele davon ablassen. Bei leiblichen Familien schreitet der Staat erst bei nachweisbaren Gewalttaten ein. Adoptiveltern müssen nicht nur gesund sein wie zu Ariers Zeiten, sondern auch finanziell abgesichert. Jeder Arme aber darf mit einer/m Armen Kinder machen; viele leben von vieler Kinder Beihilfen.

Bedeutet das Angebot von Kursen zum Elternführerschein, dass in der regulären Sozialisation und Bildung für immer mehr Junge zu wenig greift? Verantwortung war früher ein wichtiger Teil der Persönlichkeitsbildung. Heute zeigen die meisten Erfolgreichen, dass ihnen ihre gesellschaftliche Unverantwortung Macht und Gewinn gebracht hat. Welche Unverantwortung wird akzeptiert und gefördert, welche verhindert?

Spezialkurse können keine Persönlichkeitsbildung nachholen, sie helfen in Details. Vielleicht geht es dabei wie mit dem Qualitätsmanagement (QM). Das ist seit Jahren ein Renner. Kostet viel, soll Qualität verbürgen, bringt aber einer eigenen Bürokratie Geschäfte. Denn wirkte das QM so wie angepriesen, müssten wir nicht teure Fehlentscheidungen erfahren (ich habe selbst eine QM-Ausbildung und weiß, wovon ich schreibe). Zwischen dem formalen Ausweis von Standards und deren Einhaltung liegen Welten. Eine gute Verfassung verbürgt ja auch noch kein verfassungskonformes Verhalten.

Werden Jugendliche demnächst einen Sexführerschein brauchen, damit sie gesellschaftlich (= politisch) korrekt ihre Sexualität entdecken und leben dürfen? Wenn wir für mehr und mehr Lebensbereiche Zertifikate brauchen, um uns legal zu bewegen, nimmt die Freiheit, auf die wir doch so viel geben, extrem ab. Ohne Prüfung, ohne Approbation fast kein Bereich mehr, der legal zu leben ist: Haushaltsgeräte und Werkzeuge könnten als Waffen verwendet werden - also her mit Prüfprogrammen für Haushalte. Anwälte könnten für Mandanten hohe Summen erstreiten, weil diese im privaten Gespräch fälschlich, irrig, untauglich beraten wurden oder das private Wort nicht von dem professioneller Beratung unterscheiden konnten (der Private hätte sofort auf den Experten verweisen müssen, statt selbst zu mutmaßen). Zum Safer Sex wird man womöglich auch einen Befähigungsausweis brauchen, sonst droht Strafverfolgung.

Die neue Kultur der politischen Korrektheit wird eine zertifizierte sein. Eine Expertenkultur mit den vielen Stummen als Laien dazwischen. Eine Führerkultur mit Führerscheinen.

Haimo L. Handl ist Politik- und Kommunikationswissenschafter.

Die Tribüne gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.